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Ausgabe:

1891 Nr. 19

Spalte:

472-473

Autor/Hrsg.:

Meyer, Wilh.

Titel/Untertitel:

Kritisch exegetischer Kommentar über das Neue Testament 1891

Rezensent:

Schürer, Emil

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471 Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 19. 472

Danke für diefe äuagyr und mit dem Wunfche, dafs es
ihm bald vergönnt fein möge, im Vereine mit Cohn das
grofse Hauptwerk folgen zu laffen.

Kiel. E. Schürer.

Weiss, Dr. Bernh., Die Johannes-Apokalypse. Textkritifche
Unterfuchungen und Textherftellung. [Texte u. Unter-
fuchungen zur Gefchichte der altchriftl. Literatur von
O. v. Gebhardt u. A. Harnack, VII. Bd., 1. Hft.] Leipzig
, Hinrichs, 1891. (VI, 225 S. gr. 8.) M. 7. —

Seinen zahlreichen und hervorragenden Verdienften
um die Textkritik des Neuen Teftamentes hat der Verf.
mit den obigen Unterfuchungen ein neues, nicht minder
wefentliches an die Seite geftellt. Noch eingehender als
es in den Commentaren zu Marcus (1872) und Matthäus
(1876) gefchehen ift, find hier die Handfchriften der Apo-
kalypfe nach ihren charakterifbfchen Eigenthümlichkeiten
gefchildert. Mit minutiöfefter Sorgfalt und erfchöpfender
Vollftändigkeit find die Abweichungen regiffrirt und
claffificirt und darnach der Werth der Handfchriften benimmt
. Wie eingehend diefe Unterfuchungen find, zeigt
fchon ihr Umfang (S. 1 —156). Sie befchränken fich auf
die fünf uns erhaltenen Majuskel-Handfchriften. Denn
den übrigen Text-Zeugen (Minuskel-Handfchriften, alten
Ueberfetzungen und patriftifchen Citaten) mifst W. einen
fo untergeordneten Werth bei, dafs er fie für die Feft-
ftellung des Textes nicht in Betracht zieht (S. 153f.).
In Betreff der Minuskelhandfchriften ift dies gewifs richtig
; und in Betreff der alten Ueberfetzungen ift ihre Zu-
ruckftellung zunächft dadurch gerechtfertigt, dafs ihre
Texte noch nicht in zuverläffigen Ausgaben vorliegen.
Wenn dies einmal der Fall fein wird, werden fie doch
nicht völlig ignorirt werden dürfen, da fie beim Auseinandergehen
der griechifchen Handfchriften zuweilen die
Sicherheit der Entfcheidung nach der einen oder andern
Seite hin verftärken.

Die Unterfuchung beginnt mit den beiden jüngeren
Handfchriften, dem Porfirianus (P) und dem Bafiliano-
Vaticanus (welchen Weifs nicht mit B., fondern mit Q
bezeichnet). Das Ergebnifs ift, dafs von den ihnen eigen-
thümlichen Lesarten (im Ganzen 480) die grofse Mehrzahl
(nämlich 380) bewufste Emendationen find. Anders
fteht es bei den drei älteren Handfchriften, dem Sinaiti-
cus (N), Alexandrinus (A) und Ephraemi (C). Sie haben
zufammen etwa 830 Text-Varianten. Hiervon find aber
nur die Minderzahl, nämlich 250, bewufste Emendationen.
Die Mehrzahl find entweder reine Nachläffigkeitsfehler
oder willkürliche Aenderungen. Alle diefe Claffen von
Fehlern find in X bei weitem am zahlreichften vertreten;
weit geringer in AC. Letztere geben alfo den relativ
beften Text. Aber freilich nur relativ. Es giebt Fehler,
welche AC, folche, welche tfC, und folche, welche xA ge-
meinfam haben. Die Uebereinltimmung je zweier ift
alfo noch keineswegs eine Bürgfchaft für die Richtigkeit
des Textes. Genauer unterfcheiden fich A und C fo,
dafs A noch mehr als C die Licht- und Schattenfeiten
des älteren Textes aufweift, d. h. er hat weniger Emendationen
als C, dafür aber mehr Schreibfehler und willkürliche
Aenderungen.

