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Ausgabe:

1891 Nr. 20

Spalte:

504-505

Autor/Hrsg.:

Zahn, Detlev

Titel/Untertitel:

Evangelium in den Episteln. Ein Jahrgang Predigten nach der Textwahl von Thomasius und nach der Schriftauslegung v. Hofmanns 1891

Rezensent:

Wächtler, August

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503 Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 20. 504

früher gewonnenen Ueberzeugung beftätigt hat. Dem
zweiten Bande ift der Nachweis vorbehalten, auf welchem
Wege die Lehre von der natürlichen Unfterblichkeit des
Menfchen aus einem fremdartigen, religiös-philofophi-
fchen Gedankenkreife in die kirchliche Lehre eingedrungen
ift. Vielleicht ift zu bedauern, dafs diefer aus der
Gefchichte geführte Beweis nichtinnäherenZufammenhang
gebracht wird mit den Cap. III und IV erwähnten bib-
lifch-theologifchen Datis, denn die Umbildung der bibli-
fchen Gedanken durch das Eindringen hellenifcher Spe-
culation würde dem Lefer hiedurch noch viel einleuchtender
geworden fein. Ebenfo dürfte eine ftrengere Begrenzung
des Thema's und ein von Digreffionen und Ex-
curfen weniger beladeter Gang von gröfserer Zugkraft
fein und die Wirkung auf den zu Belehrenden erhöhen.
Dies fcheint der Verf. felber empfunden zu haben, denn
gleichzeitig mit dem Erfcheinen des vorliegenden Werkes
hat er die Refultate feiner Unterfuchungen in einer
kürzeren, auf das nicht theologifche Publicum berechneten
Schrift zufammengefafst.

Bei der Durchführung des von ihm vertretenen
Satzes hat Herr Petavel einerfeits zu weit ausgeholt und
fich auf Gebiete eingelaffen, gegen welche die chriftliche
Glaubenslehre fich neutral zu verhalten hat. Anderer-
feits wäre er noch viel überzeugender gewefen, wenn er
feine Ausfagen entfchiedener aus dem Gefammtorganismus
der chriftlichen Glaubensausfagen abgeleitet hätte. Die
Beftimmung des Menfchen zum ewigen Leben ift einge-
fchloffen in feine Beftimmung zum Gottesreich. Aus der
dogmatifchen Erkenntnifs des dem Menfchen gefleckten
Zieles ergiebt fich die dogmatifche Gewifsheit nicht der
unbedingten Unfterblichkeit des natürlichen Menfchen,
fondern des durch die Gemeinfchaft mit Gott bedingten
unzerftörbaren Lebens. Der von feinem gottgefetzten
Urfprung und Ziel losgelöfte Menfch ift nicht unfterblich.
Diefe aus dem Wefen des chriftlichen Heils abgeleitete
Folgerung bleibt unantaftbar, felbft wenn es gelänge, aus
einzelnen Bibelftellen Belege für die traditionelle Faffung
ausfindig zu machen. Dafs es folche Stellen giebt, ift
m. E. unzweifelhaft, und wir dürfen fie nicht durch exe-
getifche Kunftgriffe oder Gewaltftreiche abfchwächen
oder wegdeuten. Vom Standpunkte der orthodoxen In-
fpirationslehre läfst fich das hergebrachte Dogma nicht
aus den Angeln heben; ein hiftorifch.es Verftändnifs der
Schrift wird vielmehr das Einwirken des Hellenismus
fchon auf die neuteftamentlichen Glaubensausfagen wahrnehmen
und aufweifen. Nicht aus mühfam zufammenge-
tragenen Ausfprüchen des als Lehrcodex gehandhabte'n
alten und neuen Teftamentes, fondern aus der durch die
göttliche Offenbarung normirten Heilserfahrung des
Chriften ift der Glaubensgedanke von der nur durch die
Gemeinfchaft mit Gott bedingten Unfterblicheit zu begründen
. Im Intereffe der evangelifchen Glaubensge-
wifsheit mufs das atomiftifche und äufserliche Verfahren
gerügt werden, das zum Behufe des dogmatifchen Schrift-
beweifes von der alten Schule geübt wurde, und von
welchem fich der Verf. auch noch nicht losgefagt hat.
Es kann feine Sache nicht fördern, fondern nur fchä-
digen, wenn er fich von dem Gegner die Aufgabe Hellen
läfst und fich auf ein Terrain begiebt, auf welchem der
Kampf niemals zur Entfcheidung gebracht werden kann.
— Wollte ich auf das Detail eingehen, fo müfsten wohl
manche Ausheilungen gemacht werden. Die Beziehungen
der Lehren von der Taufe und vom Abendmahle zum
Dogma von der ,bedingten Unfterblichkeit' find auf eine
Formel gebracht worden, welche dem Urfprung und dem
Wefen beider Sacramente gewifs nicht entfpricht. Der
Verf. vertheidigt mit einer die hiftorifchen Mächte der
kirchlichen Entwickelung verkennenden Einfeitigkeit den
Standpunkt des Baptismus (S. 200 f.); er klagt darüber,
dafs der Einflufs platonifirender Gedanken die Lehre
von den Sacramenten getrübt habe (S. 222), und doch
wendet er fich felber wieder zu der durch die gricchi-

