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Ausgabe:

1891 Nr. 5

Spalte:

123-126

Autor/Hrsg.:

Gunkel, Herm.

Titel/Untertitel:

Die Wirkungen des heiligen Geistes, nach der populären Anschauung der apostolischen Zeit und nach der Lehre des Apostels Paulus. Eine biblisch-theologische Studie 1891

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 5.

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dem inneren Zufammenhang der Gedanken Jefu, fondern
auch dem gefchichtlichen Fortfehritt ihrer Entwickelung
gerecht zu werden (S. 139). Denn wie auf der einen
Seite der Beftand einer feft gefchloffenen Gefammtan-
fchauung fich während der, freilich nur kurzen, Zeit der
öffentlichen meffianifchen Wirkfamkeit nicht verändert
hat, fo haben auf der anderen Seite doch auch fortfehrei-
tende Erfahrungen, welche er machte, zu einer ebenfo
fortfehreitenden Ausgeftaltung und Anwendung feiner
Lehre Anlafs und Stoff geboten (S. 642 f.), wie das be-
fonders deutlich wird bezüglich des Leidensgedankens
(S. 504 f.). Was fich aber immer gleich geblieben und
als fetter und eigenfter Kern des geiftigen Bildes vom
Hintergrunde der blofs übernommenen und überkommenen
Vorftellungswelt (S. 113 f.) bedeutfamft abhebt, ,ift eben
dies, dafs Jefus, weil er Gottes Wefen und Willen fo vollkommen
fittlich dachte, auch das rechte religiöfe Verhält-
nifs zwifchen Gott und den Menfchen als ein rein fittliches
vorftellt und das fittliche Verhalten der Menfchen gegeneinander
als ein felbftverftändliches und nothwendiges
Glied des religiöfen Verhaltens auffafst. Und wir dürfen
wohl fagen, dafs für diefe bedeutfame Betonung des fitt-
lichen Wefens Gottes die tieffte Begründung in dem eminent
fittlichen Wefen Jefu felbft lag, in feiner Erfahrung
der abfoluten göttlichen Kraft des fittlichen Lebens'
(S. 646 f).

Wir müffen uns an diefem Orte auf eine allgemeine
Charakteriftik des Geiftes und der Richtung vorliegenden
Werkes befchränken. So gefund und richtig die Grund-
anfehauungen find, fo wenig fehlt es natürlich an Anlafs
zu Einreden im Einzelnen. Ganz befonders würden fich
diefelben auf die Art und Weife der Verwerthung des
johanneifchen Redemateriales beziehen. Als gleichartig
mit dem fynoptifchen läfst fich dasfelbe allerdings nur
behandeln, wenn es erlaubt ift, die alrj-d-sta auf die fynop-
tifche dizatoovvr) zurückzuführen (S. 200 f.), das ideale
Sein des Meffias für Gott als ein Vordafein desfelben zu
bezeichnen (S. 464 f. 470 f.) u. f. w. Doch ift anzuerkennen,
dafs der Verf. Synoptifches und Johanneifches nie ver-
mifcht, fondern diefes immer erft gleichfam als Anhang
zu jenem giebt und daher auch in einer, zunächft aus der
Verarbeitung des Marcus und der Logia gewonnenen,
Reihenfolge. Die Darfteilung ift fchlicht, durchfichtig
und bewegt fich vielfach auf ziemlich breitfpurigem Ge-
leife, wie folches die Reflexion auf ein weiteres Publikum
(S. VI gebildete Laien') mit fich brachte.

Strafsburg i/E. H. Holtzmann.

Gunkel, Privatdoc. Lic. Herrn., Die Wirkungen des heiligen
Geistes, nach der populären Anfchauung der apofto-
lifchen Zeit und nach der Lehre des Apoftels Paulus.
Eine biblifch-theologifche Studie. Göttingen, Van-
denhoeck & Ruprecht's Verl., 1888. (UI S. gr. 8.)
M. 2. 60.

Obwohl diefe vortreffliche Monographie in den Krei-
fen der Fachgelehrten längft bekannt und gewürdigt ift,
möchte Referent, durch deffen Schuld fie feinerzeit nicht
befprochen wurde, hier doch nachträglich auch noch
weitere Kreife auf diefelbe aufmerkfam machen. Sie
bietet mehr als ihr Titel vermuthen läfst. Denn es
werden nicht nur die ,Anfchauungen' und ,Lehren' vom
heiligen Geifte dargeftellt, fondern es werden die pneu-
matifchen Erfcheinungen und Wirkungen felbft, wie fie
im Urchriftenthum zu Tage traten, gefchildert, und damit
der pneumatifche d. h. enthufiaftifche Charakter des
Urchriftenthums mit einer Anfchaulichkeit und Lebendigkeit
uns vor Augen geführt, die vielleicht Manchem
der die Thatfache an fich fehr wohl kennt, doch über-
rafchend ift.

Wie der Titel andeutet, behandelt die Unterfuchung
1) die populären Anfchauungen der apoftolifchen Zeit

vom heiligen Geift (S. 2 — 62) und 2) die Lehre des
Apoftels Paulus über denfelben (S. 62 — 110).

