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Ausgabe:

1891 Nr. 12

Spalte:

315-316

Autor/Hrsg.:

Bornemann, W.

Titel/Untertitel:

Bittere Wahrheiten. Eine unerwartete Beleuchtung der „Ernsten Gedanken“ des Herrn Oberstlieut. v. Egidy 1891

Rezensent:

Ritschl, Otto

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315

Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 12.

316

in internationaler Weife fich ausbreitet; und diefe Vor-
ausfetzung ift im Intereffe der Sache wie im Intereffe
der Kirche durchaus zu bekämpfen. Die Sonntagsfchule
der Inneren Miffion im Sinne Wichern's hat ihren gefeg-
neten Dienft gethan; fie hat fleh zum Kindergottesdienft
als kirchliches Inftitut umzugeftalten und dem kirchlichen
Organismus lieh einzufügen. Der kirchliche Organismus
ift aber gegliedert in Landeskirchen und Provinzialkirchen,
jede Provinz z. B. in Preufsen hat ihr eigenthümliches
Gefangbuch, und in jedem provinziellen Gefangbuch
fpielt die örtliche Tradition nicht nur in Auswahl der
Lieder, fondern auch in der Textredaction und in den
Melodien eine nicht geringe und durchaus berechtigte
Rolle. Unferes Wiffens fchliefst nicht ein einziges neues
G.-B. fich dem Text des Deutfchen Militärgefangbuches
bedingungslos an. In den Schulen lernen die Kinder
Text und Melodie ihres Provinzialgefangbuches — und
im Kindergottesdienft follen fie den Text des Militärgefangbuches
und die Melodien des Herrn Putfeh fingen
und lernen? Referent hat eine Reihe von Kirchenliedern
des Kindergefangbuches mit dem neuen ,Evangelifchen
Kirchengefangbuch für den Konfiftorialbezirk CaffeP, die
Melodien jenes mit denen des,Choralbuches zum Evangel.
Kirchengefangbuch für den Konfiftorialbezirk Kaffel' verglichen
und kann in beiden Beziehungen eine fehr grofse
Reihe von Abweichungen conftatiren. Genau ebenfo fleht
es mit den Gefang- und Choralbüchern anderer Landes-
bezw. Provinzialkirchen. Selbftredend hat die Kirchenbehörde
das lebhaftefte Intereffe, die in der Kirche re-
eipirten Texte und Melodien auch in der Schule einzuführen
, und das Intereffe der Schulbehörde kommt
ihr in dem Bemühen entgegen. So wird auch der Wunfeh,
das Kindergefangbuch für Kirche, Schule und Haus zu
verwerthen, jedenfalls nicht in Erfüllung gehen.

Ift die Frage, ob überhaupt ein befonderes ,Kinder-
gefangbuch' für den Kindergottesdienft wünfehenswerth
fei, in bejahendem Sinne beantwortet — was wohl fragelos
überall gefchehen wird —, fo wird es die Aufgabe
der landeskirchlichen bezw. provinzialkirchlichen Behörden
, vor allem der Synoden fein, im engften Anfchlufs an
Text und Melodien des Gemeindegefangbuchs ein Kindergefangbuch
für die kirchlich zu geftaltenden Kindergottes-
dienfte herzuftellen. Eine mufterhaftere Vorlage für diefe
erwünfehte Arbeit dürfte nicht zu finden fein, als das
,Deutfche Kindergefangbuch' von Tiesmeyer und Zauleck.

Die ,Ordnung des Kindergottesdienftes' freilich, welche
die HH. Verf. am Schlufs ihres Werkes darbieten, dürfte
wenig vorbildlich fein. Die Kleinen müffen zu Anfang
die 10 Gebote im Chor, alfo finnwidrig als Bekenntnifs,
fprechen und fofort ein Sündenbekenntnifs mitbeten;
hernach fprechen die Kleinen gar das Apoftolicum im
Chor. Wo bleibt der Grundfatz der Wahrhaftigkeit?
,Kirchefpielen' ift nicht Kindergottesdienft.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Bornemann, Prof. geiftl. Infp. Lic, Bittere Wahrheiten.

