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Ausgabe:

1891 Nr. 10

Spalte:

255-261

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Hermann

Titel/Untertitel:

Handbuch der Symbolik oder übersichtliche Darstellung der charakteristischen Lehrunterschiede in den Bekenntnissen der beiden katholischen und der beiden reformatorischen Kirchen, nebst einem Anhang

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 10.

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welche durch das Medium eines lateinifchen Textes einem
Bearbeiter kaum zugemuthet werden kann. Wörtliches
Zufammentreffen thut deutlich dar, dafs Berthold den
jüngeren Titurel gekannt haben mufs (Strobl, Berthold
II, XXIV). Wie Bellt fich Schönbach mit feiner Hypo-
thefe zu den Beziehungen Berthold's zum Schwabenfpiegel
(Strobl, Wiener Sitzungsber. XCI 205 ff.)? Auch Schönbach
wird nicht annehmen wollen, dafs der oder die
Bearbeiter des 14. Jahrh. die betreffenden Citate in den
Mff. nachgefchlagen hätten, um den Wortlaut zu treffen.
Auch was Schönbach (Anz. VII, 372) über das rednerifche
Organ Berthold's (wenn ich es fo nennen darf) geäufsert
hat, ift mit feiner nunmehrigen Vermuthung nur auf
künftlichftem Wege in Einklang zu bringen u. a. Wir
müffen erft die Gefammtthätigkeit des Mannes überfehen
können (vielleicht bringt fchon der neuefte Freiburger
Fund neue Aufklärung), um alle Einzelheiten in richtigem
Verhältnifs gegen einander abzuwägen. Bis dahin
fleht die Frage immer noch, wie fie Anz. VII, 401 for-
mulirt worden ift: fie ift noch nicht fpruchreif.

Marburg i/H. Friedrich Kauffmann.

Schmidt, Prof. Dr. Herrn., Handbuch der Symbolik oder
überfichtliche Darfteilung der charakteriftifchen Lehr-
unterfchiede in den Bekenntnifsen der beiden katho-
lifchen und der beiden reformatorifchen Kirchen, nebft
einem Anhang über Sekten und Härefen. Berlin,
Reuther, 1890. (XV, 491 S. gr. 8.) M. 9. —

Um der Eigentümlichkeit des vorliegenden Werkes
ganz gerecht zu werden, mufs man fich bei der Beurteilung
desfelben die durch den Verf. im Vorwort gegebene
Erklärung ftets gegenwärtig halten. ,Als ich in den
Studien und Kritiken meine Abhandlung über prinzipielle
Fragen der Symbolik veröffentlichte (Jahrgang 1887,
S. 491 — 533 und 599—646), lag mir die Abiicht noch ferne,
das dort gegebene Schema in einer eigenen Bearbeitung
weiter auszuführen. Eine von Aufsen her gekommene
Anregung beftimmte mich erft, der Aufgabe näher zu
treten. Freilich wurde mir bald klar, dafs ich diefelbe
in dem urfprünglich gedachten Umfange auszuführen
nicht im Stande fein werde. Zur Herftellung eines eigenen
Werkes, das überall auf die früheren Bearbeitungen,
fei's zuftimmend, fei's abwehrend, Rückficht nehmen, und
die Einzelfragen, die monographifch oder in Journalartikeln
zur Verhandlung gekommen waren, eingehend
behandeln follte, wie ich einen Augenblick geplant, fehlte
mir die Zeit; ich hätte jedenfalls die Vollendung eines
derartigen Werkes in eine ziemliche Zeitferne hinausrücken
müffen. Aber mehr als der Mangel an Zeit war
für mich das Gefühl beftimmend, dafs ich meiner Eigenart
nach zu einer derartigen Behandlung nicht die rechte
Fähigkeit befitze. Das in mir mächtig fich geltend machende
Bedürfnifs, die von mir gewonnene Anfchauung in ihrem
inneren Zufammenhang darzuftellen, hätte mir die Pflicht,
überall bei Freund und Gegner erft herum zu hören,
was fie von der Sache denken, zu einer höchft peinlichen
gemacht und mich doch immer mit der Furcht
erfüllt, dafs ich da oder dort nicht genau genug gehört
und zugefehen habe. So entfchlofs ich mich denn lieber,
die Aufgabe mir enger zu flecken und zum Voraus auf
den Ruhm zu verzichten, dafs meine Schrift zugleich als
literarifches Repertorium für den dienen könne, der fich
eingehender mit dem Gegenftand, den fie behandelt, be-
fchäftigen möchte' (S. V—VI). — Wir wollen mit dem
Verf. nicht über die hier auseinandergefetzten Motive
feines Unternehmens rechten, und nehmen fein Buch wie
es fich uns giebt. Nur fei bemerkt, dafs die prinzipielle
Befchränkung, die er fich auferlegt, nicht blofs die lite-
rarifchen Hilfsmittel zur Symbolik betrifft, fondern fich
auch in vielen Fällen auf die Quellenbelege felber er-
ftreckt; letztere werden nicht feiten einfach vorausgefetzt,

