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Ausgabe:

1891 Nr. 16

Spalte:

402-404

Autor/Hrsg.:

Wiesener, Wilh.

Titel/Untertitel:

Die Geschichte der christlichen Kirche in Pommern zur Wendenzeit 1891

Rezensent:

Mirbt, Carl

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401 Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 16. 402

litik, der Entwicklung der Diöcefe Bamberg und der dem I
Hochftift unterworfenen Klöfter zur pragmatifchen Dar- '
ftellung zu bringen'. — Was von dem Wirken ütto's in
den beiden letztgenannten Richtungen berichtet wird,
erregt freilich zunächft nur fpecialgefchichtliches Intereffe.
Aber da die Kirchengefchichte Deutfchlands damals noch
grofsentheils Bisthumsgefchichte ift, rückt auch die Diöce-
fanthätigkeit eines einzelnen Bifchofs, zumal eines Mannes
wie Otto, in gröfsere Zufammenhänge. Die Art und Weife,
wie diefelbe von dem Vf. gefchildert wird, ift fehr inftruc-
tiv, weil Otto's Bemühungen um Mehrung des Befitzes
feiner Kirche und feiner Klöfter eine typifche Erfchei-
nung darftellen. Wir empfangen dabei hier nicht den Eindruck
habfüchtigen Zufammenfcharrens irdifcher Güter.
Denn die Mildthätigkeit des Bifchofs, wenn Noth eintritt,
fein Verftändnifs für die grofsen Aufgaben der Kirche
werfen ein verklärendes Licht auch auf feine äufseren
Sorgen. Otto ging nicht auf in dem Streben nach Privilegien
und Schenkungen für feine Inftitute.

Otto war keine hierarchifche Natur. Dies zeigt fein
Verhalten gegenüber der Staatsgewalt, wie gegenüber
feinen Standesgenoffen. Daher fehlt freilich feinem Leben
der pikante Reiz, welchen die Verflechtung in politifches
und kirchliches Intriguenfpiel auch dann verleiht, wenn
die betreffende Perfönlichkeit fittlich minderwerthig ift.
Man könnte geneigt fein, ihm Initiative völlig abzufprehen,
wenn nicht feine Miffionsexpeditionen das Gegentheil be-
wiefen. Jedenfalls hatte er nicht den Trieb, feine Perfon
in den Vordergrund zu fchieben. Die Biographie eines
folchen Mannes würde der Gefahr, langweilig, mindeftens
monoton zu werden, ftark ausgefetzt fein, wenn nicht in
der Liebenswürdigkeit feines Charakters ein Gegengewicht
gegeben und zugleich eben diefer Mann gezwungen
worden wäre, auch in der Reichs- und Kirchenpolitik
eine wachfend grofse Rolle zu fpielen.

Als Bifchof hat Otto fünf Päpfte erlebt, vier deutfehe
Könige. Seine Anfänge fallen in die Zeit des endenden
Inveftiturftreites, an feinem Lebensabend beginnt der
Kampf zwilchen Staufer und Weifen. Die Hitze des
erfteren Streites hatte fchon nachgelaffen, als er den bi-
fchöflichen Stuhl beftieg. Aber bereits der Conflict
zwifchen Heinrich V. und Heinrich IV. nöthigte ihn zum
Aufgeben der neutralen Referve. — Kein Parteimann,
mufste er doch Partei ergreifen — er entfehied fleh für
Heinrich V. gegen den Gebannten (S. 58). So wenig
die Haltung des erfteren in der Folgezeit ihn befriedigt
haben wird, er ift ihm dann treu geblieben (S. 290). Denn
Otto war ftreng kirchlich, aber nicht kirchlich im Sinn
der Gregorian. Fanatiker. Bei dem päpftlichen Schisma
des J. 1130 traten der heilige Bernhard, Norbert fofort
für Innocenz II. ein, Otto gehörte zu denen, welche mit
ihrer Entfcheidung zurückhielten (S. 363 ff.). Die Miffions-
züge Otto's nach Pommern (268—287; 322—50), deren
Früchte fortbeftehen, indefs feine anderen Schöpfungen
zerfallen find, werden in ihrer Bedeutung treffend von
den Verf. gefchildert. Durch die Betonnung der fofor-
tigen Anknüpfung von Handelsbeziehungen zwifchen Bamberg
und Pommern (415), wie der Sicherung der Miffions-
erfolge durch kirchliche Organifationen (404.416.445.446),
wobei Otto nach rein fachlichen Motiven handelt, tritt
die Bedeutung der Miffionsexpeditionen für die Ausbreitung
der Cultur klar hervor; nicht minder für die Ausbreitung
des Deutfehthums. Aus der grofsartigen Ausftattung
der zweiten Expediton fchliefst Juritfch, dafs diefelbe von
Reichswegen subventionirt worden ift, (S. 333. 334. 347),
wie die erfte von dem Polenherzog Boleslavv ausgerüftet
worden war (S. 265).