Eine unerwartete Beleuchtung der ,Ernften Gedanken
' des Hrn. Oberftlieut. v. Egidy. Göttingen, Van-
denhoeck & Ruprecht's Verl., 1891. (94 S. gr. 8.)
M. 1.20.

Die vorliegende Schrift führt den Nebentitel: ,Eine
unerwartete Beleuchtung der „Ernften Gedanken" des j
Herrn Oberftlieutenant v. Egidy'. Wer den Standpunkt
des Verf.'s kennt, wird jedoch feine Beleuchtung der auf-
fehenerregenden Brofchüre Egidy's nicht unerwartet
finden. Aber von allen Erwiderungen, welche die
,Ernften Gedanken' in der kurzen Zeit feit ihrem Er-
fcheinen erfahren haben, verdient diejenige Bornemann's
befonders hervorgehoben zu werden. Sie zeichnet lieh
durch Befonnenheit, Unparteilichkeit, Ruhe und Umficht
aus. Sie ift gewandt und feffelnd gefchrieben, fie greift

ihre Aufgabe mit hervorragendem Gefchick und Takt
an und löft fie mit überzeugter und überzeugender
Sicherheit. Nur wenige befitzen wie Bornemann die
Gabe, ihre Sachkenntnifs und ihre begründeten Ueber-
zeugungen in populärer Darfteilung zu verwerthen. Um
fo mehr war er berufen, gegen Egidy das Wort zu nehmen.
Er thut dies, indem er feine bitteren Wahrheiten erftens
für Herrn von Egidy (S. 5—49), zweitens ,für Theologen,
Paftoren, Religionslehrer und alle die es angeht' (S.49—94)
ausfpricht. Die Widerlegung Egidy's zeigt, dafs ,feine
Vorftellung von dem erften urfprünglichen Chriftenthume
oder vom „Chriftenthum Chrifti", unrichtig und unhaltbar
', dafs ,feine Schriftverwendung mangelhaft und
willkürlich' ift, dafs feine kirchengefchichtlichen Kennt-
nifse ganz unzureichend find, und ihm jedes gefchicht-
liche Verftändnifs mangelt. Auferdem verliert Egidy
bei feiner vorfätzlichen Abneigung gegen Definitionen
den Boden der Logik und verwerthet endlich fowohl
vom Glauben als von der Kirche Begriffe, die zwar weit
verbreitet, aber nur nicht proteftantifch find. Allein bei
feiner Ueberlegenheit über Egidy ift Bornemann gerade
auch im Stande, die Abfichten feines Gegners milde und

i gerecht zu beurtheilen. Indem er anerkennt, dafs in deffen

I .ganz verfehlter Darfteilung und Kritik neben all den
fachlichen Fehlern und Mängeln doch ein gutes Stück
Wahrheit fich findet', will er verfuchen, der Dolmetfcher
der Gefühle zu fein, welche jenen vermuthlich im letzten
Grunde zur Abfaffung feiner Schrift bewogen haben. So
giebt er felbft in den bitteren Wahrheiten des zweiten
Theils eine offene und fcharfe, aber dennoch mafsvolle
Kritik verfchiedener Gewohnheiten, Verhältnifse und Einrichtungen
unferes kirchlichen Lebens, auf welche hier

| jedoch nicht näher eingegangen werden kann. Dennoch
find auch die Verbefferungsvorfchläge des Verf.'s ebenfo
beherzigenswerth, wie feine Einwendungen gegen die
Ernften Gedanken, und es ift fehr zu wünfehen, dafs

j feine vortreffliche Schrift nicht nur in theologifchen
Kreifen den wohlverdienten Beifall, fondern vor allen
unter den Laien weite Verbreitung finde. Diefe über

I das Chriftenthum aufzuklären und zu belehren ift fie vor
allen anderen theologifchen Flugfchriften unferer Tage
geeignet und im Stande.

Kiel. Otto Ritfchl.

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von Cuftos Dr. Johannes Müller.

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