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Ausgabe:

1891

Spalte:

450-452

Titel/Untertitel:

Die russischen Sektierer mit besonderer Berücksichtigung der neueren evangelischen Strömungen in der orthodoxen Kirche 1891

Rezensent:

Eck, Samuel

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himmlifchc Manna und die heilfame Artzeney der Seelen
fürgetragen wird, denen die JESUM, den bewährteften
Seelen-Artzt lieben' ... II. ,Hausz-Buch Einfältig Gläubiger
Chriften, Verfaffet als eine Hausz-Apothek und Prä-
fervativ Wider alle gefährlich-graffirende Seelen-Krankheiten
bei diefen letzten Zeiten* . . . (738 und 328 S. fol.).
Die Anordnung des Stoffs (auch der Titel?) fcheint
nicht von Münchhaufen felbft, fondern von dem Herausgeber
Johann Tanckmar herzurühren. Noch oder wieder
1763 war diefes ,fehr fchöne' Werk bekannt. Seitdem
mufs es in Vergeffenheit gerathen fein, wie das Schweigen
des Verfaffers über alle neuere Literatur annehmen läfst.
Auf der Gräflich Stolberg'fchen Bibliothek zu Wernigerode
fand er ein Exemplar der dritten, fphter (wo?) auch eins
der zweiten Ausgabe. Nach einem einleitenden Abfchnitt
über den Lebensgang und das Lebenszwerk M.'s folgen
unter den Auffchriften ,2. Der Prediger. 3. Der Kinderfreund
. 4. Der Beter. 5. Der Dichter'. Auszüge aus
dem Werk. Für die Mittheilung derfelben wird dem
Verfaffer Jeder dankbar fein, der fich für die ältere as-
ketifche Literatur des Lutherthums intereffirt. Denn er
wird ganz recht haben, wenn er das Erbauungsbuch M.'s
zu dem Berten zählt, was wir aus dem Anfang des 17.
Jahrhunderts befitzen. Unter den mitgetheilten Proben
finden fich in der That Perlen frifcher, ungekünftelter,
durch ihren fprachlichen Ausdruck wie die Gefundheit
ihrer Gedanken gleich ausgezeichneter religiöfer Rede.
Ein abfchliefsendes Urtheil über die befondere Art der
Frömmigkeit M.'s erlauben indeffen weder die ausgewählten
Stücke, noch die einleitenden Bemerkungen des Verfaffers
. Zur Beantwortung der Fragen, welche die Kirchen-
gefchichts - Forfchung des letzten Jahrzehnts auf diefem
Gebiete angeregt hat, giebt der Verfaffer keine Anleitung.
Er ordnet feinen Helden einfach der ,Strömung warmer,
inniger, perfönlicher Frömmigkeit' ein, die, ihren Ausgangspunkt
in Johann Arndt nimmt'. Allein von fpecifiich
Arndt'fchem Einflufs ift in Allem, was er mittheilt, nichts
zu fpüren. Er bemerkt zwar, dafs M.'s Liebe zu Jefus,
dem Sünderheiland an einzelnen Stellen an die mittelalterlichen
myftifchen Liebesergüffe vor dem Herrn erinnert
, ohne doch wie jene füfslich und excentrifch zu
werden'. Aber weder findet fich in den Auszügen etwas
der Art, was die gefunde Grenze des Verföhnungsglaubens
überfchritte — durchweg erfcheinen Sündenvergebung und
Vorfehungsglaube eng verbunden — noch will die, ganz
der Lebensführung M.'s entfprechende,energifcheBetonung
praktifcher Frömmigkeit im Gegenfatz zu ,geruhfamer
Scheinheiligkeit' — S. 19 f. findet man eine treffende
Würdigung des irdifchen Berufs — ein Abbiegen in jener
Richtung nahelegen. Wie wenig M. zu ,myftifchen' Aus-
fchreitungen überhaupt disponirt war, fcheint mir der
S. 73 ff. mitgetheilte .Morgengefang' zu beweifen. Der-
felbe beginnt mit den Worten: ,Wie fchön leuchtet der
Morgenftern' und fchliefst fich formell der Weife diefes
Liedes an. Aber es ift ein wirklicher ,Morgenftern' gemeint
. Und während fich der Dichter von religiöfer
Naturbetrachtung zu kräftiger Anbetung der Vorfehung
Gottes erhebt, deren er fich trotz fchwerer Sündenfchuld
um Chrifti willen getroffen darf, erinnert keine leife Andeutung
in dem ganzen Liede an die Vorlage von Ph.
Nicolai. Wäre das möglich, wenn der religiöfe Gedankengehalt
der letzteren ihm als ein voll angeeigneter, innerer
Belitz gegenwärtig gewefen wäre? Aehnliche Beobachtungen
kann man mehrfach anftellen. Wie wichtig aber,
zumal für das Verftändnifs Spener's, die Kenntnifs der
Frömmigkeit diefes Laienpredigers, der aber zwei Jahre
in Giefsen und Tübingen Theologie ftudirt hat, fein
mufs, leuchtet ein. Vgl. Ritfehl, Piet. II, S. 126 ,daneben
findet eine nüchternere, fpeeififeh lutherifche Methode
der Erbauungsliteratur zahlreiche Vertreter'. Einer von
diefen, und nicht der unbedeutendfte, wird M. gewefen
fein.

