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Ausgabe:

1891 Nr. 14

Spalte:

352-354

Autor/Hrsg.:

Renan, Ernest

Titel/Untertitel:

Histoire du peuple d‘Israel. Tome III 1891

Rezensent:

Horst, L.

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3Si

Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 14.

352

I. Doedes, nieuwe serie, 14. jaargang, aflevering II.]
Utrecht, Kemink & Zoon, 1891. (251 S. gr. 8.)

Das Werk, deffen Anfang hier vorliegt, führt fich
auf dem Titel als freie Verarbeitung der neueften For-
fchungen auf dem Gebiete der hebräifchen Archäologie
ein. An diefem Mafsftabe gemeffen darf es das Lob einer
reichhaltigen, mit felbftändigem Urtheil gegebenen und
klaren Darftellung des hierher gehörigen Stoffes in An-
fpruch nehmen. Namentlich ift auch die deutfche wiffen-
fchaftliche Literatur zu ihrem Rechte gekommen, obwohl
noch hie und da Einzelnes hinzuzufügen wäre. So S. 38
zur neueften Philoliteratur die vortreffliche Unterfuchung
von Maffebieau le classement des ocuvrcs de Philon
(biblioth. de Pecole des h. etudes Vol. / Paris 1889 S. 1—91);
S. 55 refp. 77 die unvergleichliche Bibliothecageographica
Palaestinae 1890 v. R.Röhricht; auch deffen Syria Sacra
1887 haben wir vergebens geflieht; zu S. 95—97 O. Ankel,
Grundzüge der Landesnatur des Weftjordanlandes 1887,
das befteBuch, das wir über die Klimakunde des h. Landes
haben; S. 78 wäre die treffliche Handkarte von H.Fifcher
und H. Guthe 189O zu erwähnen gewefen, S. 74 vermifst
man: Haneberg, religiöfe Alterthümer 1869, S. 196 fehlt
Cornill's kritifche Ausgabe des Ezechiel 1886, welche zu
unfern vorzüglichften Büchern gehört, fo wie desfelben
fcharffinnige Unterfuchungen über den Brandopferalter
Ezechiel's in der Zeitfchr. für kirchl. Wiffenfch. 1883 und
1884 u. dgl. m. — Dagegen mufsten folche flache Com-
pilationen wie die von Vigouroux nicht der Ehre gewürdigt
werden, S. 70 neben Cl. Ganneau u. a. zu flehen.

Weniger Beifall können wir der Gliederung des
Stoffes fpenden, foweit fie fleh in diefer Lieferung über-
fehen läfst. Die Einleitung zwar mit ihren Erörterungen
über Begriff, Umfang, Inhalt, Quellen, Methode und
Gefchichte unferer Disciplin ift ganz zweckmäfsig angelegt.
Auch mit den 4 erften Abfchnitten des erften ,Paläftina'
überfchriebenen Capitels können wir uns befreunden.
Es werden darin Name, Lage des Landes, deffen natürliche
Befchaffenheit (d.h. Orographie, Hydrographie etc.),
Klima, Fiora und Fauna abgehandelt. Statt aber nun einen
ethnographifchen Abfchnitt nebft einer Gefchichte derBe-
fiedelung des h. Landes und daran fchliefsend die politifche
Geographie fowie die gefammte Topographie desfelben zur
Darftellung zu bringen, erhalten wir vom Verf. nur einen,
allerdings eingehenden und gut gefchriebenen Paragraphen
über Jcrufalem, als ob es fonft keine bewohnten
Orte weiter gegeben hätte. — Ohne jede logifche
Verknüpfung fchreitet dann das 2. Cap. zur Befprechung
der heiligen Orte Israels fort und zwar in der Weife, dafs
zuerft Berge, Bäume, Quellen, Höhen, dann auf einmal
ganz unvermittelt das Offenbarungszelt, dann die 3 Tempel
und zuletzt die Synagogen zur Sprache kommen. Es ift
wohl klar, dafs auf diefe Weife keine Einficht in die
hiftorifche Entwickelung der Cultusorte gewonnen werden
kann. Der Verf. ift allerdings weit entfernt, das Phantafie-
gebilde des PC ohne Weiteres hinzunehmen, er übt vielmehr
eine oft fehr in's Einzelne eingehende Kritik aus,
aber eine Archäologie, welche doch nur von den wirklich
beftehenden Heiligthümern handeln foll, durfte in
dem Lefer nicht die Meinung erwecken, als fei die
Jahveverehrung im h. Zelte etwas grundfätzlich anderes
gewefen, als die auf den Höhen, unter den Bäumen u.f. w.
Die Kritik über das Zelt des PC konnte nur einen Anhang
zu dem Paragraphen über die älteren Cultusformen
bilden. — In Namen find manche Druckfehler zu be-
feitigen: S. 63 Triftan ft. Triftram, S. 98 Afcheoron ft.
Afcherfon, S. 67 Grofsfuhrften ft. Grofsfürften, Nikola-
gewitfeh ft. Nicolajewitfch, S. 28 de Ronge ft. de Rouge,
S. 184 Origines ft. Origenes, S. 69 Paleftina-V. ft. Palaeftina-
Verein. — S. 182 lotgov ft. Xvioov u. a. m.