fche Metaphyfik beftimmten Vorftellung vom Abendmahl
als einem cpäy/iaxov a&uv.cceiug. Der Zufam-
menhang der Verföhnungslehre mit der Eschatologie
I läfst ein gleiches Hereinragen fremdartiger Factoren in
die chriftliche Theologie wahrnehmen. — Doch der Werth
I der in vorliegendem Buche fo eingehend geführten Unter-
1 fuchung foll durch folche Bemerkungen nicht herabgefetzt
werden. Es gebührt dem Verf. das Verdienft, eine
wichtige Frage mit Muth und Klarheit in Flufs gebracht
zu haben, und es fleht zu hoffen, dafs feine Worte eine
ernfte und fruchtbare wiffenfchaftliche Discuffion hervorrufen
werden. Hat er auch die Tragweite des Problems
gewifs überfchätzt, indem er dafselbe zur Grundlage des
I dogmatifchen Gebäudes der chriftlichen Theologie
machen möchte, fo läfst fich nicht leugnen, dafs er für
die von ihm vorgetragene Lehre höchft beachtenswerthe
Inftanzen geltend gemacht hat. Wir können nur wün-
j fchen, dafs der folgende Band, welcher die traditionelle
j Lehre von den ewigen Höllenftrafen, fowie die Annahme
der mroKaraaraaLq xavttov kritifch prüfen und die Auf-
faffung von der ,bedingten Unfterblichkeit' gegen die erhobenen
Einwürfe vertheidigen foll, in nicht zu ferner
Zukunft erfcheinen und auf der gleichen Höhe flehen möge
j wie der bereits dem Publicum vorgelegte erfte Theil. Von
I grofsem Intereffe ift das geiftvolle, im Wefentlichen zu-
ftimmende, im Einzelnen manche kritifche Bemerkungen
enthaltende Sendfehreiben des Herrn Charles Secretan,
welches als Vorrede dem Werke des Herrn Petavel vor-
angefchickt ift.

Strafsburg i/E. P. Lobftein.

Zahn, Paft. Detlev, Evangelium in den Episteln. Ein Jahrgang
Predigten nach der Textwahl von Thomafius
und nach der Schriftauslegung v. Hofmanns. Gotha,
Schloefsmann, 1890. (VIII, 597 S. gr. 8.) M. 6. —

Mit dem nicht ganz leicht verftändlichen Titel will
der Verf. dem Vorurtheil von dem ,gefttzlichen' Inhalt
der Epifteln entgegentreten und andeuten, dafs auch in
den ,Epifteln' lauter ,Evangelium' geboten wird. Diefe
Epifteln find die bairifchen Perikopen nach Thomafius,
welche der Verf. nach der Schriftauslegung von Hof-
mann's behandelt zu haben verfichert. Abgefehcn davon
, dafs kein Prediger einen Exegeten für die Schriftauslegung
feiner Predigten verantworlich machen kann —
auch v. H. würde fchwerlich allem zuftimmen, was der
Verf. in den vorliegenden Predigten als Auslegung
bietet, fo z. B. S. 15 ,Kronengerechtigkeit' (!) (II Tim.
4, 8) oder dafs die Anrede ,du Gottesmenfch' (aufser
I Tim. 6, 11 auch II Tim. 3, 17 und II, Petri 1, 21) ift ,die
höchfte Titulatur, welche wir gewöhnlich nur unferm
Herrn Jefu Chrifto beizulegen pflegen' u. a. — follte
u. E. ein theologifch gebildeter Prediger fich weder
fchriftlich noch mündlich auf einen Exegeten berufen.
So nothwendig und förderlich es ift, dafs der Prediger
tüchtige Schriftausleger ftudirt, und dafs v. H. unter den
erften zu nennen ift, dürfte jeder Theologe wiffen, fo
reicht der unmittelbare Ertrag diefes Studiums doch
nicht aus für die Schriftauslegung, welche der Prediger
felbft zu bieten hat und erfpart es diefem nicht, die Gewifsheit
des fich felbftbezeugenden Wortes durch felb-
ftändige Arbeit zu gewinnen. An diefer Arbeit hat
es auch Zahn keineswegs fehlen laffen. Wohlüberlegt
und gedankenreich bieten die 59 Predigten eine Fülle
von erbaulichem, namentlich lehrhaftem Stoff. Man merkt
es den Predigten an, dafs der Verf., welcher diefen
! Jahrgang feiner Gemeinde zur Erinnerung an 25 Jahre
I feines Dienftes am Wort gewidmet hat, ein gut Stück
feiner Arbeit auf die Predigt zu verwenden pflegt. Be-
| fonders dankenswerth ift die ausführliche Berückfichtigung
I der Miffion in fünf Predigten der Trinitatiszeit. Auch
I andere Predigten gehen direct ein auf die gegenwärtigen