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Ausgabe:

1891 Nr. 14

Spalte:

361-362

Autor/Hrsg.:

Splittgerber, A.

Titel/Untertitel:

Die Sünde wider den heiligen Geist 1891

Rezensent:

Kaftan, Julius

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 14.

362

ftehen fie auch mit anderweitigen Aeufserungen der
Evangelien in Widerfpruch; Paulus hat die Berichte
nicht gekannt, und ihr Inhalt findet in feiner Chriftologie
keinen Platz; der vierte Evangelift hat keinen Gebrauch
davon gemacht. In einem zweiten Abfchnitt wird die
Entftehung der Berichte daraus abgeleitet, dafs fie die
Gottesfohnfchaft Jefu zu erklären fuchen, in der Eorm
der Erzählung den Glauben an feine Gottheit begründen.
Und zwar tritt die fo gegebene Erklärung als eine
phyfifche neben die metaphyfifche, die den Präexiftenz-
gedanken im felben Sinn verwerthet. Altteftamentliche
Analogien und das mifsverfiandene Prophetenwort
Jef. 7,14 laffen diefen Erklärungsverfuch ganz verftänd-
lich erfcheinen, man braucht nicht an ein Hinüberwirken
griechifchen oder orientalifchen Legendenftoffs zu denken.
In einem dritten Abfchnitt wird kritifirt, was die Dog-
matik an Beweifen für die Notwendigkeit der vater-
lofen Geburt des Erlöfers beigebracht hat. Beruft fie
fich hierfür auf die Sündlofigkeit des Heilands, fo ift das
ohne alle biblifche Grundlage, trägt die auguftinifche
Erbfündenlehre in die Anfänge des Chriftenthums zurück
und verirrt fich fachlich genommen in die Untiefen einer
dogmatifchen Phyfiologie. Meint fie, das Dogma von
der Menfchwerdung hänge daran, fo ift vielmehr umgekehrt
zu fagen, dafs die Gedanken der Präexiftenz und
der übernatürlichen Zeugung fich urfprünglich aus-
fchliefsen. Vollends ift die moderne Theorie von Jefus
als dem Centralmenfchen, der als folcher nicht der Sohn
eines beftimmten individuellen Menfchen habe fein dürfen,
eine blofse Phantafie. Der vierte Abfchnitt endlich tritt
mit voller Entfchiedenheit für den religiöfen Grundgedanken
des Dogma's ein, dafs wir in Jefus Gott haben,
dafs er nicht von unten ift, fondern von oben — macht
aber geltend, dafs diefe Wahrheit durch das Dogma
materialifirt und verfchoben, nicht aber erhärtet oder
begründet wird. Eine kurze Zufammenfaffung bildet
den Schlufs, die zu den Erwägungen zurückkehrt, von
welchen der Verf. ausgegangen war.

Wer die gefchichtliche Betrachtung der heil. Schrift
als die richtige erkannt hat, wird gegen die Ausführungen
des Verfaffers kaum etwas einzuwenden finden. Denn
diefe Betrachtung entzieht dem in Rede flehenden Dogma
die gefchichtlich beglaubigte Grundlage und verweift die
Frage in das Gebiet dogmatifcher Erwägung. Hier jedoch
läfst es fich nicht begründen, da der Glaube in
diefem Stück wie in andern fich an die Thatfache hält,
an das ,Dafs', ohne fich um das ,Wie' zu kümmern. Die
Thatfache aber ift hier die, dafs Jefus aus und von Gott
war, während das Dogma von der übernatürlichen Zeugung
Auskunft über das ,Wie' zu geben fucht. Darin ftimme
ich dem Verfaffer zu. Immerhin würde ich einen Schritt
weiter gehen und dem Dogma den beftimmteren Gedanken
abgewinnen, dafs ein aufserordentlicher Anfang
des menfchlichen Lebens Jefu anzunehmen fei — nicht
als Glaubensfatz, wohl aber als Folgerung aus den That-
fachen, welche dem Glauben feftftehen. Denn fo wenig
die Sündlofigkeit Jefu als eine phyfifche Qualität ver-
ftanden werden darf, fo gewifs bleibt es doch dabei, dafs,
was ein Menfch in fittlicher Beziehung ift, auch einen
Grund in feiner Naturanlage hat, dafs daher die fittliche
Würde Jefu, durch die er fich von allen Andern abhebt,
auch auf ein Befonderes in feinem menfchlichen Ur-
fprung verweift. Indtffen, das ift von nebenfächlicher
Bedeutung, in der Hauptfache ftimme ich zu und kann
diefe Studie nur empfehlen.

Berlin. Kaftan.

