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Ausgabe:

1891

Spalte:

50-52

Autor/Hrsg.:

Krais, Wilh.

Titel/Untertitel:

Kirchliche Simultanverhältnisse nach bayrischem Recht 1891

Rezensent:

Köhler, Karl

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Seite 1, Seite 2

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Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 2.

dafür feien die Ausführungen S. 16 ff. über den Zweifel
und feine Bekämpfung genannt, wo der Zweifel immer
nur als theoretifcher, nicht aber als ethifcher, als Mifs-
trauen, erfcheint. Es rächt fich dabei, dafs Gott nicht
von vornherein als der, der er für uns Chriften ift, als
unfer Vater in Chriftus, der uns durch Chriftus in die
Kindesgemeinfchaft verfetzte, aufgefafst wird, fondern
philofophifch als Grundurfache, wobei es dann fo zu
flehen kommt, dafs der Glaube an Gott den Vater einer-
feits nur eine höhere Stufe theoretifcher Erkenntnifs ift,
als jene philofophifche Erkenntnifs, andererfeits wiederum
nur eine niedrigere Vorftufe der metaphyfifchen Erkenntnifs
Chrifti. Charakteriftifch hierfür ift, wenn S. 19 von
dem Vaterunfer gerühmt wird, ,dafs es fo geringe Anforderungen
an den Glauben ftelll', und dafs Chriftus
darin ,bis auf das Niveau der Kleingläubigen'
herabgehe, und wenn der Verf. ebendafelbft Chriftus
gar fagen läfst: ,Bete dies Gebet! Das vermagft du
zu beten, auch wenn du an mich noch nicht
glaubft'. Diefe Beurtheilung des Vaterunfers vermag fo
wenig vor dem Berichte der Evangelien, als vor dem
fchlichten einfältigen Chriftenglauben zu beftehen. Der
Verf. meint freilich, im Vaterunfer fei doch nicht ,von
irgend einem Wunder oder etwas Uebernatürlichem' die
Rede. Aber was foll denn wunderbarer fein und alles
natürliche Ergehen und Verliehen mehr überbieten, als
die Thatfache, dafs der Herr Himmels und der Erde fich
uns armen Sündern zum Vater giebt? Ja, er läfst fich
damit auch zu dem fchwachen Glauben nieder, wie Lu-
ther's Auslegung: ,Gott will uns damit locken, dafs wir
glauben follen u. f. w.' fo köftlich aufweift. Aber auch
der fchwache Glaube wird das Vaterunfer in Wahrheit
nur beten können, wenn Chriftus ihm dazu Herz und
Lippen geöffnet hat. Wenn der Verf. der natürlichen
Gotteserkenntnifs die Kraft, ein felbft das Vaterunfer umfallendes
Gebetsleben zu wecken, zutraut, fo überfieht er
die Thatfache, dafs wir innerhalb der Chriftenheit alle
mehr oder minder unter dem Einflufs Chrifti ftehen, und
dafs darum praktifchcr Glaube felbft bei mangelhafter
theoretifcher Erkenntnifs vorhanden fein kann. Aus diefer
theoretifchen und quantitativen Auftaffung des Glaubens
entfliefsen denn auch die feltfamen Ausführungen über
die Beziehungen des Gebetes zu den drei Perfonen der
göttlichen Trinität (S. 125 u. an a. O.). Ob wohl je ein
Beter folche Unterfcheidungen macht, ob fie nicht eher
als verwirrend empfunden werden würden?

Diefe Mängel in der Grundanfchauung find natürlich
auch nicht ohne Einflufs auf die feelforgerlichen An-
weifungen geblieben. Wenn das chriftliche Gebet nichts
anderes als die Ausübung unferes Kindesftandes, in den
Chriftus uns verfetzt hat, Bethätigung unferes Glaubens,
in dem wir unfere Gotteskindfchaft erleben, ift, dann bedarf
es im Grunde keines anderen Mittels zur Pflege
unferes Gebetslebens, als wodurch wir überhaupt zum
Glauben gekommen find. Die Grundanweifung dafür
wird immer bleiben: ,Lafst euch verföhnen mit Gott;
glaube an den Herrn Jefum Chriftum', das Hauptmittel
das Evangelium von Chrifto. Hemmungen des
Gebetslebens gegenüber werden je nachdem vorwiegend
feine das Gewiffen fchärfende Macht oder fein Troft geltend
zu machen fein. In diefem Zufammenhang würde
das von der Nachfolge Chrifti handelnde Cap. II erft
feinen klaren Zweck und damit wohl eine zielbewufstere
Ausführung erhalten haben, während es gegenwärtig
nicht recht erfichtlich ift, ob durch diefe Betrachtung nur
die vorbildliche Bedeutung des Gebets Chrifti eingeleitet,
oder zugleich auch, was als das Wichtigfte erfcheint, das
Verlangen nach der in Chriftus befchloffenen üttlichen
Vollkommenheit als ein Hauptmotiv, diefe felbft als das
letzte Ziel alles Gebetes aufgewiefen werden foll. Der
Chrift ift fleh feines Gebetes durchaus als Wirkung des
Geiftes Chrifti bewufst. Dadurch wird Art, Inhalt und
Ziel des Gebetes beftimmt. So beten heifst im Namen