Das literarifche Vcrhältnifs der Ottobiographien,
welche die Michelsberger Mönche Ebo und Herbord
(Jaffe' Bibl. V) und der des Klofters Prieflingen bei Regensburg
(MG. SS. XII.) bald nach dem Tode Otto's verfafsten,
ift durch Juritfch noch nicht aufgeklärt worden. ,Eine
reiche Literatur ift (über die Zeit der Abfaffung und ihre

Glaubwürdigkeit) angewachfen, ohne dafs es bis jetzt
gelungen wäre, eine von den drei Biographien als durchaus
zuverläffig zu bezeichnen. Wo fie untereinander
übereinftimmen, verdienen fle unfer vollftes Vertrauen.'
(S. 5. 6.)

Juritfch berückflehtigt S. 65. die harten Urtheile
mancher Zeitgenoffen über den entthronten Heinrich IV.,
welche fleh bis zur Befchuldigung des Götzendienftes
gefteigert hätten. Die Ann. Hildesh., welche als Beleg
angeführt werden, reden in der That (MG. SS. III, 110,19)
von dem Vorwurf des ,idola adorare1. Der Urfprung
diefes thörichten Vorwurfs dürfte darin zu finden fein, dafs
durch Gregor VII. wie durch die Schriftfteller feiner
Partei jeder Widerftand gegen denPapftals Idololatrie gebrandmarkt
wurde. Man begegnet im Registrum wie in der
Controversliteratur häufig der Wendung, scelus idololatriae
ineurrit, qui apostolicae sedi oboedire contemnit' (fogar die
Form ,peccatum paganitatis ineurrit, qui etc.' ep. coli. 28).
Die Anklage auf Idololatrie zog durchs Land und wirkte.
Die päpftliche Motivirung aber ging verloren oder wurde
nicht verftanden. So kam man darauf, als Erklärung die
urfprüngliche Bedeutung des Wortes zu verwenden und
ftempelte Heinrich zum Heiden, ohne zu wiffen, warum.
— Die Afperfionstaufe als erft im Mittelalter entftanden
zu bezeichnen und die Form des Untertauchens als die
urchriftliche (S. 271), ift angefichts Didache c. 7 nicht mehr
zuläffig.

Marburg. Carl Mirbt.

Wiesener, Paft. Wilh., Die Geschichte der christlichen Kirche
in Pommern zur Wendenzeit. Berlin, Wiegandt & Grieben,
1889. (VII, 355 S. gr. 8.) M. 5.-

Seit 1628 das pommerfche Kirchenchronicon Kramer's
erfchien, hat dieKirchengefchichtePommerns,wie Verfaffer
im Vorwort bemerkt, keine selbftändige Bearbeitung gefunden
. Die Berückfichtigung von Seiten politifcher Hifto-
riker wie Barthold, L. Gicfebrecht, Fock konnte nur eine
gelegentliche fein und Kanngiefser's Unterfuchungen er-
ftreckten fleh nur auf die Bekehrungsgefchichte Pommerns.
Wenn fchon diefe Sachlage allein unter gewöhnlichen
Umftänden zum erneuten Durcharbeiten des gefammten
kirchengefchichtlichen Stoffes hätte auffordern können,
fo begründet der Verf. doch mit Recht fein Unternehmen
wefentlich durch die erft nach jenen Gefchichtswerken
zugänglich gewordenen Quellen für die Gefchichte Otto's
von Bamberg. An den kritifchen Unterfuchungen über
die letzteren hat fleh Verf. durch zwei werthvolle Specialarbeiten
in Forfch. z. d. G. Bd. XXV ,z. Rechtfertigung
Herbords, des Biographen Otto's I. v. Bamberg', Bd. XXVI
,Ebos vita Ottonis' betheiligt und eine andere Vorarbeit
in Brieger's Zeitfchr. f. KG. Bd. X ,Gründung d. Bisthums
von Pommern und die Verlegung d. Bifchofsfitzes v. Wollin
nach Cammin' niedergelegt.

Nachdem Cap. I durch eine Skizze der religiöfen und
culturellen Verhältnifse der Bewohner Pommerns in der
vorchriftlichen Zeit den Lefer mit Land und Leuten bekannt
gemacht (S. 1—20), fchildert Cap. II (S. 20—45)
die erften Miffionsverfuche unter den Wenden bis zum
Anfang des 12. Jahrh. Ihr Ergebnifs war ein totaler
Mifserfolg; weder das deutfehe Reich noch Polen, das
die Mifflon von Offen her aufgenommen, als man fie
deutfeherfeits eingeftellt (S. 34), hatten mit ihrer bewaffneten
Mifflon etwas dauerndes erreicht. In die Reformation
des Mifflonsbetriebes und zur Begründung des
Chriftenthums in Pommern leitet hinüber Cap.III(S.45 —77),
welches von derUnterwerfung Pommerns durch Boleslav III.
v. Polen, dem verunglückten Miffionsverfuch des Camal-
dulenfers Bernhard u. der erften Reife Otto's v. Bamberg
berichtet. Der zweiten Miffionsreife diefes Pommern-
apoftels ift Cap. IV (S. 78—109) gewidmet. Cap. V zeigt
die Kirche Pommerns unter Bamberger Leitung, die Be-

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