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Ausgabe:

1891 Nr. 11

Spalte:

292

Autor/Hrsg.:

Witz, Ch. Alphonse

Titel/Untertitel:

Der zweite Brief Petri. In homiletisch-exegetischen Reden erklärt 1891

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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291

Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. II.

292

richten vvünfchen. Und bei den Laien liegt ja doch die
letzte, entfcheidende Inftanz für alle Cultusreformen.
Aber auch Theologen werden aus dem Buche mancherlei
Belehrung und jedenfalls viel Anregung fchöpfen. Denn
der Verf. fleht auf einem Standpunkt, wie er leider nur
zu oft bei Behandlung diefer Fragen vermifst wird, welcher
ihm ermöglicht, wirkliche Reformgedanken zu faffen
und auszufprechen; für ihn ift Reform nicht einerlei mit
Repriftination einmal dagewefener, aber nun vergangener
Bildungen; ebenfowenig ift ein engherziger Confeffiona-
lismus der Mafsftab für feine Aufftellungen und endlich
ift es auch nicht der reinfubjective, uncontrollirbare Ge-
fchmack, der bei ihm das Wort führt. Sondern auf
Grund, jedoch mit freier Verwerthung, des gefchichtlich
Gewordenen und thatfächlich Vorhandenen wird, den
evangelifchen Grundgedanken und -Empfindungen ein
adäquater cultifcher Ausdruck zu geben verfucht, mit
Rückficht ebenfo auf die Gefetze des Wohlanftändigen
und Schönen wie auf die praktifchen Bedürfnifse der
kirchlichen Gegenwart. ,Gefunde Vermählung des Alten
mit dem Neuen' (S. 72), das ift der Weg, auf welchem
wir allein in diefen Dingen weiter kommen können, und
Manches von dem, was Spitta vorfchlägt, fcheint mir
auch geeignet uns weiterzuführen. Ich rechne dahin vor
Allem, was er über den Kirchenbau und das Abendmahl
fagt (Abh. II u. III). Dafs der evangelifche Cultus in
jenem auf den Centraibau gewiefen ift, fleht mir ebenfo
lang fchon feft, wie dafs das Abendmahl aus einem
mysteriunt tremendum zu einem ,Freudenfeft'(109) werden
müffe. Und wenn Spitta nun in jenem Centraibau Orgel
und Chorplatz hinter den Altar (in den einen Arm eines
griechifchen Kreuzes) verlegt, rechts und links vor denselben
feitwärts Kanzel und Taufftein poftirt, die Gemeinde
aber in die drei übrigen Arme des Kreuzes fo
vertheilt, dafs Alle fowohl Altar als Kanzel fehen können
(vgl. den Grundrifs S. 99), fo fcheint mir in der That
damit eine Idee eines evangel. Kirchenbaues gegeben zu
fein, mit welcher heute ein evang. Baumeifter etwas anfangen
kann. Weniger verfpreche ich mir von den Re-
fponforien zwifchen der Gemeinde und einem am Altar
aufgeftellten Knabenchor (S. 57), fo glücklich auch
der Gedanke ift, das Mifsverhältnifs zwifchen einem
fprechenden Geiftlichen (denn das Singen desfelben
wird S. 55 mit Recht verworfen) und einer fingend-re-
fpondirenden Gemeinde dadurch aufzuheben: doch thut
hierin die mangelnde Gewöhnung vielleicht meinem Ur-
theile Eintrag. Anderes erregt mein Bedenken, wie das
Auswendiglernen der Liturgie (S. 52): was würden wir
da zu hören bekommen, auch unter Vorausfetzung einer
liturgifchen Vorbildung der Candidaten, welche Sp. S. 59
mit Unrecht fo allgemein vermifst! Die Präfation bezw.
das Hofianna am Ende des Gottesdienftes (42 ff.) erfcheint
mir, fo äfthetifch-geiftvoll fie auch hier (unter Berufung
auf die diöaxrj) vertheidigt wird, immer noch als ein
Mifsgriff, zum Minderten als etwas Künftliches, fofern
unfern heutigen Gemeinden der beftändige Hinweis auf
den in der Endzeit kommenden Herrn ebenfo fremd fein
müfste, als der auf den im Abendmahl gegenwärtigen
es ihnen thatfächlich ift. Das entfpräche der Volkstümlichkeit
unferes Gottesdienftes nicht, welche der Verf.
fonft mit Recht fo warm befürwortet. Auch fcheint er
mir Bedürfnifs und Gefchmack des Volkes zu über-
fchätzen, wenn er meint (115), es könne fich je an kirchlicher
Kunftmufik erbauen. Doch das find Einzelheiten,
über die fich ftreiten läfst und die jedenfalls gegenüber
dem Gefammteindruck des Buches nicht in's Gewicht
fallen. Diefer aber kann dahin zufammengefafst werden,
dafs, wenn überall unfer Cultus mit fo freiem, offenem,
praktifchem und unbefangenem Blick betrachtet, mit fo
warmer Begeifterung in die Hand genommen und mit fo
feinem, auch für das fcheinbar Kleinfte empfindlichem,
ebenfo religiöfen als älthetifchen Verftändnifs bearbeitet
werden würde, ein wirklicher Auffchwung desfelben nicht