Rumpenheim. S. Eck.

Die russischen Sektierer mit befonderer Berückfichtigung
der neueren evangelifchen Strömungen in der orthodoxen
Kirche. Leipzig, Aug. Neumann's Verl., 1891.
(VII, 53 S. gr. 8.) M. 1.20.

Diefes Schriftchen zerfällt in zwei Theile. S. 3—18
berichtet Verfaffer über ältere ruffifche Secten. Verglichen
auch nur mit Gerbel-Embach .Ruffifche Sectirer' (Zeitfragen
d. ehr. Volkslebens VIII, 4) bieten diefe Ausführungen
nichts Neues. Hingegen lieft man kaum eine
Seite ohne fprachliche und fachliche Anftöfse. S. 7 und
fonlt lies Staiobrjadzy ftatt Starobradzi, Bespopowzy ft.
Bespopowtfchini, S. 13 Chlyfty ft. Chliftowtfchini, ferner
durchgängig Duchoborzen ft. Duchoboren, Molokanen ft.
Malakanen, S. 18 Schaloputen ft. Scholoputen, S. 19
Radftock ft. Raftock, S. 21 Balaban ft. Balabok, S. 28
Tudorowka ft. Tudri. Für den deutfehen Lefer ift es
irreführend, wenn derfelbe Mann S. 6 Andreas Dionyfo-
witfeh, S. 9 Denifow (1. -flow) heifst. S. 8 leitet Verf.
den Namen Starodubowzy davon ab, dafs ,fie fich in den
Wäldern aufhielten (Dub = Eiche)', während er einfach
von dem Flecken Starodub im Gouv. Tfchernigofif herkommt
. Er fchreibt S. 9: ,die Pomoränen oder Wiedertäufer
', wiewohl jener Name mit der Taufe nichts zu thun
hat, fondern nur auf die Oertlichkeit am weifsen Meere
hinweift. Er bezeichnet S. 13 die Chlyfty oder Selbft-
geifsler als eine Abzweigung der Skopzen, nachdem er
vorher diefe aus einer Reformbewegung unter den .Gottes-
menfehen' hergeleitet hat, die mit den erftgenannten
identifch find. Er berichtet S. 7 unter der Ueberfchrift:
,die Jedinowerzen' über Ereignifse aus den Jahren 1735
und 1763, wiewohl jene Compromifspartei erft mit dem
Jahre 1800 ins Leben getreten ift (f. Gerbel-Embach S. 66,

| Leroy-Beaulieu, Das Reich der Zaren III, S. 400 fr. der
deutfehen Ueberfetzung). Mit keinem Wort deutet der
Verf. an, wie unbedeutend diefe Gruppe von Altgläubigen
ift. Aber vor Allem bringt feine Notizenfammlung weder
die religiöfen Triebkräfte noch die kirchlich-fociale Bedeutung
des Raskol zum Verftändnifs. Jene find in der
,ftarren Gewohnheit des Mönchthums' nur fehr oberflächlich
gekennzeichnet, über diefe aber mag fich der Lefer
bei einer gelegentlichen Bemerkung über ,die bereits erfolgte
Erfcheinung des Antichrifts' zwifchen den Zeilen
unterrichten, oder fich feine eigenen Gedanken darüber
machen, wie doch verfchiedene diefer ,Irrgläubigen' dazu
kommen, an das Fortleben eines verftorbenen Kaifers zu
glauben. Ganz ungenügend ift die Unterfcheidung zwifchen
Altgläubigen und Irrgläubigen Denn unter jenen treibt
die Ablehnung des kirchlichenPriefterthums und Myfterien-
wefens gelegentlich Erfcheinungen hervor, die fehr nahe
an das heranreichen, was der Verf. ,Irrglauben' nennt;
für die Gruppen aber, die er unter diefem Namen zu-
fammenfafst, ift die Frage nach Ortho- oder Hetero-
doxie viel weniger wichtig, als die andere nach den Ein-
flüffen, unter denen fie entftanden find. Unter diefem
Gefichtspunkte aber würden Chlyften und Skopzen aus
in Rufsland einheimifchen Motiven herzuleiten fein. Hier
wäre ein Wort über orientalifches Mönchthum an feinem
Platz, vgl. bei Leroy S. 442 Angaben, die ein deutfeher
Symboliker wohl an den Eingang des betreffenden
Abfchnittes verfetzen möchte. Dagegen machen fich in
den ganz andersartigen Secten der Duchoborzen und
Molokanen deutlich auswärtige Einflüffe geltend. Statt
fie mit jenen zu verbinden, hätte der Verf. gut gethan
in ihnen Vorläufer der .evangelifchen Strömungen' zu erkennen
, fie alfo mit diefen in einem Cap. zu vereinigen.

An diefen letzteren (S. 18—53) haftet nun das Haupt-
intereffe des Verf.'s. Er ift hier offenbar beffer unterrichtet
, läfst aber ein tieferes Eindringen in die gefchicht-
lichen Vorausfetzungen und Bedingungen auch hier
vermiffen. Wenn er mit einigem Recht von der Bibelverbreitung
in Rufsland ausgeht, fo ift es doch irreführend,

I wenn der einflufsreichen Erfcheinung Pafchkoff's nur einige

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