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Ausgabe:

1891

Spalte:

619-621

Autor/Hrsg.:

Chase, Frederic Henry

Titel/Untertitel:

The Lord‘s Prayer in the Early Church 1891

Rezensent:

Dalman, Gustaf

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Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 25.

620

(XuLqeiv 1, 1) ,ganz einfach Nachahmung von A. G. 15, 23
ift' (S. 262), ift an ein einzelnes, eng abgefchloffenes Con-
ventikel effäifch gerichteter Judenchriften wahrfchein-
lich unter Hadrian gefchrieben. Den Jakobusbrief fetzt
der Judasbrief voraus, der felber wieder für den zweiten
Petrusbrief Quelle ift. Die drei Johannesbriefe flammen
nicht von dem Evangeliften und find nach dem Evangelium
gefchrieben, die beiden kleinen wahrfcheinlich vor dem
grofsen. Ein Grund für diefe Vermuthung wird nicht
angegeben.

Als Zeichen wiffenfchaftlicher Thätigkeit eines ohne
Zweifel vielbefchäftigten Stadtpfarrers ift das vorliegende
Buch jedenfalls fehr erfreulich; ob die theologifche Wiffen-
fchaft davon grofsen Nutzen hat, weifs ich nicht.

Giefsen. Oscar Holtzmann.

Chase, Frederic Henry, B. D., The Lord's Prayer in the
Early Church. [Texts and Studies. Contributions to bi-
blical and patristic literature, edited by J. Armitage
Robinson, I, 3.] Cambridge, University Press, 1891.
(XII, 179 S. gr. 8.) 5 s.

Ohne Zwifchenbemerkungen referire ich zunächft
über das von dem Buche Chafe's Dargebotene. Die Einleitung
(S. 1—21) befpricht das Verhältnifs von Synagoge
und Kirche. Chafe macht Folgendes geltend. Der
chriftliche Gottesdienft hat fich im Anfchlufs an den fyna-
gogalen entwickelt. Ebenfo wie helleniftifche und palä-
ftinifche Synagogen mit griechifchem bez. hebräifchem oder
aramäifchem Gottesdienfte neben einander beftanden, fo
wird auch in der älteflen Kirche Gottesdienft von beiderlei
Charakter vorhanden gewefen fein. In diefem Gottesdienfte
hat die evangelifche Erzählung von Anfang an eine
zwiefache Geftalt annehmen müffen, nämlich eine aramäifche
und eine griechifche. Daran fchlofs fich die ebenfalls
zweigeftaltige fchriftliche Ueberlieferung derfelben Erzählung
. Das Herrengebet, deffen dreimalige tägliche Reci-
tation fchon die ,Apoftellehre' empfiehlt, war jedenfalls
im Gebraucheder Gemeinde, ehe es in gefchriebeneEvangelien
aufgenommen wurde, und hatte fomit fchon damals
eine ,liturgifche Gefchichte' hinter fich, deren Spuren
an den uns vorliegenden Textrecenfionen zu beobachten
find. Diefe fucht Chafe bei der näheren Unterfuchung
der einzelnen Theile des Herrengebets, welche S. 22—176
feines Buches füllt, aufzuweiten. Doch verfolgt er dabei
gleichzeitig den anderen Zweck, durch Herbeiziehung der
im Neuen Teftament und in der altkirchlichen Literatur
vorhandenen Parallelen, Anfpielungen und Deutungen den
urfprünglichen, mit den einzelnen Bitten verbundenen
Sinn und ihre ältefte Geftalt feftzuftellen.

Die längere Form der Anrede bei Matthäus reprä-
fentirt nach Chafe die im Gottesdienft übliche griechifche
Form des Gebets. Die kürzere Form bei Lucas
(nur nciTto, alfo aramäifch X2i?) ift die urfprüngliche, wofür
das an das Herrengebet 'erinnernde Gethfemane Gebet
mit feinem Clßßa bei Marcus (14, 36) zu vergleichen.
Bei Bitte 1 oder 2 erfcheint in einem Evangelienmanu-
fcript (Cod. Ev. 604), bei Gregor von Nyffa, Maximus
und Tertullian als Variante entweder für die erfte oder
zweite Bitte eine Bitte um den heiligen Geift, was fich
nur durch den liturgifchen Gebrauch des Gebetes bei der
Handauflegung erklärt. Befonders beachtenswerth find
hierfür Gal. 4, 6 und Rom. 8, 15, wo der an das Herrengebet
erinnernde Abba-Ruf und der Geiftesempfang in
Verbindung erfcheinen. Das icp VfiSg der erften Bitte in
Cod. Bezae (Luc. II, 2) erklärt Chafe als zufammenge-
floffen aus den beiden Redeweifen von der Heiligung
des göttlichen Namens und von der Nennung desfelben
über Jemandem. Die Anwendung des Gebets bei der
Taufhandlung werde die Veranlaffung des Zufatzes fein.
Bei Bitte 3 find die Worte ,wc iv ovQttvqj v.ai iivi yijg'
als Ergänzung aller drei bisherigen Bitten gemeint. Bitte 4

