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Ausgabe:

1891 Nr. 11

Spalte:

275-277

Autor/Hrsg.:

Reuss, Ed.

Titel/Untertitel:

Die Geschichte der heiligen Schriften AltenTestaments 1891

Rezensent:

Guthe, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. II.

276

Ein kleiner Auffatz ,Die talmudifche Lehre vom
göttlichen Wefen' (S. 177—186) ftellt alle Gottes-Namen
zufammen, welche in der alterten rabbinifchen Literatur,
namentlich in der Mifchna vorkommen. Die Belegftellen
find allerdings nicht vollftändig. So find für die Bezeichnung
Gottes als des Vaters von den fünf Stellen
der Mifchna nur zwei angeführt. Sie mögen daher hier
vollftändig ftehen: Kilajim IX, 8 (feinen Vater im Himmel),
Ioma VIII, 9 (euer Vater im Himmel), Rosch haschana
III, 8 (ihrem Vater im Himmel), Sota IX, 15 (auf unferen
Vater im Himmel), Aboth V, 20 (deines Vaters im
Himmel). Die Gebets-Anrede ,Unfer Vater im Himmel'
findet fich nirgends in der Mifchna; freilich ift in der-
felben auch wenig Veranlaffung zur Anführung einer
Gebets-Anrede. Das gleichalterige Schmone Efre hat
zwar in der 5. und 6. Beracha die Anrede "COX, aber
ohne den Zufatz D^ElTa».

Ein verwandtes Thema ift S. 187—212 behandelt:
,Die Ausfprache des vierbuchftabigen Gottesnamens'.
Es wird hier das allmähliche Verbot der Ausfprache
von der biblifchen bis zur nachtalmudifchen Zeit unter-
fucht

Von den übrigen Abhandlungen feien noch erwähnt
S. 213—221: ,Die Lehre Philo's vom Eide'; S. 357—397:
,Gefchichtliche Erläuterung der Wochen Daniel's' (die
Wochen find nicht Jahr wochen, fondern wirkliche Wochen
von fieben Tagen; die eine Woche 9, 27 ift eine Woche
während der Belagerung Jerufalems durch Antiochus VII
Sidetes zur Zeit des Johannes Hyrkan im J. 135 vor Chr.!!);
S. 399—449: ,Die grofse Synode' (ift die im erften Makka-
bäerbuche Cap. 14 erwähnte grofse Verfammlung; Simon
der Gerechte, welcher nach Pirke Aboth I, 2 zu ,den
Ueberbleibfeln der grofsen Verfammlung' gehörte, ift
Simon der Makkabäer!); S. 451—471: ,Mofes Mendels-
fohn' (als Bibelforfcher, Germanifator und Staatsrechtslehrer
).

Weniger mannigfaltig als der erfte Band ift der
zweite, welcher ausfchliefslich Beiträge zur neuern Ge-
fchichte der Juden und der jüdifchen Gelehrten bringt.
Die erften Auffätze befchäftigen fich mit der neueren
Gefchichte der kabbaliftifchen und myftifchen Richtungen
im Judenthum (befonders den modernen ,Chafidäern') und
verwandten Gegenftänden (talmudifche Mantik, Aftro-
logie bei den Juden). Der umfangreichfte Auffatz ift eine
Biographie des Rabbiners Aron Chorin zu Arad in Ungarn
(f 1844). Andere biographifche Artikel behandeln:
Abraham und Jofeph Flefch, Michael Sachs, Ifak Noah
Mannheimer, Samuel David Luzzattö, Salomo Münk.

Für den 3. und 4. Band find Arbeiten ,Zur tal-
mudifchen Alterthumskunde' in Ausficht genommen.
Sie werden manches enthalten, was auch für den chrift-
lichen Theologen von Intereffe ift.

Kiel. E. Schürer.

Reuss, Ed., Die Geschichte der heiligen Schriften Alten
Testaments. 2. verm. u. verb. Ausg. Braunfchweig,
Schwetfchke&Sohn, 1890. (XX, 780 S. gr.8.) M. 15.—

Die erfte Auflage diefes Werkes erfchien 1881, vom
Neujahrstage 1890 ift die Vorrede zur zweiten Auflage
datirt. Ich beglückwünfche den hochverehrten Herrn Verf.
dazu, dafs es ihm vergönnt gewefen ift, mit eigener Hand
diefes Buch, das er felbft feine .Lebensarbeit' genannt
hat, zum zweiten Mal herauszugeben. Er wird daraus
die Ueberzeugung gefchöpft haben, dafs die lang hinaus-
gefchobene Veröffentlichung feiner Arbeit kein ,über-
flüffiges' Unternehmen gewefen ift, trotzdem dafs andere
Gelehrte mit ähnlichen Schriften ihm zuvorgekommen
waren (vgl. S. VIII f.). Es ift diefer Erfolg um fo be-
achtenswerther, als das umfangreiche Buch von R. nicht
die Stelle eines Hand- oder Lehrbuches einer theolo-
gifchen Disciplin in der gewöhnlichen Abgrenzung einnimmt
. Die Eigenthümlichkeit feines Planes befteht bekanntlich
in der Verbindung der Nationalgefchichte mit
der Literatur. Wer nun nach der gewöhnlichen Schablone
zu fuchen pflegt, der findet in R.'s ,Gefchichte'
Doppeltes, nämlich ,Einleitung in d. A. T.' und ,Gefchichte
Ifrael's', in einander gefchoben, und zwar haben die
literarkritifchen Fragen ihre Ordnung nicht durch die
Reihenfolge der biblifchen Bücher erhalten, fondern durch
die gefchichtliche Zeit, in der fie fich wirklich oder wahr-
fcheinlich bewegen. Das ift gewifs für die Methode und
für das Verftändnifs fehr wichtig, aber unbequem für
den Gebrauch des Buches, namentlich in der Hand eines
Studirenden. Dafs dennoch auch diefe dasfelbe hoch-
fchätzen und gerne lefen, kann ich aus Erfahrung bezeugen
.