Splittgerber, Paft. A., Die Sünde wider den heiligen Geist,

die Verftockungsfünde des Wiedergeborenen. Gütersloh
, Bertelsmann, 1890. (67 S. gr. 8.) M. 1.—

Der Verf. behandelt fein Thema in drei Abfchnitten.
Im erften Abfchnitt giebt er eine biblifch-pfychologifche

Schilderung der Steigerung der Sünde im allgemeinen
vor und nach der Wiedergeburt. Zweck derfelben ift, den
Ort zu beftimmen, an welchen die Sünde wider den heil.
Geift gehört. Und zwar wird gelehrt, dafs fie als die
einzige Sünde, die nicht vergeben werden kann, die
Verftockungsfünde ift, die höchfte Steigerung der Sünde
des Wiedergeborenen, welche die Umkehr ausfchliefst.
Im zweiten Abfchnitt folgt die biblifche Begründung,
d. h. die einzelnen Schriftftellen werden befprochen,
welche von der Sünde wider den heiligen Geift handeln
oder darauf zu beziehen find. Von den Worten des
Herrn Matth. 12,31 f. wird geurtheilt, dafs fie an die Jünger
gerichtet waren und ganz beftimmt eine Warnung des
Verräthers Judas bezweckten. An den übrigen Stellen
I I Joh. 5, 16 und Hebr. 6, 4 und IO, 26—29 wird nach-
gewiefen, dafs fie von der Sünde wider den heil. Geift
zu verftehen find und der hier vorgetragenen Anfchau-
ung von diefer entfprechen. Im dritten Abfchnitt werden
als hiftorifche Beifpiele Judas Ifcharioth und Franzesko
j Spiera befprochen. Ein kurzer Hinweis auf den feel-
! forgerlichen Verkehr mit Solchen, welche durch den Gedanken
, fich der Sünde wider den heil. Geift fchuldig
gemacht zu haben, angefochten werden, fchliefst das
Ganze ab.

Das Schwergewicht diefer Unterfuchung liegt im
erften Abfchnitt. Eine nachträgliche biblifche Begründung
, wie fie im zweiten Abfchnitt geboten wird, ift an

I und für fich fchon von fraglichem Werth, da fie Gefahr
läuft, das Schriftwort dem vorher feftgeftellten Refultat
anzupaffen und unterzuordnen. Und die hier gegebene
Erklärung der Hauptftelle bei Matth, ift doch nicht mehr
als ein blofser Einfall. Die Beifpiele aber erweitern
unfere lunficht in keiner Weife. Viel werthvoller wäre
es gewefen, wenn der Verf. aus feiner Erfahrung als
Seelforger Beifpiele der Anfechtung hätte mittheilen und
beftimmte Rathfchläge für die Behandlung folcher Fälle

| in ihren verfchiedenen Formen hätte geben können.
Das hätte feinem Büchlein Werth für den praktifchen

I Seelforger gegeben. Es mag aber freilich fehr fchwer,
ja vielleicht unmöglich fein, etwas Derartiges zu bieten;

; jedenfalls darf ich nicht das Gegentheil behaupten, da
mir die Erfahrung auf diefem Gebiet fehlt. Was aber
den erften Abfchnitt betrifft, in welchem alfo der Schwerpunkt
liegt, fo kann ich dem Refultat des Verf.'s nur
zuftimmen. Mit den Wegen, auf welchen er es gewinnt,
und dem ganzen Aufbau der Unterfuchung kann ich
mich nicht ebenfo befreunden. Zweierlei namentlich
habe ich auszufetzen. Einmal halte ich es für irrig, wenn
man, wie der Verf. thut, die biblifchen Ausfprüche und
die dogmatifche Lehre vom ordo salutis in eins zu-
fammennimmt, als hätten die biblifchen Autoren eine
derartige Lehre gehabt und gekannt, die wir nun zu ermitteln
vermöchten. Dadurch werden die biblifchen
Begriffe und Ausfprüche in einen falfchen Zufammen-
hang gebracht. Man wird ihnen nur gerecht, wenn man
fie ohne alle Rückficht auf Späteres nimmt, wie fie lauten,
und in ihrem eigenen Zufammenhang zu verftehen fucht.
Sodann aber ift die Conftruction des Verf.'s viel zu
complicirt. Wir müffen uns klar machen, dafs die möglichen
Fälle chriftlicherEntwicklung unüberfehbar mannigfaltig
find, dafs deshalb eine Theorie darüber zwar nicht
ausgefchloffen ift, dafs fie aber ihren Zweck nur erreicht,
wenn fie ein möglichft einfaches Schema bietet und in
diefem lebendig anfehaulich wird. Denn dann ift fie ein
zweckmäfsiges Mittel für Verftändnifs und Beurtheilung
der Mannigfaltigkeit des Lebens. Ich kann aber nicht
finden, dafs die Theorie des Verf.'s diefen Anforderungen
entfpricht.

Berlin. Kaftan.