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Ausgabe:

1891 Nr. 13

Spalte:

329-334

Autor/Hrsg.:

Krumbacher, Karl

Titel/Untertitel:

Geschichte der byzantinischen Litteratur von Justinian bis zum Ende des oströmischen Reiches (527 - 1453) 1891

Rezensent:

Dräseke, Johannes

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329 Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 13. 330

und zu Gunften der Griechen vorgenommen
wurde, die in S viel mehr geehrt find als in G
(vgl. c. 8. 13. 17). Drückt diefe Beobachtung den Werth
von S tief herab (auch noch andere Zufätze find in S
mit Sicherheit nachweisbar), fo ift andererfeits zu zeigen,
dafs G in c. 14 nicht nur gekürzt, fondern im Intereffe,
die Judenfreundlichkeit des Ariftides abzufchwächen,
Zufätze gemacht hat, ferner dafs die ausführlichere
Schilderung des chriftlichen Lebens in S urfprünglich ift.
Eine genauere Unterfuchung des Archetypus von A S
auf die Motive der Ueberarbeitung wird es ermöglichen,
dem urfprünglichen Text näher zu kommen; aber für
alle Unterfuchungen ift die Grundlage in G zu fuchen.

Berlin. A. Harnack.

Krumbacher. Privatdoz. Karl, Geschichte der byzantinischen

Litteratur von Juftinian bis zum Ende des oftrömifchen
Reiches (527—1453). (Handbuch der klaff. Altertums-
wiffenfch., IX. Bd., 1. Abtlg.) München, Beck, 1891.
(XII, 495 S. gr. 8.) M. 8. 50; geb. M. 10. 50.

Das von Prof. Dr. Iwan von Müller in Erlangen in
Verbindung mit den tüchtigften Philologen Deutfchlands
herausgegebene ,Handbuch der klaffifchen Altertums-
wiffenfchaft in fyftematifcher Darftellung mit befonderer
Rückficht auf Gefchichte und Methodik der einzelnen
Disciplinen' hat mit feinem neueften (IX, 1) Bande in
Krumbacher's ,Gefchichte der byzantinifchen Litteratur
von Juftinian bis zum Ende des oftrömifchen Reiches
^527—1453)' einen Zuwachs erfahren, durch welchen
manche frühere Leiftung des Sammelwerks ein wenig
in den Schatten geftellt fein dürfte. Jedenfalls greift
diefes Werk in feinen Grundanfchauungen und in feiner
Ausführung über den gewöhnlichen Rahmen philolo-
gifcher Gefchichtsbetrachtung, wie er in mehreren der
vorangehenden Bände des Handbuchs gefpannt erfcheint,
fo weit und fo zielbewufst hinaus, dafs es fchon um
diefes Vorzugs willen verdient, in einer theologifchen
Zeitfchrift, die den Leiftungen der philologifchen Hülfs-
wiffenfchaften der Theologie mit Theilnahme zu folgen
pflegt, gebührend beachtet zu werden. Um mit dem
Allgemeinen zu beginnen, fo macht Krumbacher dem
alteingewurzelten, felbft durch einen Mann wie Bernhardy
mit faft unbegreiflicher und nur aus dem das Urtheil einzwängenden
Einfluffe Hegel'fcher Gefchichtsbetrachtungs-
weife zu erklärender Zähigkeit feftgehaltenen philologifchen
Vorurtheil von der Bedeutungslofikeit, der Oede,
Geiftlofigkeit und Verknöcherung des gefammten byzantinifchen
Schriftthums gründlich ein Ende. Ich felbft
freue mich deffen um fo mehr, als ich gegen die Unter-
fchätzung des byzantinifchen Schriftthums, gegen die Unbilligkeit
und Voreingenommenheit, um nicht zu fagen
Unwiffenheit der oft hart und lieblos über dasfelbe Ur-
theilenden feit Jahren bei verfchiedenen Gelegenheiten,
befonders in Hilgenfeld's Zeitfchrift für wiffenfchaftliche
Theologie und in Brieger's Zeitfchrift für Kirchenge-
fchichte, beftimmt und nachdrücklich meine Stimme erhoben
habe. Der Verf., ausgerüftet mit einer durch
Reifen in Griechenland und der Türkei und eingehende
Durchforfchung des ganzen in Betracht kommenden weitläufigen
Schriftthums gewonnenen umfaffenden, gegenwärtig
ficherlich einzigartigen d. h. in feiner Perfon vereinigten
Kunde alles deffen, was im weiteften Sinne zur
Erfaffung und Schilderung byzantinifchen Wefens gehört,
weift mit Recht immer und immer wieder auf die felb-
ftändige Bedeutung des geiftigen Lebens der Byzantiner
hin. Er erhebt durch forgfältige Beweisführung im Einzelnen
begründeten Einfpruch gegen die übermäfsige
Betonung der antiken Elemente in Oftrom (S. 14); Einfpruch
gegen die landläufige, unwiffenfchaftliche Anficht,
die in den Schöpfungen der Byzantiner nichts als ein
blofses Anhängfei des Alterthums zu fehen meint, während

