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Ausgabe:

1891 Nr. 19

Spalte:

473-474

Autor/Hrsg.:

Gottlieb, Thdr.

Titel/Untertitel:

Über mittelalterliche Bibliotheken 1891

Rezensent:

Gebhardt, Oscar

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Seite 1

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473 Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 19. 474

Leetüre ift das Buch freilich auch dadurch noch nicht
geworden und kann es nicht werden. Denn das Ge-
heimnifs, wie man auf geiftigem Gebiete werthvollen Gewinn
ohne ernfte Arbeit einfammeln kann, ift bis jetzt
noch nicht gefunden. Demjenigen aber, der ernfte Arbeit
nicht fcheut, wird das Studium der Meyer'fchen
Commentare in ihrer alten und neuen Geftalt auch ferner
fich als lohnend erweifen.

Die Refultate der Auslegung find felbftverftändlich
in allen wichtigeren Fällen auch in diefer 8. Aufl. die-
felben, wie in den beiden ebenfalls fchon von Weifs bearbeiteten
vorhergehenden. Da fie bekannt find, wäre
eine Discuffion derfelben hier nicht am Platze. Zur Erwägung
möchte ich nur anheimgeben, ob die Enthaltung
von Fleifch- und Weingenufs bei den ,Schwachen' in
der römifchen Gemeinde beftimmt auf effenifchen Ein-
flufs zurückzuführen ift. Lucius (Der Effenismus 1881)
hat bekanntlich darauf aufmerkfam gemacht, dafs diefe
beiden Punkte bei den Effenern fich nicht nachweifen
laffen.

Kiel. E. Schür er.

Gottlieb, Thdr., Ueber mittelalterliche Bibliotheken. Leipzig
, Harraffowitz, 1890. (XII, 520 S. gr. 8.) M. 14. —

,Das Buch will eine Zufammenfaffung der aus dem
Mittelalter überlieferten, mannigfachen Nachrichten über
Bücher geben, foweit diefelben in urkundlicher Form
überliefert find'. In erfter Linie kommen dabei die uns
erhaltenen alten Bibliothekskataloge in Betracht, in zweiter
Verzeichnifse teftamentarifch vermachter, gefchenkter,
verkaufter, verliehener Bücher u. dergl. Aber wohl gemerkt
: nicht die Verzeichnifse felbft hat der Verf. fam-
meln wollen, fondern nur die darauf bezüglichen Nach -
richten. In diefem Sinne will er felbft es fich gefallen laffen
, wenn man fein Buch als ein folches bezeichnet, welches
beftimmt ift, den Vorläufer eines den Gegenftand
feinem Inhalte nach verarbeitenden, abfchliefsenden Werkes
zu bilden. Ein folches Werk würde die Kräfte eines
Einzelnen überfteigen. Erft wenn eine gelehrte Genoffen-
fchaft dazu die Hand böte, könnte die Herausgabe diefer
alten Bibliotheksdocumente in befriedigender Form
unternommen werden. — So möchte auf den erften
Blick das vorliegende Buch als eine Sammlung literari-
fcher Notizen erfcheinen, deren Werth lediglich darin
beftände, jenem von der Zukunft zu erwartenden gröfse-
ren Unternehmen als Vorarbeit zu dienen. Wäre dies
der Fall, fo könnte Ref. fich eine Anzeige des Buches in
der Theol. Lit.-Ztg. fparen. In der That aber wird jeder
, welcher fich die Mühe nicht verdriefsen läfst, den
ftarken, zum gröfsten Theil aus trockenen bibliographi-
fchen Nachweifungenbeftehenden und nur feiten einen zu-
fammenhängend lesbaren Text bietenden Band mit Auf-
merkfamkeit zu durchmultern, bald die Ueberzeugung
gewinnen, dafs fich mannigfache Belehrung daraus
fchöpfen läfst.

Das Ziel, welches dem Verf. vorfchwebt, ift, wie er
in der Einleitung zeigt, vor ihm fchon von Mehreren ins
Auge gefafst worden. Ja felbft an einem Verfuche der
Ausführung hat es nicht gefehlt. DieSammlung alter Hand-
fchriftenkataloge, welche Guftav Becker i. J. 1885 unter
dem Titel ,Catalogi Bibliothecarum antiqui' veröffentlichte
, ift gewifs den meiften Lefern diefer Zeitung bekannt
, und manchem wird fie, trotz ihrer Unvollftändig-
keit und Unvollkommenheit, gute Dienfte geleiftet haben.
Der Verf. urtheilt über diefen erften Verfuch wohl etwas
zu hart. Gewifs aber ift, dafs er felbft, durch die Munincenz
der kaiferl. Akademie der Wiffenfchaften zu Wien in den
Stand gefetzt im Intereffe der Sache gröfsere Reifen zu
unternehmen, über ein ungleich reicheres und ficherer
fundirtes Material verfugt als Becker. Dies lehrt fchon eine
rein äufserliche Vergleichung. Während bei Becker der
Abdruck der Kataloge bis zum 13. Jahrh. 285 Seiten und

