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Ausgabe:

1891 Nr. 3

Spalte:

67-69

Autor/Hrsg.:

Baum, Friedr.

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte für das evangelische Haus 1891

Rezensent:

Bornemann, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 3.

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Mit all' diefen Bedenken möchte ich die Hypothefe,
dafs Juftin eine vorfynoptifche Quelle benützt hat, nicht
abgelehnt haben. Sie fcheint mir noch immer der Erwägung
werth, aber bis jetzt nicht ftricte erwiefen. Sollte
Juftin nur unfere kanonifchen Evangelien benützt haben,
fo müffen ihm diefelben in einer Geftalt vorgelegen haben,
die von der uns überlieferten ftark abwich. Und fo find
feine Citate unter allen Umftänden überaus lehrreich. Sie
zeigen uns, dafs die fynoptifche Literatur um die Mitte
des zweiten Jahrhunderts noch ftark im Fluffe war.

Eine Unterfuchung der altteftamentlichen Citate
Juftin's hatte Bouffet eigentlich nicht beabfichtigt; er
giebt fie aber doch (S. 18—32), weil er glaubt, eine Beobachtung
gemacht zu haben, welche ihm der Mittheilung
werth erfchien (S. 19). Sie ift es in der That in
hohem Mafse. Schon frühere Forfcher hatten bemerkt,
dafs bei einigen altteftamentlichen Citaten der Text, wie
ihn jetzt unfere Juftin-Handfchriften bieten, nicht der ur-
fprüngliche Text Juftin's fein könne. Diefen Spuren ift
Bouffet nachgegangen; und er glaubt nun nachweifen
zu können, dafs die altteftamentlichen Citate zwar nicht
confequent, aber doch in weitgehendem Mafse von
fpäterer Hand nach der Lucian'fchen Recenfion
des Septuaginta-Textes corrigirt worden feien.
Zur Begründung diefer Hypothefe erinnert Bouffet an
die von Harnack erwiefene Thatfache, dafs unfer Juftin-
Text lediglich auf einer Handfchrift ruht, welche aus
der Bibliothek des Bifchofs Arethas von Caefarea in
Kappadocien flammt. In Kappadocien war aber die
Lucian'fche Septuaginta-Recenfion herrfchend {Hieronymus
, praef. in vers. Paralipom., ed. Vallarsi IX, 1405 sq.:
Constantinopolis usqne Anüochiam Luciani Martyris exem-
plaria probat). Nun ftimmen Juftin's Citate vielfach gerade
mit dem Text, welchen Field und Lagarde als luci-
anifch nachgewiefen haben. Da Juftin älter ift als Lucian,
kann ihm diefer Text noch nicht bekannt gewefen fein.
Und da wenigftens an einigen Stellen fich evident zeigen
läfst, dafs uns nicht mehr der urfprüngliche Text Juftin's
vorliegt, fo ift an der Richtigkeit von Bouffet's Auffaffung
im Grofsen und Ganzen kaum zu zweifeln. Nur über
das Mafs der Ueberarbeitung, welche Juftin's Text erfahren
hat, wird man ftreiten können. Denn nicht jede
Lesart, welche uns jetzt in ,lucianifchen' Handfchriften
vorliegt, ift nothwendig nach-juftinifch, da Lucian älteres
Gut erhalten haben kann. Die Thatfache, dafs Juftin's
altteftamentliche Citate von fpäterer Hand corrigirt
worden find, hat auch Hatch erwiefen, deffen Unter-
fuchungen Bouffet noch nicht gekannt hat {Essays in
Biblical Greek 1889, p. 186—202).

In denjenigen Citaten aus dem A. T., welche Juftin
mit dem Neuen Teftamente gemein hat, glaubt Bouffet
S. 32 ff. auch eine nachträgliche Ueberarbeitung nach
letzterem nachweifen zu können. Für manche Fälle wird
auch dies richtig fein, aber fchwerlich in fo weitem
Mafse, als Bouffet anzunehmen geneigt ift.

Ich habe meine Bedenken gegen manche Ausführungen
Bouffet's nicht verfchwiegen, möchte aber durch
meine eingehende Befprechung nur den Beweis geliefert
haben, wie werthvoll mir diefe Erftlingsfchrift erfchie-
nen ift.

Kiel. E. Schür er.

Baum, Friedr., Kirchengeschichte für das evangelische Haus.

2. Aufl., in vollftändiger Neubearbeitung hrsg. von Chrn.
Geyer. Mit 590 Textabbildungen und 35 Beilagen.
München, C. H. Beck's Verl., 1889. (XIII, 743 S.
Lex.-8.) M. 11. 50; geb. M. 15. —.

Die erfte, vom feiigen Baum (f 1883) felbft herausgegebene
Auflage der .Kirchengefchichte für das evan-
gelifche Haus' (1880) ift im V. Jahrgang diefer Zeitfchrift
S. 638 f. angezeigt und mit Recht empfohlen worden.