lautete urfprünglich: ,Gieb uns unfer täglich Brod', wobei
der letztgenannte Ausdruck (fyrifch) in der doppelten
Form curfirte: j.ios.^? -V und >oo-Ji»aj f^a^E.. Die
erftere Form habe man im Morgengebet angewandt,
Abends aber für Uaa_? das für das Ebräerevangelium bezeugte
eingefetzt. Die griechifch betenden Chriften
wählten ftatt deffen das von ihnen gebildete sniovoiog
,dem kommenden Tage angehörend', was fowohl Morgens
als Abends gefagt werden konnte. In Bitte 5 ift
die Faffung der zweiten Hälfte als Gelübde (bei Lucas)
das urfprüngliche. Bei Bitte 6 befpricht Chafe befonders
die fpätere liturgifche Abänderung ,nepatiaris nos indin i'
und den Zufatz ^quani sufferre non possi/mus'. Die aus-
führlichfte, mehr als die Hälfte des Buches umfpannende
Behandlung erfährt Bitte 7 (S. 71 — 167), wohl aus Anlafs
des Widerfpruches, den die Einführung der perfönlichen
Faffung (,from the evtl oiie1 ftatt ,from evtl') in die eng-
lifche revidirte Bibel im J. 1881 in England hervorgerufen
hat. Wir finden hier zuerft eine Unterfuchung des
Gebrauches von t/. und ano nach den Verben des Er-
löfens, Errettens, Bewahrens, dann eine befondere dem
Gebrauche von 7covt]o6g gewidmete Abhandlung, welche
die maskuline Faffung des Worts im Herrengebet als die
urfprüngliche aus dem neuteftamentlichen und altkirchlichen
Gebrauche des Worts zu erweifen fucht. Am
Schluffe redet Chafe von der liturgifchen Anwendung von
Doxologien in Synagoge und Kirche und vermuthet, dafs
die Anhängung einer folchen an das Herrengebet befonders
bei der Euchariftie die Einführung derfelben in
den Evangelientext, zuerft in den fyrifchen, veranlafst
habe.

Aus den gegebenen kurzen Andeutungen geht hervor
, dafs die Schrift Chafe's mannigfache Belehrung und
Anregung bietet. Doch wird fich jedem Lefer die Frage
aufdrängen, warum der Verfaffer fo viel zur Erklärung
des Herrengebets beibringt und doch gleichzeitig auf eine
eigentliche Auslegung desfelben verzichtet. Wir erhalten
eine eingehende Unterfuchung über den Sinn jenes
rroiijcio'f, erfahren aber nichts darüber, was mit dem Geheiligtwerden
des Namens Gottes, dem Kommen feines
Reiches gemeint ift. Auffallend ift auch, dafs Chafe, der
bei Lucas öfters die urfprünglichere Form des Gebetes
findet und gleichzeitig doch die bei ihm fehlenden Bittens
ohne weiteres für echt und urfprünglich hält, keinen
Verfuch macht, diefen Sachverhalt irgendwie zu erläutern
oder zu begründen. Wir erfahren S. 11 f. nur, dafs die
verfchiedene mündliche (liturgifche) Tradition für die doppelte
Form des Gebets mafsgebend gewefen fei, und es
fcheint im übrigen, als folle Matthäus gerade die helleniftifche
Geftalt des Gebets repräfentiren, Lucas dagegen
wenigftens vielfach mehr die paläftinifch-aramäifche. Es
ift fehr anzuerkennen, dafs Chafe bei der exegetifch-
kritifchen Behandlung des Textes die muthmafsliche urfprüngliche
aramäifche Form desfelben in Betracht zieht,
und er mag darin Recht haben, dafs bei dem Syrus Curetonis
noch am eheften die Nachwirkung lebendiger ara-
mäifcher Tradition vorauszufetzen ift. Aber er hat doch
zu wenig berückfichtigt, dafs die Fäden, welche von den
paläftinifchenjudenchriften zu dem fyrifchen Neuen Teftament
überleiten, für uns völlig im Dunkel liegen und
die Möglichkeit einer lediglich griechifchen Vermit-
telung nicht ausgefchloffen ift, dafs in jedem Falle eine
Umfetzung der Tradition aus einem aramäifchen Dialekt
in einen andern vorlag. Es müfste doch wenigftens
unter fucht werden, wie die Ausdrücke des Syrers in
paläftinifchem Aramäifch gelautet haben würden, wofür
der paläftinifche Talmud und das Evangcliarium Hiero-
solyinitanum zu benutzen waren. Bei dem Rückfchluffe
von dem griechifchen Text auf ein aramäifches Original
ift aufserdem befondere Vorficht durch die Erwägung
geboten, dafs felbft, wenn die verfchiedene griechifche
Ausdrucksweife zweier Evangeliften auf einen aramäifchen