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Ausgabe:

1891 Nr. 2

Spalte:

44-46

Autor/Hrsg.:

Schall, Jul.

Titel/Untertitel:

(Nr. VII) Ulrich von Hutten. Ein Lebensbild aus der Zeit der Reformation 1891

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 2.

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völlig mit dem Bilde des ,Papftefels' ftimmt. Der Bericht
des venetianifchen Gefandten aus Rom ift die
Quelle des Annaliften. Danach ift alfo der .Papftefel'
eine Erfindung römifchen Witzes oder Aberglaubens,
und das Datum des Kupferftichs (Jan. 1496) ift das Datum
des Fundes, nicht des Bildes. Ferner weift er unter
den Reliefs der Kathedrale von Como und zwar an der
zw. 1495 u. 1497 erbauten nördlichen Seitenthüre, den-
felben .Papftefel' — Abbildung ift beigefügt — nach.
Hier ift eine antipäpftliche Deutung von vornherein aus-
gefchloffen; als Motiv für den darftellenden Künftler
läfst fich hier nur die Freude an der monftröfen, den Gebilden
der antiken Fabelwelt ähnelnden Geftalt erkennen
; Pendant bildet ein bocksbeiniger F"aun oder !
Marfyas. So harmlos kann dagegen das italienifche Bild ,
des Papftefels, von welchem der Stich des Wenzel von
Olmütz eine Copie ift, nicht gemeint gewefen fein. Aber
es liegt auch kein Grund vor, eine gegen das kirchliche
Regiment des Papftes zielende, alfo ,vorreforma-
torifche' Tendenz anzunehmen. Die im Hintergrunde
gezeichneten Bauwerke, Engelsburg und Gefängnifs
'Torre di Nona), weifen vielmehr auf die weltliche Regierung
des Papftes. Lange fieht daher hier nur ein
künftlerifches Pasquill auf das unter Alexander VI von
feiner weltbeherrfchenden Stellung fo fehr herabgefun-
kene Rom {,Roina caput mundi' ift die Devife des Bildes
). Anders dagegen meinte es nach Lange fchon
Wenzel von Olmütz, als er c. 1498 den Papftefel copirte
und in Umlauf fetzte. Aus den fpeciellen Verhältnifsen
der mährifchen Kirche fucht er anfchaulich zu machen,
wie damals auch unter Angehörigen der kathol. Kirche
eine bittere Stimmung gegen die verkommenen Vertreter
diefer Kirche nachweisbar und zu erklären fei. Er ftützt
fich dabei befonders auf das Zeugnifs der 1499 m Olmütz
gedruckten, einen kathol. Verfaffer, aber zugleich
einen überaus fcharfen Kritiker der Geiftlichkeit offenbarenden
Schrift ,Planctus ruine ecclesie', aus welcher er
im Anhange grofse Abfchnitte mittheilt. Hier in Olmütz
werde daher der ,Papftefel' zur Anklage gegen das Haupt
der Kirche; ob dabei die böhmifchen Brüder den Kupfer-
ftecher infpirirt hätten oder ob diefer nur auf guten Ab-
fatz feines Bildes in ihren Kreifen fpeculirt hätte, das
will Verf. unentfchieden laffen. Durch den Verkehr Lu-
ther's mit den Böhmen werde aber dann (Sommer 1522) .
das anzügliche Bild nach Wittenberg gekommen fein.

In diefer Auffaffung und Ordnung der Wanderungen
und der Bedeutung des Papftefels ift viel Anfprechendes.
Die FTage, ob Wenzel's Autorfchaft jetzt definitiv feft-
geftellt fei, mufs der Theologe den Kunfthiftorikern zur
Beurtheilung überlaffen. Wie ich sehe, betrachtet auch
Thode, die Malerfchule von Nürnberg, Frankf. a. M. 1891
S. 158L die Wolgemut-FIypothese Thausings als ab-
gethan. Ich mache nur auf Folgendes aufmerkfam:
1) Zu fchnell verfährt mir der Verf. mit feiner
Verwerthung des Planctus ruine ecclesie für die fpeciellen
Olmützer Verhältnifse und Stimmungen. Er
hat nämlich überfehen, dafs fchon der gelehrte kath.
Sammler V. Hafak in feinem Buche .Luther u. die relig.
Litter. feiner Zeit' Regensb. 1881 S. 54 beträchtliche
Stücke desfelben Gedichts aus einem andern Druck von
c. 1500 veröffentlicht hatte. Es ift alfo die Frage zu erledigen
, ob jenes Gedicht wirklich in Olmütz entftanden
ift; die vollftändige Bibliographie diefer Schrift müfste
erft feftgeftellt und die ed. priuceps ermittelt werden.
Dafs die Sprache der deutfchen Verfe diefes Gedichts j
für Olmütz günftig ift (S. 97), ift für die Frage nach dem
Urfprung völlig beweisunkräftig, da ja damals jede
Druckerei das Deutfch dem ortsüblichen Dialekt anpafstc
(man vgl. die füddeutfchen oder die Breslauer Nachdrucke
der Schriften Luther's). 2) Es ift bedauerlich, dafs der
Verf. die befte Arbeit, die wir über Luther's .Abbildung
des Bapftum' befitzen, und die auch über den .Papftefel
' von 1523 werthvolle Nachweifungen bringt, den