Auf Grund diefes methodifch gewonnenen Urtheils
über den Charakter und Werth der Handfchriften giebt
Weifs S. 157—225 den Text der Apokalypfe nach eigener
Recenfion. Derfelbe ftimmt mehr mit dem Text von
Weftcott-Hort als mit dem von Tifchendorf, da letzterer
den Sinaiticus ftark überfchätzt hat. Die Uebereinftim-
mung zwifchen Weifs und den englifchen Herausgebern
ift aber beim Text der Apokalypfe nicht fo grofs wie
beim Evangelientext, was wefentlich daran liegt, dafs
hier eine fo mafsgebende Handfchrift wie der Vaticanus
fehlt. Der Alexandrinus ift zwar für die Apokalypfe die
relativ befte Handfchrift, aber keineswegs eine fo gute,

I wie der Vaticanus es für die Evangelien nach dem über-
einftimmenden Urtheile von Weifs und Weftcott-Hort ift.
Während nun die englifchen Herausgeber auch bei der
Apokalypfe fehr geneigt find, der Autorität ihrer beften
Handfchrift zu folgen, entfcheidet Weifs mehr von Fall
zu Fall je nach dem individuellen Charakter der vorhandenen
Abweichungen; und dies veranlafst ihn öfters, als
es von Weftcott-Hort gefchieht, die Autorität von A zu
verwerfen. In der Mehrzahl der Fälle dürfte die Entfcheidung
von Weifs zu billigen fein, obwohl manches
zweifelhaft bleiben mufs.

Die dem Texte beigegebenen Anmerkungen dienen
nicht nur der Textkritik, indem fie namentlich auf die
betreffenden Abfchnitte der Prolegomena verweifen, fondern
fie geben auch fehr fchätzbare Winke für die fprach-
liche und fachliche Erläuterung des Buches.

Etwa gleichzeitig mit der Arbeit von W. über den
griechifchen Text der Apokalypfe erfchien die von Häuf s-
leiter über den lateinifchen Text derfelben (Forfchun-
gen zur Gefchichte des neuteftamentlichen Kanons IV.
Teil, hrsg. von Haufsleiter und Zahn, 1891, S. 1—224).
| W. konnte diefelbe nicht mehr berückfichtigen, würde aber
] bei feiner Anfchauung von dem geringen Werth der alten
Verfionen den weitgehenden kritifchen Folgerungen,
welche H. S. 207—224 zieht, wohl nicht beigeftimmt
haben.

Kiel. E. Schür er.

Meyer, Dr. Heinr. Aug. Wilh., Kritisch exegetischer Kommentar
über das Neue Testament. 4. Abth. Göttingen,
Vandenhoeck&Ruprecht'sVerl., 1891. (gr.8.) M. 8.—

Inhalt: Der Brief an die Römer. 8. Aufl., neu bearb. von Dr.
Bernh. Weifs. (III, 617 S.)

Schon die fechlte und fiebente Auflage des Meyer'-
fchen Commentares zum Römerbrief (1881 u. 1886) find
von Weifs bearbeitet worden. In beiden hat fich aber
W. darauf befchränkt, feine Anflehten zur Geltung zu
bringen unter Beibehaltung nicht nur des Meyer'fchen
Materiales, fondern auch der formellen Anlage des Ganzen
. Dies ift nun in der vorliegenden achten anders geworden
. Zwar das von Meyer mit raftlofem Fleifse an-
gefammelte gelehrte Material ift auch jetzt im Wefent-
lichen beibehalten. Nicht nur die reichhaltigen Belege
zur fprachlichen und fachlichen Erläuterung des Textes,
fondern auch die für jede exegetifche Einzelfrage ge-
fammelten Nachweifungen der Anflehten Anderer find
ohne wefentliche Verkürzung von Weifs wieder aufgenommen
worden. Da beides den eigentümlichen Charakter
und Werth des Meyer'fchen Commentares ausmacht,
fo wird man für die Erhaltung diefes Gutes allgemein
dankbar fein. Ja Weifs hat fich die Mühe nicht ver-
driefsen laffen, auch die Meinungen der neueften Erklärer,
Otto und Böhmer, überall zu regiftriren, obwohl diefe
mehr durch Eigenthümlichkeit als durch Richtigkeit fich
auszeichnen. Was aber diefe neue Auflage von den
früheren wefentlich unterfcheidet, ift die formelle Um-
geftaltung. Im Grofsen und Ganzen ift nämlich jetzt
die Regiftrirung der Anflehten Anderer und die Ausein-
anderfetzung mit ihnen aus dem Texte ausgefchieden
und in die Anmerkungen verwiefen. Ganz confequent
ift dies zwar nicht gefchehen — eine pedantifche Confe-
quenz wäre hier auch nicht zweckmäfsig gewefen. Aber
die Ausfcheidung erftreckt fich doch auf die Haupt-
maffe des betreffenden Materiales. Man wird auch
diefe Umgeftaltung als dankenswerth bezeichnen dürfen.
Denn es fteht nun dem Lefer frei, ob er von diefem
Materiale Kenntnifs nehmen will oder nicht. Wer darauf
verzichten will, kann fich ungehindert in die Auslegung
, wie fie im Texte geboten wird, vertiefen, ohne
durch die Gefchichte der menfehlichen Irrungen immer
wieder davon abgezogen zu werden. Eine leichtflüffige