ausbleiben könnte. Erwähnt fei noch, dafs die meiften
der Briefe und Abhandlungen fchon vorher im Ev. Gemeindeblatt
für Rheinland und Weftphalen veröffentlicht
worden find, auch der hübfche Lebensabrifs von Spitta's
Lieblingscomponiften, Heinrich Schütz, mit welchem die
vorliegende Sammlung abfchliefst. Man kann es dem
Verf. nur lebhaft danken, dafs er fie hier nochmals, vermehrt
und verbeffert, einem gröfseren Leferkreife zugänglich
gemacht hat.

Heidelberg. Baffermann.

Witz, Dr. Ch. Alph., Der zweite Brief Petri. In homiletifch-
exegetifchen Reden erklärt. Gütersloh, Bertelsmann,
1890. (XI, 93 S. 8.) M. 1. 20.

Der Herr Verf., deffen Schrift durch ein empfehlendes
Vorwort von D. R. Kübel in die üeffentlichkeit eingeführt
wird, verwahrt fich dagegen, dafs man den Mafsftab
regelrechter Predigten an feine Gabe lege; es find
eine Art von Bibelftudien, augenfcheinlich, wie die durchweg
edle und fchöne Sprache bezeugt, vor einer gebildeten
Hörerfchaft gehalten. Dafs auch bei fchriftfreu-
digen Chriften der 2. Petrusbrief fehr zurücktritt, ift mit
dem Vorwort nicht zu leugnen; fo mag es wohlgethan
fein, auch diefen Brief durch eingehende Beleuchtung
dem näheren Verftändnifs zu erfchliefsen. Eine gute
und lesbare, nur an einzelnen Stellen freiere, Ueber-
fetzung des Briefes ftellt der Herr Verf. voran; es folgen
fechs Abfchnitte, nämlich 1) das evangelifche Glaubensleben
(1, 1—11), 2) der fefte Glaubensgrund (1, 12—21),
3) die verderblichen Sonderrichtungen (2, i—I3a), 4) die
gottlofen Verführungen (2, 13b—22), 5) die chriftliche
Hoffnung (3,1—10), 6) die himmlifche Rüftung (3,11—18).
Die Autorfchaft des Apoftels Petrus wird überall ohne
jegliches Bedenken vorausgefetzt. In der Auslegung
folgt der Hr. Verf. den Commentaren von v. Hofmann, Wiefinger
, Huther und Heubner; in der eigenthümlichen Auf-
faffung fchliefst er fich vorzugsweife v. Hofmann an
(auch in 1, 16—21), und diefer Theologe wird nächft
,Dr. C. A. Witz: Die zweite helvetifche Confeffion.
Klagenfurt. Joh. Heyn 1881' am meiften citirt.

Die Erörterung der Partien des Buches, welche exe-
getifche und dogmatifche Schwierigkeiten nicht bieten,
fondern mehr ethifchen Charakter haben (Cap. 2 und 3),
find dem Herrn Verf. am bellen gelungen. Wo er
dogmatifches Gebiet betritt, vertagt feine Kraft. So
finden wir in der 5. Betrachtung viel über die Wiederkunft
Chrifti geredet; wo jedoch das religiöfe Intereffe
an diefem Theil der Chriftenhoffnung liege, welches der
unveräufserliche religiöfe Kern jener Hoffnung fei,
davon erfährt Hörer und Lefer kein Wort. Selbltver-
lländlich tritt der bezeichnete Mangel in den Betrachtungen
über das 1. Capitel weit fchärfer hervor, weil hier
die Gelegenheit dazu reichlicher ift. Faft keine Seite,
auf der nicht zu diefem oder jenem Satz ein Fragezeichen
der Befremdung zu machen wäre. Da lefen wir, dafs
der Eingang in das ewige Reich Chrifti durch die Darreichung
der chriftlichen Tugenden bedingt fei (S. 23),
dafs er abhängig fei von unferer Treue in der Heiligung
(S. 24), dafs den Zuftand der Nachläffigkeit und Gleichgültigkeit
dieGedächtnifsfchwäche verfchulde (S. 30)
und dafs der Werth der Heiligung in der lebendigen
Erinnerung an die Gnade Chrifti beftehe (S. 32) u. f. w.
Es find dies mehr als Ungenauigkeiten des Ausdrucks,
es find Unklarheiten des Gedankens, mit denen unfere
Gebildeten heute mehr als je zu verfchonen fein dürften.
Im übrigen ift zu notiren: der .fchöpfende' Gott (S. 7),
,das' Schild des Glaubens (S. 73), die ,heidnifche Chriften-
heit' (foll heifsen: die Heidenchriften).

Marburg. E. Chr. Achelis.