Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1891 Nr. 1

Spalte:

11-13

Autor/Hrsg.:

Herzog, J. J.

Titel/Untertitel:

Abriss der gesamten Kirchengeschichte. 2. verm. u. verb. Aufl., besorgt v. G. Koffmane. 1. Bd. 1. u. 2. Abtlg 1891

Rezensent:

Loofs, Friedrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

11

Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 1.

12

in den erften Vifionen —, denkt er an das jüngfte Gericht
, an Auferftehung, Himmel und Hölle; dann liegt
ihm der Gedanke an ein Reich der Seligen auf Erden fern.
Wenn er aber des frevelhaften Roms und feines armen
Volkes gedenkt, dann hofft er einen Sturz des Weltreiches
und das Auftreten des Meffias in diefer Welt. —
Beide Gedankenreihen laufen oft ineinander über. Der
Verf. macht einen Anfatz zur Klarheit, indem er das
meffianifche Reich als endlich denkt — es foll nur 400
Jahre dauern —, aber nicht überall ift diefe Auskunft
klar feftgehalten. — Solche verfchiedenartige Gedanken
bei demfelben Schriftfteller zu conftatiren, wird uns keinen
Anftofs bereiten, da wir ihn fchon oben als eine nicht
ganz einfache Natur erkannt haben. —

Was aber die ganze Hypothefe ftürzt, ift die Geftalt
des R. R ift ein ziemlich befchränkter Kopf, fchreibt
fehr viel ,Thörichtes', ,Ueberflüffiges', ,Gedankenlofes',
,Unfinniges', ,Unpaffendes', ,Ungehöriges', was ,wie die
Fauft aufs Auge pafst', was ,an den Haaren herbeigezogen
ift' u. f. w. Die Lifte könnte noch vermehrt werden
. Und derfelbe R ift zugleich ein raffinirter Menfch,
der es verfteht, durch Aenderung nur eines Buchftabens
(ngö in itgög 43, oa-rrp in avry 88) den ganzen Sinn zu
verdrehen. Kabifch traut ihm zu, dafs er abfichtlich
durch ,gewiffe Einfchübe und Anfpielungen auf früher
Dagewefenes' den täufchenden Schein der Einheitlichkeit
über das Ganze ausgebreitet habe. Wenn R dem Texte
,fo gerade ins Geficht fchlägt', regt fich übrigens auch
bei ihm das ,böfe Gewiffen' 112. Alfo ein Dummkopf
und raffinirter Betrüger zugleich! An die Möglichkeit
einer folchen Perfon follen wir glauben?! So rächt fich
denn fchliefslich R für alle Mifshandlungen an Kabifch
dadurch, dafs er, ,hämifch', wie er ift 43, ihm fein fo
zierlich aufgebautes Hypothefen-Kartenhaus umbläft. —

Einzelne Beobachtungen mögen von Kabifch richtig
gemacht fein, freilich gewifs nur fehr wenige (A und M
find wirklich fonderbar parallel; vielleicht ift hier eine
kleine Quelle vom Schriftfteller aufgenommen; ift das
aber A oder M?).

Die Diction des Buches ift frifch und keck, zuweilen
etwas fchwerfällig und unbeholfen; das Buch ift voll von
burfchikofen, faloppen Redensarten, die wahrlich nicht
für den Gefchmack des Verfaffers fprechen, und enthält
fogar einige fade Witzeleien 6. 50, die dem Exegeten des
IV Efra wenig Ehre machen.

In Summa beweift dies Buch, wie wenig doch auf
unferm Gebiete mit dem Scharffinn allein zu machen ift.
Der weitläuftigen Befprechung war es nur infofern werth,
als es vielleicht ein Zeichen der Zeit ift. ,Denn eben
wenn man Probleme, die nur dynamifch erklärt werden
können, bei Seite fchiebt, dann kommen mechanifche
Erklärungsarten wieder zur Tagesordnung' (Goethe).

Halle a/S. Hermann Gunkel.

Herzog, weil. Prof. Dr. J. J., Abriss der gesamten Kirchengeschichte
. 2. verm. u. verb. Aufl., beforgt von Lic.
G. Koffmane. 1. Bd. 1. u. 2. Abtlg. Erlangen, Be-
fold, 1890. (XI, VII, 850 S. Lex.-8.) ä M. 7. —

Die in den Jahren 1876—1882 in drei Bänden er-
fchienene Kirchengefchichte Herzog's hat zahlreiche
Freunde gefunden. Das beweifen nicht nur die Ueber-
fetzungen. Das bette Zeugnifs ift, dafs die Auflage ausverkauft
werden konnte, obwohl Herzog fchon am 30.
September 1882 ftarb. Dafs eine neue Auflage dem Verleger
wünfchenswerth erfcheinen konnte, ift daher begreiflich
. Mit dem Intereffe der Wiffenfchaft aber fiel
das buchhändlerifche nur dann zufammen, wenn Herzog
's Buch in der neuen Auflage unbefchadet feiner Eigen-
thümlichkeit eine dem jetzigen Stande der wiffenfchaft-
lichen Arbeit entfprechende Umgeftaltung erfuhr. Diefer
Erkenntnifs hat, wie die Vorrede zur erften Abtheilung