Ueber die Anlage des Ganzen habe ich mich bereits
in der Anzeige der erften Auflage (Th. L.-Z. 1882, 577 ff.)
ausgefprochen. Sie ift in der zweiten Auflage diefelbe
geblieben, nur dafs die Paragraphen über das Buch
Daniel, früher 464—469, aus dem .Vierten Buch' (die
Zeit der Schriftgelehrten) in das ,Dritte Buch' (die Zeit
der Priefter) herübergenommen find und jetzt die Zahlen
458—463 tragen. Diefe Umftellung ift, wie mir fcheint,
durchaus zu billigen. Im Uebrigen find nicht nur die
Zahlen, fondern auch der Inhalt der Paragraphen unverändert
geblieben. Wenn trotzdem das Buch von 744 S.
auf 780 S. angewachfen ift, fo rührt das, abgefehen von
etwas breiterem Druck, davon her, dafs die Anmerkungen
Zufätze erfahren haben und in den Literaturangaben die
Namen der Verfaffer durch gefperrten Satz hervorgehoben
worden find. Das Letztere ift für den Gebrauch
eine fehr willkommene Aenderung.

Die Zufätze zu den die einzelnen Paragraphen trennenden
Anmerkungen find theils fachlicher Art, theils
enthalten fie Literaturangaben. Was die erfteren anlangt,
fo hebe ich Folgendes heraus. S. 81 f. kommt R. auf
die Auffätze Dillmann's am Schlufs feines Hexateuch-
kommentars zu fprechen, lobt die dort gegebene Cha-
rakteriftik des PC., nämlich, ,dafs er eigentlich und wefent-
lich Theorie und Syftematifirung fei, eine rein ideale
Ordnung, welche in die mof. Zeit zurückgetragen wird,
ein Werk ganz privater Natur, ohne actuale Gefetzes-
kraft', und fafst fein Urtheil über Dillmann's Standpunkt
dahin zufammen, dafs er fagt: ,Wir meinen, damit ift uns
die Hauptfache zugeftanden, und die Frage nach der
Zeit des Urfprungs dürfte der Pfychologie anheimgegeben
werden. Den PC. der Zeit nach vor die Propheten zu
fetzen, hiefse doch den kath. Mefskanon der Bergpredigt
vorangehen laffen'. — S. 16. 220. 224. 322 etc. wird auf
die aus den affyrifchen Infchriften gewonnenen Zahlen für
die Zeit der ifraelitifchen Könige Rückficht genommen. —
S. 85 verzeichnet R. die Anfchauung, dafs das eigentliche
Prophetenthum erft mit Samuel begonnen habe und früher
die Leitung des Volkes den Prieftern, als Vertretern des
herkömmlichen ungefchriebenen Rechts, zugefallen fei,
während er in der erften Auflage nur eine ,Continuität
des Prophetismus' um der gefchichtlichen PerfonMofe's
willen gefordert hatte. — S. 334 zeigt R., dafs die neuefte
Kritik der prophetifchen Schriften nicht feinen Beifall
hat. Wenn deutfche Gelehrte an einzelnen Verfen und
Wörtern nachweifen wollen, dafs diefe Schriften nur in
einer jüngeren ausgleichenden Ueberarbeitung vorliegen,
franzöfifche Gelehrte hingegen annehmen, dafs die pro-
phetifche Literatur erft in den letzten Jahrhunderten v. Chr.
entftanden fei, fo gefleht R., dem Scharffinn der erfteren
und der Keckheit der letzteren nicht folgen zu können.
Man darf aber dabei nicht vergeffen, dafs R. die Wege
der erfteren hat bahnen helfen, und dafs er in feinem
Buche häufig die Richtung der erfteren andeutet, ohne
felbft fich auf den Weg zu machen. So bleibt R. bei
feinen Anfchauungen über Micha S. Jjjji ff. und Sacharja
9—11 S. 282 ff., C. 12—14 S. 351 ff. flehen und begnügt
fich, die neueften Unterfuchungen, namentlich Stade's,
kurz nach ihrem Gewicht hervorzuheben (S. 284).