öfters noch umfchrieben und mit fubjectiven Erklärungen
und Reflexionen verwoben. Wer nun die durch S. angedeuteten
Stellen und Citate kennt, dem bieten die eingeflochtenen
Erläuterungen manche Belehrung und dankens-
werthe Förderung; der Anfänger dagegen wird nicht in
hinreichendem Mafse in die Quellen felber eingeführt,
und es dürfte ihm oft fchwer fallen, zu unterfcheiden,
was Text und was Commentar ift. Nach diefer Seite
hin wird namentlich der Student aus Oehler's Lehrbuch
und felbft aus den Winer'fchen Tabellen fein pofitives
Wiffen unmittelbarer bereichern können.

Dagegen ift m. E. den beiden letztgenanten Schriften
gegenüber Schmidt's Werk in einem grundlegenden
Punkte fragelos weit überlegen, ich meine in der allgemeinen
Anlage und der Gruppirung des Stoffs. Er hat
die hergebrachte, durch Winer, Guericke, Oehler u. a. angewandte
Methode der einzelnen loci verlaffen, nach welcher
die gefchloffenen Lehrfyfteme derKirchen oder kirchlichen
Parteien in eine Maffe von Notizen zerfallen, und
jede einheitliche, genetifche und organifche Auffaffung und
Beurtheilung der chriftlichen Confeffionen unmöglich ift.
Vielmehr hat es fich der Verf. ftets angelegen fein laflen,
eine Totalanfchauung der kirchlichen Erfcheinungen zu erreichen
und diefelbe aus dem eigenthümlichenGrundprinzip
und den treibenden religiöfen Factoren zu verftehen und
darzuftellen. Wenn er auch den Umfang der Symbolik
zu enge fafst und es zu ausfchliefslich mit den Lehrbegriffen
zu thun hat, fo ift doch fein Streben ftets darauf
gerichtet, die kirchlichen Confeffionen als Ganzes auf
ihren Werthunterfchied zu prüfen, und in ihrer prinzipiellen
Eigenthümlichkeit und ihrem inneren Zufammenhang
zu würdigen. Sein Verfuch, das charakteriftifche Wefen
der Kirchen durch eine bezeichnende Formel zum Ausdruck
zu bringen, wird den Hiftoriker feiten ganz befriedigen
, ift aber auch für diefen lehrreich, und man wird
fich der Richtigkeit mancher allgemeinen Apercus nicht
entziehen können. — Das Buch zerfällt in zwei Haupttheile:
Die katholifchen Kirchen (S. 30—252), die reformatorifchen
Kirchen (253—459). Ein Anhang (460—488) giebt
eine ,Allgemeine Charakteriftik der Secte und Härefe'.

Um ,die katholifche Kirche auf dem Boden des grie-
chifchen Typus oder die liturgifch-myftifche Traditionskirche
' (S. 30—83) zu charakterifiren, greift S. nur fpora-
difch auf die Begründerdes griechifchen Chriftenthums und
auf die Schöpfer der byzantinifchen Theologie zurück.
Häufig bedurfte es nur einer eingehenderen Durchführung
flüchtig angedeuteter Gedanken, um die Unterfuchung in
ein richtiges Geleife zu führen und in umfaffenderer Weife
fruchtbar zu machen. Wenn z. B. Schmidt es ausfpricht,
dafs wir mit Hilfe des origeniftifchen Theologumenon
vom Urfprung der Sünde in die leitenden Grundanfch.au-
ungen der griechifchen Theologie hineinfehen (S. 57);
wenn er zum Verftändnifs des Intereffes der griechifchen
Kirche an den facramentalen Handlungen auf die vor-
chriftlichen Myfterien hinweift (S. 65); wenn er zuweilen
die treibenden F"actoren des Chriftenthums Athanafius' in
Erinnerung bringt, fo kann man nur bedauern, dafs er
es fich verfagt hat, confequenter und energifcher diefe
Bahn zu betreten. Diefer Mangel ift durch eine zu
fchwankende, nicht beftimmt und genügend motivirte
Beurtheilung der Quellen verurfacht. Eine klare Stellung
zur wichtigen zwifchen Kattenbufch und Gafs verhandelten
Frage, inwiefern die Bekenntnifse der griechifchen
Kirche .authentifche' Urkunden für die gründliche und
vollftändige Kenntnifs diefer Kirche find, hat S. nicht
eingenommen. In feiner pofitiven Darftellung legt der
Verf. den Sonderconfeffionen der griechifch-orientalifchen
Kirche eine viel gröfsere Wichtigkeit bei, als es fich nach
feinen prinzipiellen Erörterungen über die Quellen im
Allgemeinen erwarten liefs (§ 1). — Intereffant und be-
achtenswerth find die Paragraphen über die Auffaffung
vom Werth des Chriftenthums im Allgemeinen (S.43—52)
nach dem Verftändnifs der griechifchen Kirche. Der Ge-