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Ausgabe:

1891 Nr. 15

Spalte:

380-382

Titel/Untertitel:

Lateinische Literaturdenkmäler des XV. und XVI. Jahrhunderts. 1. u. 2. Heft 1891

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 15.

380

esse in statu perfectionis, nisi sit diaconus ordina-
tus, quantum cunq ue fe cerit votum paupertatis cas-
titatis et obedientiae.

2. In Haupt's Arbeit begrüfsen wir eine fehr dan-
kenswerthe Zufammenftellung von fehr kundiger Hand
über die Schickfale der Waldenfer auf dem bezeichneten
Gebiet, voll werthvoller einzelner Erörterungen und getragen
von dem Bemühen, die Fäden des gefchichtlichen
Zufammenhangs durch die verfchiedenen Zeiten möglichft
aufzudecken. Indem H. von der im Ganzen gewifs richtigen
Wahrnehmung ausgeht, dafs auf deutfchem Gebiet
die Katharer in der erften Hälfte des 13. Jahrhunderts
erheblich durch die Waldenfer zurückgedrängt worden,
ift er geneigt, in zweifelhaften Fällen die angefochtenen
und von der Inquifition heimgefuchten Ketzer als Waldenfer
anzufehen. Die Entfcheidung der Frage wird
freilich in einzelnen Fällen befonders dadurch erfchwert,
dafs die Beurtheilung der ketzerifchen Erfcheinungen von
Seiten der Inquifition durch die herkömmlich bei ihnen
vorausgefetzten Vorftellungen und lichtfcheuen Gebräuche
beeinflufst ift, für welche man denn auch, ohne fich auf
ftrenge Scheidung der verfchiedenen Secten einzulaffen,
durch die Schrecken der Folter Beweife zu erbringen
verfteht. Hierauf geftützt, weifs fich Haupt z. B. hinficht-
lich der öfterreichifchen Ketzer von 1311 ff. der Gegen-
inftanzen zu entledigen, um fie in ihrem gefchichtlichen
Zufammenhang mit früheren und fpäteren Erfcheinungen
der gleichen localen Verbreitung für Waldenfer zu erklären
. H. erinnert überdies felbft daran, dafs wenigftens
in Frankreich um die Mitte des 13. Jahrhunderts die der
Kirche entfremdeten Volkskreife oft gar keinen Unter-
fchied zwifchen katharifchen und waldenfifchen Reifepredigern
machten und dafs (nach David von Augsburg)
von den deutfchen Ketzern (Waldenfern, Ortlibern, Run-
cariern) jede Partei zwar eiferfüchtig darüber wachte, dafs
ihre Gläubigen nicht zum Uebertritt von den andern verlockt
werden, dafs fie aber der Kirche gegenüber ge-
meinfame Sache machten. Für die Zurückdrängung der
Katharer durch die Waldenfer ftützt fich H. auch auf
die fchon v. K. Müller, die Waldenfer Gotha 1886 (S.
148 [122]) hervorgehobene Stelle des Paffauer Anonymus,
woraus er fchliefst, dafs zu feiner Zeit die Katharer bereits
auf die Lombardei befchränkt gewefen, in Deutfch-
land nur noch die Runcarier, Ortliber und Leoniften
fich bemerkbar gemacht hätten. Allzuviel Gewicht möchte
ich doch den Worten nicht zufchreiben, zumal wenn man,
wie auch PI., gegen K. Müller der Meinung ift, dafs die
Ortliber nicht zu den Waldenfern zu rechnen feien,
fondern eher auf die katharifche Seite gehören. Auch
der ketzerifchen Begharden, die zweifellos damals in
Deutfchland vorhanden waren, gedenkt jene Stelle des
Anonymus nicht.