das Verzeichniis derjenigen vom 13. bis 15. Jahrh. nur
18 Seiten umfafst, nehmen bei Gottlieb allein die Nachrichten
über Kataloge bis zum Jahre 1500, bei ungefähr
gleichem Format, nicht weniger als 259 Seiten ein. Und
wenn man bedenkt, dafs der Verf., wie er uns verfichert,
überall bemüht gewefen ift auf die Quelle felbft zurückzugehen
, und dafs er nur auf folche Kataloge und bibliogra-
phifche Notizen Rückficht genommen hat, deren Original
oder Abdruck er felbft gefehen oder über die er
fichere Nachrichten durch Andere erhielt, fo kann man
feinem Fleifs und Eifer nur volle Anerkennung zollen.
Wenn nichtsdeftoweniger Ungenauigkeiten nicht überall
vermieden und auch nicht alle erreichbaren Daten zufam-
mengebracht find, fo wäre es im Hinblick auf das überaus
weitfehichtige und an den entlegenften Orten zerftreute
Material unbillig, hierüber mit dem Verf. ins Gericht zu
gehen, wenn er nicht felbft durch die ftrenge Beurthei-
lung der Leiftungen Anderer zu rückfichtslofer Kritik
des eigenen Werkes herausforderte (vergl. die Anzeige von
Perlbach im Centralblatt für Bibliothekswefen, Jahrg. VIII
S. 127 ff).

Auf die Zufammenftellung der Nachrichten über
Kataloge der Bibliotheken von Deutfchland, Frankreich,
Grofsbritannien, Italien, Niederlande, Scandinavien und
Spanien (S. 15—273) folgen Mufter zur Herausgabe alter
Kataloge (S. 275—298), Notizen über Anordnung der
Bibliothek en im Mittelalter (S. 299—3^9)? Beiträge zur
Gefchichte einiger Bibliotheken (S. 331—361), Miscellen
(S. 363—435: hier befonders Schenkungen u. dergl.), In-
directe Quellen (S. 437-—449: Hinweife auf die von ver-
fchiedenen Schriftftellern angeführten älteren Autoren),
Nachträge und Verbefferungen (S. 451—466) und endlich
ausführliche Indices über Bibliotheken (S. 467— 486),
Namen und Sachen (S. 487—509) und benützte(?)Hand-
fchriften (S. 510—520). Näheres Eingehen auf die einzelnen
Abfchnitte verbietet fich durch den diefer Anzeige
bemeffenen Raum. Nur an einem Beifpiel mag
gezeigt werden, wie fehr auch von den Theologen die
hier verhandelten Fragen beachtet zu werden verdienen.

Unter den Beiträgen zur Gefchichte einzelner Bibliotheken
findet fich auch ein Abfchnitt über die Bibliothek
des Klofters Reichenau. Ein grofser Theil der Hff diefer
Bibliothek befindet fich, wie bekannt, gegenwärtig in der
grofsherzoglichen Bibliothek zu Karlsruhe. Reichenauer
Kataloge liegen uns aus der erften Hälfte des 9. Jahrh.
vor. Der Verfuch, die erhaltenen Hff. in diefen Katalogen
nachzuweifen, führt zu dem überrafchenden Ergeb-
nifs, dafs die für die kaiferl. Akademie der Wiffenfchaften
zu Wien angefertigte (handfehriftliche) Befchreibung
der für die Kirchenväter wichtigen Codices Augienfes
einen grofsen Theil diefer Hff. ins 10., einige fogar ins
11. Jahrh. verfetzt, während diefelben — die Richtigkeit
der Identificirung vorausgefetzt — fchon in der erften
Hälfte des 9. Jahrh. vorhanden waren. Was übrigens
die Vollftändigkeit der von G. (S. 350 ff.) aufgeftellten
Lifte anbetrifft, fo erweckt es für diefelbe kein günftiges
Vorurtheil, dafs eine Reichenauer Hf., welche Ref. zufällig
in diefen Tagen in Händen hatte, darin fehlt, obgleich
fie mit Becker 9, 1 (liber unus praegrandis in quo
continentur passiones et vitae martyrum confessorumque
nonnullorum, in quo inprimis ponitur passio SS. martyrum
Processi et Martiniani) ficher identifch ift, nämlich
der Cod. Aug. XXXII, welcher noch heute mit der passio
Processi et Martiniani beginnt.

Die vorzügliche Ausftattung des Buches verdient
um fo mehr anerkannt zu werden, als die Verlagshandlung
fich von vornherein auf ein grofses Publicum keine
Rechnung gemacht haben wird.

Berlin. O. v. Gebhardt.