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Ausgabe:

1891 Nr. 1

Spalte:

16-17

Autor/Hrsg.:

Koppelmann, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Immanuel Kant und die Grundlagen der christlichen Religion 1891

Rezensent:

Ehrhardt, Eugen

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15 Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 1. 16

Gembloux und Bernold von Konftanz; Tie vennutheten

als Autor den Scholafticus Bernhard, der in Konftanz,
dann in Hildesheim als Lehrer gewirkt. Für Conjecturen
war das Feld frei, da der Tractat wie die meiften Flugblätter
jener Zeit anonym erfchienen war. Dem Scharf-
finn Sdralek's ift es nun nicht nur gelungen, diefe Annahme
als eine irrige zu erweifen (S. ig, 20) — die
Uebereinftimmung Sigebert's und Bernold's bleibt übrigens
fehr auffallend —, fondern zugleich das Dunkel aufzuhellen
, welches den geheimnifsvollen Autor umgab. Da
aus dem Werk hervorgeht, dafs der Verfaffer in der
Reihe der 1085 abgefetzten Bifchöfe zu fuchen ift, wird
ein forgfältiges Sichtungsverfahren eingefchlagen und
unter Zuhülfenahme pofitiver Indicien das Ergebnifs gewonnen
, dafs wir in der Schrift eine Arbeit des päpft-
lichen Legaten und gregorianifchen Parteiführers Altmann
von Paffau zu fehen haben (S. 20—26), abgefafst
Juni 1085 (S. 26—28). Eine genaue Analyfe des Inhalts
wird S. 38—64 geliefert.

Durch diefe Schrift Altmann's erhalten wir Kunde
noch von einer anderen, bisher unbekannten, Flugfchrift
aus den Kreifen der kaiferlichen Partei. Nicht nur die
traurige Lage der Gregorianer im Allgemeinen, fondern
die Ausbeutung derfelben durch die gegnerifche Publi-
ciftik hatte Altmann die Feder in die Hand gedrückt.
Gegen die Schrift eines Ungenannten wendet fleh Altmann
. Nach den von Altmann wiedergegebenen Fragmenten
trug fie den Charakter einer Denkfchrift über die
auf dem Gerftunger Convent erörterten Fragen (Verkehr
mit Excommunicirten, Spolieneinrede). Ihre Anonymität
war für Altmann durchfichtig. Den bezüglichen Andeutungen
nachgehend, gelingt es Sdralek, den Unbekannten
als den Erzbifchof Wezilo v. Mainz zu re-
cognosciren (S. 28—32). Das Intereffe für diefe Schrift
Wezilo's wird dadurch wefentlich gefteigert, dafs fie für
den Verfaffer von de unitate ecclesiae und Aventin offenbar
als Quelle diente in der Schilderung des Gerftunger
Colloquiums (S. 32—35). — Neben diefem Tractat haben
Altmann vorgelegen: Synodalfchreiben der Mainzer Synode
wie der vorangegangenen gregorianifchen in Quedlinburg
(c. 15 Fragment aus den Quedlinb. Synodalacten)
(S. 36-38).

Wie Altmann Theile der Schrift Wezilo's, fo hat

Dafs Bernold faft wörtlich das letztere in feine Chronik

aufgenommen, zeigt der Zufammendruck der Texte.

Wir verdanken mithin Sdralek die Vermehrung der
Quellen zur Gefchichte des Inveftiturftreits um 4 Nummern
: ) die erfte Schrift Altmann's, 2) die Wezilo's,
3) die Göttweiger, 4) das Quedlinburger Synodalfchreiben
; weiter die Aufhellung der Autorfrage betreffs des
fog. Hirfchauer Anonymus.

Den Altmann'fchen Tractat v. J. 1085 zugänglich gemacht
zu haben, ift das Hauptverdienft Sdralek's. Manche
unter den anderen Streitfchriften lieft fich beffer, z. B.
die Bonizo's und Wenrich's, auch wird Altmann an Originalität
weit übertreffen durch einen Manegold. Trotzdem
kann Altmann eigenartiger Werth nicht abgefprochen
werden. Derfelbe liegt darin, dafs er uns das kirchenrechtliche
Arfenal der Gregorianer in gröfster Vollftän-
digkeit vorführt, dafs er den extrem gregorianifchen
Standpunkt in aller Schroffheit vertritt. Weiter zeigt
Altmann's Schrift die literarifche Leistungsfähigkeit der
deutfehen Gregorianer in einem günstigeren Licht als alle
bisher bekannten Brofchüren. Die Gefchloffenheit der
gregorianifchen Doctrinen glücklich zum Ausdruck
bringend, bildet fie ein würdiges Gegenstück zu ,de unitate
ecclesiae1. — Der forgfältig edirte Text ift von Sdralek
mit einem vortrefflichen Commentar verfehen, welcher
durch den Nachweis von Parallelstellen aus anderen Flug-
fchriften wie durch exaete Verificirung der zahlreichen
Citate das Studium der Schrift wefentlich erleichtert.