Nur einzelne der von dem damaligen Referenten gemachten
Ausftellungen möchte ich der zweiten Ausgabe gegenüber
noch einmal wiederholen, vor allem dies, dafs die
bewegenden Ideen noch fchärfer im Zufammenhang der
Darfteilung hervortreten möchten. Im Uebrigen hat der
Bearbeiter, Herr Chriftian Geyer, vollauf das Seine ge-
than, um das Werk fachgemäfs zu vervollkommnen.
Manche Stücke find erweitert und ergänzt, andere ganz
neu dargeftellt; das Ganze ift neu gegliedert und gruppirt,
und zwar in einer natürlicheren und vortheilhafteren Weife
als bisher. Der Verleger, Herr Oscar Beck, hat nicht
blofs dem Werke eine noch reichhaltigere und fchönere
Ausftattung im Allgemeinen gegeben und für eine Fülle
trefflicher und charakteriftifcher Illuftrationen geforgt,
fondern er bietet auch felbft einen gediegenen und ausführlichen
Abrifs der chriftlichen Kunftgefchichte. Was
fchon von der erften Ausgabe gerühmt war, dafs fie
gründliches Studium verrathe und die Quellen gefchickt
verwerthe, das gilt auch von der neuen Bearbeitung diefer
Kirchengefchichte. Auch fonft find an der tüchtigen und
glücklichen Leiftung die Vorzüge offenkundig. Der Stil
ift fchlicht und gefällig, die Sprache edel und warm, die
Darftellung, durch die zahlreichen Bilder anmuthig gehoben
, lebendig und anfchaulich, dabei knapp und wohlabgerundet
; das Urtheil ift weitherzig, den verfchieden-
artigften Richtungen und Erfcheinungen gegenüber ver-
ftändnifsvoll und meift treffend. Hinfichtlich des Stoffes
und feiner Gruppirung wird ja vielleicht jeder Fachmann
noch diefe oder jene Wünfche haben, und im Einzelnen
werden Verfehen und fragliche Punkte nachgewiefen werden
können (z. B. f. S. 4 .Profelyten des Thores'; S. 6 die
Entftehung der .Kirche'; S. 8 die Wirftücke; S. 11 Pauli
Tod unter Nero; S. 27 die Kindertaufe; S. 34 Gallienus'
Stellung zur Kirche; SS. 39. 40 Callift's und Conftantin's
Stellung zur Sklavenfrage; S. 52 Origenes' Tod unter
Decius; S. 74 Conftantin macht das Chriftenthum zur
,Staatsreligion'; S. 81 das keineswegs .treffende' Urtheil
des Albertus Magnus über die 3 Symbole; S. 82 der
die Monica tröftende Bifchof ift nicht Ambrofius vgl.
Aug. Conff. III, 12; S. 83 der gröfste .Theologe' des
Morgenlandes war wohl nicht Athanafius, fondern Origenes;
S. 87 das Mönchthum und der Serapisdienft; S. 95 die
Kirchenväter klagen fchon um 220, nicht aber erft im
nachconftantinifchen Zeitalter über fchlechten Kirchen-
befuch; S. 112 Ableitung des Namens ,Bonifatius' von
bonum fatum; S. 169 Ableitung des Worts .Carneval'
von carne und vale; S. 595 Johann Jacob Semler; S. 661
das Urtheil über Hofmann's Exegefe u.f.wj. Dochkommen
diefe kleinen Verfehen gegenüber der Trefflichkeit des
Ganzen kaum in Betracht. Auch die bei illuftrirten Ge-
fchichtswerken naheliegende Gefahr der Zerfplitterung
und Veräufserlichung fcheint mir durch die ganze Art
des Textes glücklicher vermieden als bei anderen ähnlichen
Büchern. Wohlthuend berührt es, wie hier die
Darftellung der chriftlichen Kirchengefchichte Hand in
Hand geht mit der Culturgefchichte, und charakteriftifch
fällt es fchon durch die Illuftrationen auf, wie die Kraft
des Katholicismus in fachlichen Einrichtungen und
Mächten (Verfaffung, Kunft, Orden u. f. w.), die des
evangelifchen Chriftenthums in perfönlichen Charakteren
liegt.

Von den zahlreichen, werthvollen Beilagen feien hier
nur einige genannt: je eine Seite aus dem codex Sinai-
ticus und aus einer Fuldaer Handfchrift von 801; die
Titel der erften lutherifchen Ausgabe der ,deutfchen
Theologie', des Hutten'fchen .Gefprächbüchleins', der
erften Ausgaben von Luther's drei grofsen Reformations-
fchriften aus dem Jahre 1520, der erften Ausgabe der
lutherifchen Ueberfetzung des N. und A. T.'s, und des erften
lutherifchen Gefangbuchs; verfchiedene Proben aus der
biblia pauperum, aus der Erbauungsliteratur des 15. Jahrhunderts
fowie aus den erften Bibeldrucken; Facfimile's
einer Ablafsbulle, eines Ablafszettels und Ablafsgebets;