das byzantinifche Schriftthum fich doch als ein durchaus
I neues Gebilde erweift, ,in welchem fich römifche, grie-
I chifche und orientalifche Elemente zu einem eigenartigen
Ganzen verfchmolzen haben' (S. 17); Einfpruch gegen die
1 Unfitte, das byzantinifche Griechifch als barbarifch zu
brandmarken, während wir dasfelbe doch nur von dem-
felben Standpunkt aus richtig zu würdigen vermögen,
I ,wie etwa die unklaffifchen, aber notwendigen Neubildungen
der lateinifchen Scholaftik (z. B. essentia),
welchen nur ein völlig Befangener die innere Berechtigung
abfprechen kann' (S. 22); Einfpruch endlich gegen
die unfelige, von den Früheren beliebte Verallgemeinerung
derUrtheile über byzantinifchesSchriftthum, während
gerade hier die durch liebevolle Verfenkung in das Einzelne
fich von felbft ergebende Scheidung zwifchen den
Zeiten, Gattungen und Perfönlichkeiten und die damit
gewonnene Einficht in die Unterfchiede und Abftände
zu jenem Verfahren den Muth benehmen follte.

Dies find einige der allgemeinen neuen Gefichts-
punkte, die in der klaren und geiftvollen Darlegung,
welche ihnen Krumbacher in feiner vortrefflich ge-
fchriebenen, mit vielem alten Wuft und Vorurtheil endgültig
aufräumenden Einleitung (S. 1—32. Begriff und
allgemeine Gefchichte der byzantinifchen Litteratur S. 1,
Charakteriftik S. 13, Internationale Culturbeziehungen
S. 23) gegeben, auf jeden unbefangenen, d. h. von philo-
logifcher Einfeitigkeit altklaffifchen Gepräges freien Lefer
ihren Eindruck nicht verfehlen werden. Dazu kommen
einige von ihm im Widerfpruch mit der früheren Betrachtungsweife
feftgeftellte gefchichtliche Thatfachen.
Das ift einmal die Beobachtung, dafs der übliche Anfatz
des Anfangs der byzantinifchen Periode mit dem
Regierungsantritt Juftinian's oder auch mit der von ihm
veranlafsten Aufhebung der athenifchen Akademie (529)
den Thatfachen widerftreitet und gefchichtlich ohne Begründung
ift; und fodann der Nachweis, dafs, wie befonders
die Entwickelung des Münzwefens zeigt, von
einem oftrömifchen oder byzantinifchen Reiche, genau
genommen, erft feit dem Jahre 800 gefprochen werden
kann. Da tritt dem römifchen Kaiferreiche des Oftens
im Werten Karl's des Grofsen Imperium Romauum felbft-
bewust und eiferfüchtig gegenüber. ,Hieraus ergiebt fich',
fagt Krumbacher S. 4, ,dafs für die politifche Gefchichte
des Reiches nicht die Zeit des Juftinian, fondern nur die
Jahre 395 oder 800 einen Anfangspunkt bedeuten können.
In der Litteratur bedeutet weder der erftere, noch der
letztere Zeitpunkt einen nennenswerten Abfchnitt.' Auch
das übliche Gewichtlegen auf die folgenfehwere Bedeutung
der Aufhebung der athenifchen Akademie weift der
Verf. als unberechtigt zurück. Ihm bildet diefe That-
fache in der Gefchichte des Uebergangs vom Heidenthum
zum Chriftenthum keinenfalls einen bedeutenderen
Abfchnitt als etwa die gleichfalls in das Jahr 529 verlegte
Zerftörung des letzten Apollotempels auf Monte Cafino
durch Benedict von Nurfia. Dagegen werden wir zum
erftenMale auf die ungeheuere Lücke von nahezu 200jahren
hingewiefen, die etwa von 650 bis 850 uns entgegengähnt
: /Niemals', fagt der Verf., ,ift der unermefsliche
i geiftige Strom, den die griechifche Litteratur von Homer
bis auf die Tage Mohammed's des Eroberers darftellt,
fo lange und fo gründlich vertrocknet wie in diefen beiden
Jahrhunderten'. Gleichwohl beginnt Krumbacher,
wohl in Rückficht auf den Anfchlufs, den fein Werk an
Chrift's Gefchichte der griechifchen Litteratur vermitteln
foll, die Darftellung des profaifchen Schriftthums mit
Juftinian, während er bei der Gefchichte der byzantinifchen
Dichtung um mehrere Jahrhunderte weiter zurückgeht
. Doch das führt uns bereits unmittelbar auf die
Eintheilung des reichen, von Krumbacher mit Sicherheit
und beherrfchender Sachkenntnifs geftalteten Stoffes.
In der erften Abtheilung (Profaifche Litteratur)
I behandelt der Verf. i) die Gefchichtfchreiber und Chro-
I niften (S. 33—154), deren aus der Wahl des Stoffes, der

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