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Ausgabe:

1891

Spalte:

5-11

Autor/Hrsg.:

Kabisch, Richard

Titel/Untertitel:

Das 4. Buch Esra, auf seine Quellen untersucht 1891

Rezensent:

Gunkel, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. r.

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überwiegend bezeugt ift, und weil die andere augen-
fcheinlich Correctur nach Lucas ift. Schon damit ift
entfchieden, dafs diefes Emmaus nicht mit dem fünf
bis fechs Mal fo weit von Jerufalem entfernten Emmaus-
Nikopolis identifch fein kann. Gegen diefe Identität
fpricht aber auch die ganze Art, wie Jofephus die
Veteranen - Colonie Vefpafian's erwähnt. Nachdem er
das bekannte Emmaus bereits elfmal in feiner Darfteilung
des Bell. lud. erwähnt hat, es alfo bei feinen Lefern als
bekannt vorausfetzen mufs, fagt er Bell. lud. VII, 6, 6,
Vefpafian habe den Veteranen ein ycoolov angewiefen,
o xakelxat [ihr ylpftaovq, äjieyei dt xmv hooöolvpmv
Gxaöiovg xQiäxovxa. Es ift unmöglich, dafs Jofephus in
diefer Weife von einem bedeutenden und bekannten
Orte fprechen follte, den er fchon elf mal vorher erwähnt
hat. — Zur Vervollftändigung feiner Beweisführung hätte
Sch. noch einige Argumente berückfichtigen müffen,
welche von Belley {Memoires de l'Acad. des inscr. et
belles-lettres, alte Serie Bd. XXX, 1764, S. 2o4ff.) und
den an ihn fich anfchliefsenden Numifmatikern für die
Identität der Veteranen-Colonie mit Emmaus-Nikopolis
geltend gemacht worden find, nämlich: 1) die Angabe
des Sozomenus HiSt. eccl. V, 21, dafs Nikopolis diefen
Namen fchon ,nach der Einnahme Jerufalems und dem
Siege über die Juden' erhalten habe, und 2) die angeblich
auf den Münzen von Nikopolis vorkommende Aera
vom Jahre 70 n. Chr. Dafs beide Argumente nicht
ftichhaltig find, glaube ich in meiner Gefchichte des
jüdifchen Volkes I, 537 f. gezeigt zu haben. Sachlich ift
alfo hier Sch. durchaus im Rechte.

Nicht für richtig vermag ich dagegen die Identifi-
cirung des lucanifchen Emmaus mit Emmaus-Nikopolis
zu halten. Von den beiden Lesarten bei Lucas, 60 und
160 Stadien, ift die erftere ftärker bezeugt, wie fie denn
auch von Tifchendorf und Weftcott-Hort bevorzugt wird.
Die Lesart 160 ift höchft wahrfcheinlich erft entftanden
infolge der Identificirung mit Emmaus-Nikopolis. Für
die Richtigkeit der Lesart 60 fpricht aber auch derUm-
ftand, dafs 160 Stadien für einen Nachmittags- oder
Abend-Spaziergang der Jünger viel zu weit find. Zwar
führt Sch. Beweife aus neuefter Zeit an, dafs rüftige
Fufsgänger den Weg von Jerufalem nach Amwäs in
fünf Stunden, alfo mit der nöthigen Ruhepaufe hin und
her in etwa zwölf Stunden zurücklegen können (130 S. ff).
Aber die Erzählung des Lucas macht nicht den Eindruck,
dafs die Jünger fich auf einem folchen Parforce-Marfch
befanden. Andererfeits haben wir ja in der Veteranen-
Colonie Vefpafian's einen ftcheren Beleg dafür, dafs es
auch ein Emmaus in der Nähe Jerufalems gegeben hat.
Wer dies anerkennt, wird kaum an der Identität des
lucanifchen Emmaus mit der Veteranen-Colonie zweifeln
können. Denn dafs Jofephus die Entfernung auf 30
Stadien, Lucas auf 60 Stadien fchätzt, beweift nur die
Unabhängigkeit des einen vom andern und kann bei der
Ungenauigkeit folcher Schätzungen kein Argument gegen
die Identität bilden.

Der Hauptwerth des Buches von Sch. befteht in
der grofsen Gründlichkeit, mit welcher die ältere und
jüngere Tradition über Emmaus vorgeführt wird. Wer
diefe kennen lernen will, findet hier reiches Material.

Kiel. E. Schürer.

Kabisch, Lic. Rieh., Das 4. Buch Esra, auf seine Quellen
untersucht. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprechts
Verl., 1889. (VIII, 176 S. gr. 8.) M. 4-—
Das 4. BuchEfra ift ein .Sammelwerk'. In ein .gröfse-
res Hauptbuch', das unter dem Pfeudonym Salathiels (3,1)
Vorlag, S, Visio I—IV, find von einem Redactor, R, eine
kleinere Apokalypfe, E, 5, 1 —13; 6, 12—34; 7, 28-35;
[6, 1—17], 8, 63—9, 13; ferner zwei apokalyptifche Stücke,
A, ViSio V; M, Visio VI, und ein hiftorifcher Abfchnitt, E2,
Vii. VII, eingearbeitet und zu einem Efrabuche geftaltet.