zeigt, auch der durch andere Arbeiten unter den Fach-
genoffen längft wohlbekannte Herr Herausgeber fich
nicht verfchloffen. Doch das Buch felbft zeigt, dafs die
gute Abficht undurchführbar gewefen ift. In der erften
Abtheilung hat der Herausgeber mit energifchem Umarbeiten
eingefetzt. Die erften 178 Seiten, welche die
Gefchichte der erften drei Jahrhunderte umfaffen, find
i wefentlich fein, nicht Herzog's Eigenthum. Und in erfreulicher
Weife ift an ihnen zu beobachten, dafs ein
' beträchtliches Mafs auch folcher Erkenntnifse, die in
weiteren Kreifen noch mit Mifstrauen angefehen werden,
! in der wiffenfchaftlichen Literatur Gemeingut wird. Ich
1 denke dabei vornehmlich an die Erkenntnifse, die wir
! der Dogmengefchichte Harnack's verdanken. Ihr Ver-
1 dienft ift es vor Allem, dafs die Gefchichte der erften
' drei Jahrhunderte in diefer zweiten Auflage von der Darfteilung
der erften Auflage fehr zu ihrem Vortheil ab-
I flicht. Freilich läfst fich kaum leugnen, dafs der dog-
mengefchichtliche Stoff auf Koften anderer Dinge fich
i in den Vordergrund fchiebt, und felbft ich vermag nicht
in allen Punkten den Anfchlufs an Harnack für richtig
zu halten; dennoch ift diefe Verwerthung der Dogmengefchichte
Plarnack's nur mit Freude zu begrüfsen.
Dafs die Gefchichte der erften drei Jahrhunderte in diefer
j neuen Auflage in dem, was fie bietet, dem jetzigen
Stande der Wiffenfchaft entfpricht, wird man gern zugeben
, auch wenn man über Einzelheiten anders denkt.
Hätte der Herr Herausgeber fo weiter gearbeitet, fo hätte
er von der Herausgabe faft diefelbe Mühe gehabt wie
von einem völlig neuen Buche. Es hiefse Unbilliges verlangen
, wollte man folche Anforderungen ftellen. Aber
j es hiefse auch unwahrhaftig fein, wenn man die Art der
j Neubearbeitung, welche infolge diefer Zwangslage den
' weiteren Abfchnitten zu Theil geworden ift, als aus-
i reichend bezeichnen wollte. Freilich fehlen bis zum
Ende der erften Abtheilung folche Abfchnitte nicht, die
ganz das Werk des Herausgebers find. In dem Abfchnitt
über das fog. Nicaeno-Constantinopolitanum (S. 221) ift der
Forfchung Plarnack's ihr Recht geworden; in Bezug auf
Priscillian find in einem neuen Paragraph (S. 327 ff.) die neugefundenen
Werke Priscillian's verwerthet, der Paragraph
über das Mönchthum (S. 308 ff.) ift ftark umgearbeitet
worden, § 72 (Chriftliche Poefie und Erbauungsfchriften)
i fcheint ganz neu zu fein, und in manchen einzelnen Sätzen
erkennt man die beffernde Hand. Doch aber ift fchon
in diefem zweiten Theile der erften Abtheilung der alte
Text viel zu fchonend behandelt. Freilich fieht das Buch
auch hier oft anders aus als die erfte Auflage, meift aber
find's nur zweckmäfsige Aenderungen in der Stoffgrup-
pirung, die diefen Schein hervorrufen. Der Text felbft
ift mannigfach auch da, wo Aenderungen am Platze gewefen
wären, ganz der alte geblieben. Ja fchon hier
find mehrfach wichtige Bücher, die zu Umgeftaltung des
Textes hätten nöthigen müffen, nicht einmal in den
Literaturangaben genannt. Am auffälligften ift in diefer
Hinficht das Ignoriren von Hauck, Kirchengefchichte
Deutfchlands. Selbft Harnack's Dogmengefchichte ift
hier nur wenig zu Wort gekommen: was über die dog-
mengefchichtliche Seite der trinitarifchen und chrifto-
logifchen Streitigkeiten gefagt wird, ift im Wefentlichen
der unveränderte Herzog'fche Text, und doch war diefer
z. B. in dem Abfchnitt über die Homoiufianer und in
dem über die Edicte Juftinian's nicht nur einer Vervollkommnung
fähig, fondern einer Verbefferung bedürftig.
Ja S. 376 ift ein Flüchtigkeitsfehler Herzog's flehen geblieben
: es wird von der Synode von Valence — meines
Erachtens irrig — behauptet, fie habe die Befchlüffe von
Arles beftätigt, gemeint aber find die Befchlüffe von
Orange. Vollends fchränkt fich dann bei der zweiten
Abtheilung, der mittelalterlichen Kirchengefchichte, die
Neubearbeitung ein. Nur einzelne wenige Paragraphen
— fo z. B. der über die Waldenfer — und fehr oft die
Einleitungs- und Schlufsfätze folcher Abfchnitte, die