Auffatz C. Wendeler's im Archiv für Litt.-Gefch. XIV
17 fr. (bef. S. 28. 29) fich hat entgehen laffen. 3) Leider
hat auch der Verf., fo trefflich er in kunft- und cultur-
gefchichtlicher Beziehung orientirt ift, die biblio-
graphifche Seite der Frage (Verbreitung und Nachdruck
des Luther-Melanchthon'fchen Papftefels) nicht
genügend bearbeitet. Wendeler's Notizen zeigen, dafs
die Kön. Bibl. in Berlin, die von Lange unbenutzt ge-
laffen ift, hier fchon für fich allein das bibliographifche
Material beträchtlich hätte vermehren können. Es würde
ihm dann auch Luther's Nachwort vom J. 1535 nicht nur
nach der Wittenberger Gefammtausgabe zur Verfügung
geftanden haben. Gleichwohl hat der Lutherforfcher
allen Anlafs, die forgfame Studie beftens willkommen zu
heifsen.

Kiel. G. Kawerau.

Publicationen des Vereins für Reformationsgeschichte.

Der Verein für Reformationsgefchichte hat im Jahr
1890 von gröfseren Schriften ausgegeben (Halle, Niemeyer
in Comm.):

Nr. 29. Gurlitt, Corn., Kunst und Künstler am Vorabend
der Reformation. Ein Bild aus dem Erzgebirge. Mit
16 Abbildungen. (155 S. gr. 8.) M. 2. 40.

Nr. 30. Kawerau, Waldemar, Thomas Murner und die
Kirche des Mittelalters. TV, 103 S. gr. 8.) M. 1. 20;

und von den kleineren Schriften für das deutsche Volk:

Nr. VII. Schall, Pfr. Jul., Ulrich V. Hutten. Ein Lebensbild
aus der Zeit der Reformation. (59 S. 8.) M. — 15.

Nr. VIII. Baumgarten, Fritz, Wie Wertheim evangelisch

wurde. (66 S. 8.) M. — 15.
Nr. IX. Meinhof, Paft. H., Dr. Pommer-Bugenhagen und sein

Wirken. Dem deutfchen Volke dargeftellt. (40 S. 8.)

M. —. 15.

Die Arbeit Gurlitt's befteht genau genommen aus
zwei nicht ftreng organifch verbundenen Abhandlungen.
Die eine behandelt die Gefchichte der fächfifchen Berg-
ftadt Annaberg und ihr rafches Aufblühen, ihren Kirchbau
und ihre kirchlichen und gefellfchaftlichen Verhältnifse
. Dazwifchen hat Gurlitt einen Effay über die
Entwickelung der Kunft in Sachfen in der Wende der
mittelalterlichen Zeitgeftellt. Aber was Gurlitt nach beiden
Seiten giebt, ift anziehend gefchrieben und auch für den
Theologen in hohem Grad lehrreich. Ift doch Annaberg
eine Schöpfung des dahinfterbenden Mittelalters mit
feinen Ungeheuern Schätzen an plötzlich auftauchendem
Edelmetall, und eine Metropole des Annacults, der fo
recht für Bergleute und die rafch reich gewordenen
Abenteurer geeignet war. Dankbar fei auf Gurlitts'
Nachweife über den Kirchbau in Annaberg, die Be-
fchaffung der Mittel für denfelben, die Höhe der Einnahmen
aus der Jahresrechnung 1518 19 verwiefen. Noch
1518/19 zahlte die Stadt Annaberg dem Papft nahezu 4%
ihrer Jahreseinnahme für Ablafs, daneben bezog der Paplt
von 237 Schock aus dem Kaften des Jubeljahrs der h. Anna
noch 49 Schock, alfo über 20 %. Willkommen wäre
eine genauere Unterfuchung über die Glaubwürdigkeit
der Berichte des Mykonius über feine Begegnungen mit
dem Ablafskrämer in Annaberg gewefen. Gurlitt begnügt
fich hier mit den Worten: ,einer angezweifelten, aber alten
Quelle nach'. Wichtiger noch find Gurlitt's Ausführungen
über die Verfuche der Spätgothik, den Bedürfnifsen einer
neuen Zeit gerecht zu werden, welche Predigtkirchen
verlangte, und ihr Widerfpruch gegen den Geift der
Frühgothik, über das Verhältnifs von Renaiffance und
Humanismus etc. ,Nicht Renaiffance und Reformation
find eins, fondern Renaiffance und Humanismus'. Mit