S, die ,Grundfchrift', eine Theodicee in Frage und Antwort
, gefchrieben 100Chr., wohl in Rom, enthält einen
fchroffen .Dualismus' mit völliger ,Verjenfeitigung' des
.Lebensideals'. Diesfeits und Jenfeits find zeitlich, räumlich
und .durch ihren Glücksgehalt' getrennt und auch
,metaphyfifch, ftofflich', d.h. ,chemifch' verfchieden: oben
der .unvergängliche LichtftofP, unten der .vergängliche,
finftere Erdenftoff'; die Materie das ,Element der Be-
fchränktheit und Vergänglichkeit', des ,moralifchen und
eudämoniftifchen Uebels'. Der Menfch mufs fündigen,
weil er ein böfes, d.h. materielles Herz hat. Sein Leib
kann die Lichtfubftanz der göttlichen Weisheit nicht
.faffen'(durchaus .räumlich' zu denken), es fei denn, dafs
er fich zuvor ,entleere' — NB. durch Faften. Will er
aber gar das himmlifche Sion betreten, fo mufs er fich
zuvor durch ,Blumeneffen' mit .Lichttheilchen' füllen.
Das aus der öVifa flammende Gefetz geht mit den Seelen
der Gläubigen eine ,chemifche' Verbindung ein und macht
fie fo unfterblich; die Gebote brauchen dabei nicht gehalten
zu werden. — Zu diefer ,rein helleniftifchen Weltbetrachtung
' ftimmt die Eschatologie: Verf. fieht die
Hoffnungen nur im Jenfeits, .verdammt' daher den Mef-
fiasglauben und verwirft die Wiederherftellung Ifraels im
Diesfeits. — In der Beurtheilung der Heiden ift er ganz
human.

E, eine Efraapokalypfe, giebt eine Darfteilung der
Meffiaswehen und des Endgerichtes, der übernommenen
apokalyptifchen Tradition gegenüber wenig felbftändig.
Verf. ,ein ruhig denkender Mann und ein Schriftgelehrter
'. Zeit: 30 ct. Chr. Ort: Paläftina. E erwartet
ein Meffiasreich von 400 Jahren, glaubt alfo an die
.Seligkeit fchon auf Erden'. In S und E flehen daher
,zwei Weltanfchauungen einander gegenüber': .Optimismus
hier, Peffimismus dort'. Aber nach den 400
Jahren kommt bei E Auferftehung, Gericht, Ewigkeit
. Alfo auch bei ihm .Verjenfeitigung des Seligkeitsideals
', eine .Conceffion an den herandrängenden Supra-
naturalismus'. Gegen Rom gleichgültig, erwartet er vom
Meffias nur, dafs er Ifrael ,beglücke'. Hierdurch ift er
unterfchieden von der ,kampfesmuthigen Stimmung bei
A und M'.

A (Adlergeficht) hofft die Vernichtung Roms durch
den Meffias, der alfo im Unterfchied zu E hier kriege-
rifche Functionen hat. — ,1m kraffeften Widerfpruch' zu
dem .religiöfen Kosmopoliten' S ift A jüdifcher Parti-
cularift', der nur diesfeitige Wünfche kennt. A und S
verhalten fich wie Weltbejahung zu Verneinung, ,genuin
jüdifcher reiner Naturalismus' zu ,hellenifirendem reinen
Supranaturalismus', und das ,find eben Dinge, die fich
ausfchliefsen' 125. ■— Die räthfelhaften ,Gegenflügel' des
römifchen Adlers bezieht Verf. nach Gfrörer auf jü-
difche(!) Könige etc. Zeit: bald nach 90 p. Chr.; aus
zelotifchen, höchft antirömifchen Kreifen.

M (Geficht vom Menfchenfohn), dem A ganz parallel,
nicht fo ftark antirömifch, kennt wie A keine Auferftehung
; aus dem Kreife der Schriftgelehrten, .kurz vor

j der pompejanifchen Epoche', in Jerufalem unter dem Efra-

1 pfeudonym.

E2, der Bericht von der Reftitution der hlg. Schriften
durch Efra, aus einem gröfseren pfeudonymen Efrabuche,
zeitgenöffifch und ideenverwandt mit S. Verf. glaubt,
die Welt würde, von feiner Zeit ab gerechnet, noch 700
Jahre flehen(!).

Endlich R, ,im Einzelnen fchwer zu beftimmen', hat
S, deffen Verzicht auf Ifraels Weltbeherrfchung ihm
nicht zufagte, durch Einflechtung von E .vervollftändigt'
und feinen Römerhafs durch Hinzufügung von A und
M befriedigt. R ift alfo .Zelot'; fchreibt in Paläftina,
ca. 120 p. Chr. und bereitet mit feiner Schrift den Bar-
kochbakrieg vor.

Soweit die originellen Aufftellungen des Verfaffers._

Gewifs hat Kabifch die einzelnen, nach dem Stoff
verfchiedenartigen Gruppen richtig unterfchieden: die