Gunkel ftellt fich zunächft die Frage, welche Erfcheinungen
, Thatfachen, Vorgänge als vom heiligen
Geift gewirkt betrachtet werden? Die Antwort ift: Wie
im Alten Teftamente fo werden auch im Urchriftenthum
in der Regel nicht Vorgänge in der Natur, fondern Vorgänge
im Menfchen auf den heiligen Geift zurückgeführt,
und zwar nicht die gewöhnlichen religiöfen Functionen
des einfachen Chriften, fondern ungewöhnliche
, aufserordentliche Lebens-Aeufserungen (S. 9). Wo
Sittliches und Religiöfes für pneumatifch gehalten wird,
da ift es ftets eine Steigerung des Gewöhnlichen. In der
Hauptfache gilt dies auch vom Alten Teftamente (f. die
Statiltik gegen WendtS. 11 Anm.). Als pneumatifch werden
diefe Wirkungen aber nicht etwa deshalb erkannt, weil
fie zur Erbauung der Gemeinde dienen, überhaupt nicht
wegen ihres heilfamen Zweckes, fondern wegen ihrer ge-
heimnifsvoll-mächtigen, unerklärlich-gewaltigen Art. Dies
zeigt uns vor allem die charakteriftifchfte Geifteswirkung,
die Gloffenrede (S. 20 ff.). Sie ift eine Erfcheinung,
welche jeder Erklärung aus natürlichen im Menfchen liegenden
Kräften zu fpotten fcheint. Eben deshalb erklärt
man fie für göttlichen Urfprungs, für eine Wirkung des
heiligen Geiftes (S. 22). Das Gleiche gilt von der Ek-
ftafe des Apokalyptikers, von der aufserordentlichen ,Weisheit
', von der Prophetie, von der aufsergewöhnlichen
Glaubens-Stärke, den Wundern, dem Apoftolat. Selbft
die ätaxnviai, avzi?.r'f.iilitig und xvßsQVt'oetg machen nur
eine fcheinbare Ausnahme. Denn in Wahrheit kommt es
gerade auch hier auf das Aufserordentliche an (S. 27 f.).
— Der Schauplatz diefer Geifteswirkungen ift die chrift-
liche Gemeinde. Nur durch Chriftus und an Chriften
giebt es Geifteswirkungen (S. 30 ff.); an den Chriften
aber durchgängig. Man denkt im neuteftamentlichen
Zeitalter alle Chriften vom Geifte erfüllt. Hierin
unterfcheidet fich das N. T. charakteriftifch von dem
alten Israel wie von dem Judenthume (S. 31). — Der Geift
wird aber bald als eine ruhende Kraft gedacht,
die dem Menfchen continuirlich beiwohnt und
bei befonderen Gelegenheiten hervortritt; bald
wird jede befondere Geiltesthat als Folge einer
befonderen Infpiration vorgeltellt. Im A. T. ift
letzteres das Gewöhnliche (S. 32 f.). Erfteres erklärt fich
daraus, dafs gewiffe Perfonen in ihrem ganzen Leben
den Eindruck des Aufserordentlichen machen (S. 33).

Die hier gefchilderte Anfchauung vom Geifte ift im
Alten Teftamente herrfchend. Im fpäteren Judenthum
ift fie zwar zurückgetreten, aber doch nicht abhanden gekommen
(S. 34—37). — Im A. T. ift der Umfang der
Erfcheinungen, welche auf den Geift Gottes zurückgeführt
werden, ein gröfserer als im N. T. (S. 37). In der neuteftamentlichen
Zeit wird vieles auf böfen, dämonifchen
Geift zurückgeführt, was im A. T. als Wirkung des göttlichen
Geiftes aufgefafst wird. Die Vorftellung vom dämonifchen
Geifte ift aber ganz analog der Vorftellung
vom heiligen Geifte (S. 38 — 47). — Der Geift wird ur-
fprünglich als etwas ftoffliches, wenn auch fein-ftoffliches,
gedacht; und diefe naive, realiftifche Anfchauung, die ein
Beweis der Kraft und Zuverficht der religiöfen Ueber-
zeugung ift, geht auch in der neuteftamentlichen Zeit
noch fort (S 47 — 53). — Die Bedeutung der Geifteswirkungen
für das ältefte Chriftenthum war eine fehr erhebliche
. Die Pneumatiker waren hochangefehen. Der
Eindruck, den die Geifteswirkungen auf Heiden und
Juden machten, war ,einer der wichtigften Factoren' (?)
in der urchriftlichen Propaganda (S. 54). Da im Judenthume
der damaligen Zeit pneumatifche Erfcheinungen
feiten waren (S. 55 — 58), fo wurde das Auftreten der
Geifteswirkuugen in der chriftlichen Gemeinde als etwas
wefentlich neues empfunden (S. 58 ff.).

In der Anfchauung des Apoftels Paulus finden
wir zunächft eine wefentliche Uebereinftimmung mit