Die Sdralek'fchen Unterfuchungen find überzeugend.
Unrichtig fcheint mir die Verwendung des von Bernold
in Bezug auf Altmann's Schrift gebrauchten Ausdrucks
,videtur annichilasse insidiosas cavillationes scismati-
corum1. Videri foll hier nicht die Ungewifsheit, fondern
die Gewifsheit bezeichnen, heifst nicht ,wahrfcheinlich',
fondern ,ganz offenbar'. Ebenfo braucht Altmann felbft
^oideri1 cap. XXX pag. 136. Es darf daher der Schlufs
nicht gezogen werden ,Bernold hat fich er die Schrift
nicht gelefen' (S. 19;.

Eine kleine Beobachtung mag den Schlufs machen.
Vielfach fteht zu lefen, dafs fchon im 12. Jahrhundert
der Ausdruck ,ius canonicum1 fich finde, fchon bei
Stephan von Tournay (f 1203)! cf. Friedberg, K. Recht
2. A. p. 2; Richter-Dove 8. A. p. 7 unter Berufung auf
Schulte, Gefch. d. Quellen z. Literatur d. Canon. Rechts
umgekehrt der Verf. von de unitate eccl. Fragmente einer j 2„ Der Begriff erfcheint aber in fetter Aus-

gregonanffchen uns erhalten Diefelbe antwortete auf j prä|ung bereits bei Altmann von Paffau: c. 9, 25,
das RundfchreibenWibert s nach feiner römifchen Synode ^ 4Q lex canonica. Diefe Thatfache ift nicht

1089 und war unter Umftanden entftanden, welche der nur infofern intereffant, als damit der Anfangstermin
Situation von 1085 nichts nachgaben. Der Verf von feines technifchen Gebrauchs um ein volles Jahrhundert
,dc unitate1 vermuthete hinter dem anonymen Autor | früher angefetzt werden kann als bisher, fondern noch

einen Mönch des Klofters Hirfchau, jener Centralftätte
gregorianifcher Propaganda in Süddeutfchland, und über-
fchüttete daher die dortigen Mönche mit Invectiven. Als
,Hirfchauer Anonymus' ift nun diefe Schrift — die
reeipirten Fragmente treten als folche fcharf hervor —
längft benutzt worden. Auch ihr ift nun aber Sdralek's
Fund zu gute gekommen. Wie Sigebert und Bernold
betreffs der Autorfchaft jener Altmann'fchen Schrift von
1085 fich geirrt haben, fo der Verf. von de unitate in
der Placirung feines Gegners. Denn auf Grund von Ge-
meinfamkeiten nicht nur der Anfchauungen, fondern auch
der Worte zwifchen diefem ,Hirfchauer' und Altmann's
Schrift vom Jahre 1085 hat Sdralek die Autorfchaft auch
diefer Schrift vom Jahre 1090 dem Paffauer Bifchof
vindiciren können (S. 73—78).

Den Text der erften Streitfchrift Altmann's bietet
Sdralek S. 85—163, eine Zufammenftellung der Fragmente
der zweiten S. 164—172. Diefen folgen die Refte
einer gregorianifchen Streitfchrift, welche Sdralek als Anhang
zu der collectio canonum des codex Gottwicensis aufmehr
um deswillen bedeutungsvoll, weil er uns zuerft
bei einem deutfehen Gregorianer begegnet. Die italien.
Canoniffen des ausgehenden II. Jahrhunderts, welche
Rechtsfammlungen veranftalteten, gehörten diefer Richtung
an; auf ftarke kirchenrechtliche Intereffen auch
der deutfehen Gregorianer weift die ganze Schrift Altmann
's hin. Sein Ausdruck aus canonicum1 erhält in
diefem Zufammenhang weitere Bedeutung. Es mufs nun
noch feftgeftellt werden, was für K.-Rechtsftoff Alt. unter
diefem ius can. verftanden hat.

Marburg. Carl Mirbt.

Koppelmann, Relig.-Lehr. Lic. Dr. Wilh., Immanuel Kant
und die Grundlagen der christlichen Religion. Gütersloh,
Bertelsmann, 1890. (XII, 113 S. gr. 8.) M. 1. 80.

Diefe Schrift bezweckt ein Doppeltes: 1) zu beweifen,
,dafs Kant's Stellung zum Chriftenthum gar nicht die
nothwendige Folge feiner Principien ift, fondern dafs er
gefunden hat (S. 173—177) und die Textfragmente eines ! auf Grund derfelben zu ganz anderen Refultaten hätte

im codex Vaticanus reg. Suec. 979 entdeckten Synodal-
fchreibens der Quedlinburger Synode (S. 178—181 cf. 37).

kommen müffen, 2) im Anfchlufs an Kant zu unterfuchen,
was vom Chriftenthum übrig bleibt, wenn man es vom