Dafs nun im Beginn des 14. Jahrhunderts, und dann
wieder unmittelbar vor Beginn der hufitifchen Bewegung
Böhmen und Mähren und die umliegenden deutfchen und
örtlichen Länder Hauptherde der waldenfifchen Secte
gewefen find, weift H. aufs Neue eingehend nach; dies
nöthigt ihn, neben den unzweifelhaften, neuerlich fo deutlich
ans Licht geftellten beherrfchenden Einflüffen der
Wiclifitifchen Bewegung auf die hufitifche doch die
Frage nach der Abhängigkeit des taboritifchen Programms
von dem waldenfifchen wieder zu erwägen. Zunächft
wenigftens infofern, als das Zufammentreffen und Zu-
fammenwirken zweier urfprünglich von einander ganz
unabhängiger und doch nächftverwandter Reformbewegungen
die unwiderltehliche Macht der hufitifchen
Volksbewegung auf einem durch waldenfifche Agitationen
vorbereiteten Boden erklärlich mache. Aber ohne
feinen Widerfpruch gegen Preger in diefer Frage aufzugeben
, glaubt H. doch auf einige einzelne Punkte hinweifen
zu muffen, in welchen fich waldenfifcher (nicht
Wiclifitifcher) Einfiufs auf taboritifche Anfch auungen
zeige. Als folche hebt er hervor 1) die vollftändige Ablehnung
der Lehre vom Fegfeuer durch die Taboriten,
während Wich zwar die kirchliche Doctrin über das
PVgfeuer und die kirchliche Einwirkung auf das Schickfal
der Seelen im Fegfeuer bekämpft, nicht aber die Exiftenz
des Reinigungszuftands felbft grundfätzlich leugnet (vgl.
S. 102 und Wiclif's vorfichtige Aeufserungen in den latei-
nifchen Streitfchriften, hrsg. von Buddenfieg, p. 646 f.).
2) Die Verwerfung jeder Eidesleiftung, von welcher bei
Wich nichts bekannt fei. Aber dafs Gegner Wiclif s diefem
die Verwerfung des Eides nachgefagt, und Wiclif felbft
diefe duramenti abstinentia' nicht von fich abgelehnt hat,
zeigt das von Lechler abgedruckte Capitel aus der Schrift
de Verdate sacrae scripturae (II, 605 ff.) auf S. 614 und
616. Und was den erften Punkt betrifft, fo hat H. felbft
anerkannt, dafs die Lollarden in der Leugnung der
Exiftenz des PVgfeuers über Wich hinausgegangen find;
für die populäre Anwendung lag dies nahe genug, nachdem
die religiöfe Entwerthung der kirchlichen Lehre
(Bekämpfung aller suffragia der Kirche für die Seelen
im Läuterungsfeuer) vollzogen war, ohne dafs man dafür
einen anderweitigen Einfiufs anzunehmen braucht.
Auch darin ift H. geneigt, Pr. Recht zu geben, dafs die
Taboriten die Lehre, dafs unwürdige Priefter die Sacra-
mente nicht wirkfam fpenden können, der Beeinfluffung
der Waldenfer verdankten, da weder Wiclif noch Hus
diefen Satz lehren. Aber viel möchte ich darauf nicht
geben, da die Lollarden die Lehre theilen, und bei Parteien
der Oppofition gegen die verweltlichte Kirche diefe
Strömung aufserordentlich nahe liegt.

Kiel. W. Möller.

Litteraturdenkmäler, lateinische, des XV. und XVI. Jahrhunderts.

Hrsg. von Max Herr mann und Siegfried Szama-
tölski. 1. u. 2. Hft. Berlin, Speyer & Peters, 1891,
(8.) M. 2. 80.

Inhalt: i. Gulielmus Gnapheus, Acolastus. Hrsg. von Johs.
Bolte. (XXVII, 83 S.) M. I. 80. — 2. Eckius dedolatus. Hrsg. von
Siegfr. Szamatölski. (XV, 52 S.) M. 1. —

Die beiden erften Publicationen des neuen Unternehmens
, eines Seitenftückes zu Braune's Neudrucken
deutfeher Litteraturdenkmäler des 16. u. 17. Jahrhunderts,
bieten forgfältig reproducirte Schriften der Reformationszeit
, die auch für den Theologen Intereffe gewähren. In
Heft 1 hat Joh. Bolte mit dem diefen Gelehrten auszeichnenden
Sammelfleifse und der Akribie, die wir an
feinen Arbeiten gewöhnt find, des Wilhelm Gnapheus
Drama vom verlorenen Sohne Acolaftus (Antwerpen
1529) herausgegeben und mit gefchichtlichen und biblio-
graphifchen Einleitungen, fowie mit einem trefflichen Nachweis
der zahllofen Stellen antiker Autoren ausgeftattet,
welche der Humanift dabei benutzt hat. Die Bedeutung
diefes Drama's liegt darin, dafs hier ,die Anmuth des
Plautus und Terenz mit der Würde eines biblifchen Stoffes'
vereinigt und ,das durch die Reformationsbewegung in
den Vordergrund gerückte religiöfe Ideal mit dem hu-
maniftifchen' verbunden ift. Gnapheus fchafft mit Be-
wufstfein hier eine neue literarifche Gattung, das bi-
blifche Schuldrama. Die kurzgedrängte Ueberficht,
welche Bolte S. XI ff. über Lebensgefchichte und Thätig-
keit des in der niedcrländifchen und preufsifchen Refor-
mations-Gefchichte viel genannten Verfaffers giebt, hat
fleh mit Tfchackert's grofsem Werk über die preufsifche
Reformation gekreuzt; keiner hat des Andern Arbeit benutzen
können; jeder bietet Ergänzungen zu den Ermittlungen
des andern. Zu Z. 1042 hätte wohl bei dem
filius (lOvöjQaunoq auf Lucil. ap. Non. 1, 168 verwiefen
werden können.

In Heft 2 bietet uns Szamatölski zwei Satiren auf
Joh. Eck, den berühmten Jickiits dedolatus'- von 1520,
der Wik Pirkheimer den Zorn des Ingolftädters zuzog
und veranlafste, dafs der Humanift in die Bannandrohung