Jena. C. Siegfried.

Renan, Ernest, Histoire du peuple d'lsrael. Tome III. Paris,
Calmann Levy, 1891. (VII, 527 S. gr. 8.) Fr. 7.50.

Renan's dritter Band der Gefchichte des Volkes
Israel geht von der Zerftörung Samariens bis zur Rückkehr
der Juden aus der babylonifchen Gefangenfchaft:
ein Zeitraum reich an Quellen, in politifcher Hinficht
höchft bewegt, literarifch äufserft fruchtbar und auf dem
religiöfen Gebiet durch die gewaltige Errungenfchaft des
prophetifchen Geiftes, den fittlichen Monotheismus, einzigartig
. Stoff genug für den Gefchichtfchreiber und welch'
ein überwältigender Stoff!

Auch hier bewährt fich Renan's altgewohnte Meifter-
fchaft in der Reinheit und Schönheit der Sprache, in der
Klarheit der Darfteilung, in der wohlgeordneten, eben-
mäfsig fortfehreitenden Durchführung der dreifachen poli-
tifchen, literarifchen, religiöfen Gefchichte des Zeitraums
, in der forgfältigen Verarbeitung des Materials,
fo dafs der Lefer fich am vollendeten fchriftftellerifchen
Kunftwerk ergötzen kann, in den zahlreichen fchönen
Ueberfetzungsproben, in dem Gefchick, den Quellen Alles
zu entlocken, was fie enthalten und noch mehr, die einzelnen
zerftreuten Züge gewandt zu einem Gefammtbild
zu vereinigen und das Fehlende hinzu zu zaubern, in
den oft ganz treffenden Zufammenftellungen alter Ver-
1 hältnifse mit gegenwärtigen, freilich auch hier nicht ohne
I dafs ,die Empfindlichkeit der Rhetoren' hie und da verletzt
wird (z. B. Befchneidung und Impfung, S. 34). Aber
wer mag es ihm verdenken, wenn er in den Männern
Hiskya's altehrwürdige Berufsgenoffen erkennt, welche
eine Art literarifcher Akademie bildeten — der König
felbft huldigte mit Erfolg der lyrifchen und parabolifchen
Dichtkunft — und fich der Sprache annahmen, deren
rafcher Verfall innerhalb hundert Jahre, von Jefaia bis
Jeremia, Vorfichtsmafsregeln erheifchte, eine Art ftaat-
licher Hut? oder wenn er von den alten Weifen —
wahlverwandte Geftalten — träumt, welche meift den
zeitgenöffifchen Aberglauben nur belächelten, während
man fpäter die Sache ernfter nahm, und es nicht für
fchlecht fanden, dafs ihre Frauen kleine groteske Götter
in den Tafchen oder im Reifegepäcke mit fich führten ?

Auch in diefem Bande machen ihm die Themani-
tifchen Weifen viel zu fchaffen; aber man fleht doch
nicht recht ein, wie das Buch Hiob, ,welches die im
Herzen des Judenthums fitzende Frage behandelt und
das hebräifche Buch fchlechthin ift', ebenfogut das Werk
eines Themaniten oder Sarazenen fein könnte. Doch auch
an die Widerfprüche hat uns unfer Schriftfteller gewöhnt.
Wir dürfen uns wohl nicht daran ftofsen, wenn er faft
in einem Zuge fchreibt, dafs die Gefangenfchaft in der
literarifchen und religiöfen Gefchichte Israels kaum epochemachend
gewefen ift, und dafs die zwanzig oder fünfundzwanzig
Jahre nach der Fortführung eine Zeit hoher
fchöpferifcher Thätigkeit waren, dafs das Exil aus Israel
ein Volk von Heiligen endgültig machte; oder, einmal,
dafs die Todesftrafe im Deuteronomium unfinnig ver-
fchwendet wird, und das andere, dafs das ganze Deuteronomium
die Scheu vor dem vergoffenen Blut athmet;
oder — vielleicht das intereffantefte Beifpiel — wenn er
S. 506 äufsert, dafs der Monotheismus in der Menfch-
heit den Schutzgott eines kleinen Stammes zu feinem
Urfprung gehabt hat, während er fonft die jahveiftifche
Bewegung der Propheten als ein Zurückgreifen zur alten
reinen Wüftenreligion fchildert, und daher ihre Aehnlich-
j keit mit dem Proteftantismus ableitet. Jene Aeufserung
ift, angefichts feiner Entwicklungsgefchichte der israeli-
tifchen Religion, mindeftens unvorfichtig. Doch wiffen
wir nicht, dafs er der Mann der feinen Nuancen ift?

Es ift hier nicht der Ort, auf Renan's kritifche Voraus-
fetzungen einzugehen, um fo weniger, als fie mit denen
der hiftorifch-kritifchen Schule fo ziemlich Schritt halten.
In der Kritik der Propheten ift er im Verhältnifs zu den
Neueren confervativ. Es ift auch zu erinnern an feine eigen-