Jefu beten. Seelforgerliche Einwirkung auf das Gebetsleben
kann darum kein anderes Ziel haben, als die Seele,
den Willen, unter den Einflufs Jefu und feines Geiftes
zu bringen. Dem entfprechen die von dem Verf. gegebenen
Anleitungen nicht. Sie zeigen keinen deutlichen
Weg auf, wie man beten lernen kann. Die Ausführungen
über ,die Bereitung des Gemüthes' (C. V) enthalten ja
vieles Treffliche und Beherzigenswerthe. Aber hier und
an vielen andern Stellen wird man den Eindruck nicht
los, dafs folche Zucht der Seele, wie fie der Verf.
empfiehlt, folches Ringen und Arbeiten an fich felbft
zwar gewifs feinen grofsen Segen hat, dafs wir aber mit
einem auf diefe Weife durch eigene Anftrengung zu Wege
gebrachten Gebete nicht im Namen Jefu, fondern im
eigenen Namen vor Gott kommen.

Allein bei einem folchen Gebet beftehen auch die
im letzten Capitel erörterten Schwierigkeiten betreffs der
Gebetserhörung. Bei einem aus dem Trieb des Geiftes
Chrifti flammenden Gebet geht die Richtung des Gebetes
bewufst oder unbewufst immer auf Gott und auf
das Ganze des Heils, das uns in ihm gefchenkt ift, wie
gerade das Vaterunfer zeigt, und alle einzelnen Bitten
reihen fich in diefen Zufammenhang ein. Dabei ift dem
Beter Beides immer zugleich gewifs, dafs Gott folches
Gebet, auf feinen letzten Zweck angefehen, immer erhört
, dafs aber auch er allein die Angemeffenheit der
kleinen irdifchen Zwecke, die nur Mittel fein können für
das höchfte Gut, recht zu beurtheilen vermag, und dafs
es der Troft für uns kurzfichtige Menfchen ift, dafs wir
fie vertrauensvoll feiner Weisheit überlaffen können.
Hätte der Verf. die Art des chriftlichen Gebets in feinem
Unterfchied von dem Beten des natürlichen Menfchen
fchärfer erfafst, dann hätte er nicht auf die trügerifche
Auskunft verfallen müffen, die Gewifsheit, dafs Gott Gebete
erhört, auf einem dem natürlichen Menfchen geläufigen
Weg, nämlich durch Vergleichung mit den von Anderen
berichteten Gebetserfahrungen, feftftellen zu wollen.

Noch manche Schwierigkeiten und Schiefheiten im
Einzelnen hängen mit dem conftatirten Fehler der Grundanfchauung
zufammen. Ref. kann darum auch zu feinem
Bedauern diefes Buch nicht als einen zuverläffigen Führer
in die ,Welt des Gebets' anerkennen. Sicherlich kann
man fehr viel daraus lernen, und Niemand wird es ohne
Gewinn aus der Hand legen. Aber zu einem deutlichen
und zutreffenden Bild des chriftlichen Gebetslebens fehlt
es ihm an der Sicherheit der Grundlinien, und ein
fchlichter Chrift, der darin Anweifung fuchte, Hinder-
nifse feines Gebetslebens zu überwinden, würde in Gefahr
gerathen, fein Vertrauen auf eigene Anftrengungen
zu fetzen, mit denen wir doch nimmer Gott erreichen,
ftatt auf die Gnade Gottes in Jefu Chrifto, die doch allein
helfen kann.

Giefsen. Gg. Schloffer.

Krais, Verwaltungsger.-R. Wilh., Kirchliche Simultanverhältnisse
nach bayerischem Rechte. Würzburg, Stuber's
Verl., 1890. (68 S. gr. 8.) M. 2. —

Die kirchlichen Simuitanverhältnifse, welche zum
gröfsten Theil als ein Erbe aus den Zeiten der Gegenreformation
in vielen, namentlich füddeutfehen Landes-
theilen hergebracht find, bilden eine völlig finguläre, in
kein kirchliches Rechtsfyftem einfügbare Erfcheinung.
Ein Recht des Simultaneums zu conftruiren ift darum
äufserft fchwierig, weil dasfelbe eigentlich allen Rechtsbegriffen
widerfpricht und nur auf rein pofitiven, unwiderruflich
gewordenen Thatfachen ruht. Gemeingiltigc Normen
über den Gegenftand hat das preufsiiehe Allgem.
Landrecht (II, 11, *j 309— 317) gefchaffen; diefelben find
mit geringfügigen Abänderungen und Zufätzen in das
bayerifche Religionsedict von 1818 (§ 90—99) übergegangen
. Mit der Auslegung und Anwendung diefer