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Ausgabe:

1891 Nr. 8

Spalte:

211-212

Autor/Hrsg.:

Haupt, Erich

Titel/Untertitel:

Pilgerschaft und Vaterhaus. Predigten 1891

Rezensent:

Hans, Julius

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211

Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 8

212

Haupt, Prof. Dr. Erich, Pilgerschaft und Vaterhaus. Predigten
. 2. verm. Aufl. Halle, Niemeyer, 1890. (VI,
154 S. 8.) M. 2. —

Die vorliegende Sammlung enthält zehn Predigten,
nämlich vier Feftpredigten (Weihnachten, Neujahr, Bufs-
tag und Pfingften), drei Sonntagspredigten (Matth. 2,
15; 2 Kor. 12, 7—9; Luc. 16, 23—31) und drei cafuelle
Predigten, die bei Feiten des Gultav Adolf-Vereins und
der inneren Mifflon gehalten wurden. Ueber den zu-
fammenfaffenden Titel fagt der Verfaffer felbft im Vorwort
: ,Der Titel der früheren Sammlung ift aus äufseren
Gründen geblieben, obwohl die neu hinzugefügten —
meift früher auf Verlangen einzeln gedruckten — Predigten
anderen Gefichtspunkten als den im Titel ausge-
fprochenen dienen. Hoffentlich aber hört man auch
aus ihnen etwas heraus von dem Wort: ,wir haben
hier keine bleibende Stadt, fondern die zukünftige
fuchen wir'.

Was nun die Eigenthümlichkeit diefer Haupt'fchen
Predigten betrifft, fo zeichnen fie fleh vor allem durch
eine edle Einfachheit aus. Man fpricht von Profefforen-
predigten im üblen Sinn. Und es giebt folche, nur dafs
es nicht immer Profefforen find, von denen fie gehalten
werden. Davon findet fleh hier keine Spur. Der Verfaffer
ift fleh bewufst, auf der Kanzel, nicht auf dem
Katheder zu flehen; er ift fleh bewufst, zur Gemeinde
zu reden. Aber feine Einfachheit ift nicht Gedanken-
armuth; fie befteht nicht darin, worin fle mancher zu finden
fcheint, dafs er unzähligemale Gefagtes mit etwas
Pathos noch einmal wiederholte. Jede Predigt ift reich
an eigenthümlichen und fruchtbaren Gedanken. Aber
er bleibt immer im Ideenkreife der allgemeinen reli-
giöfen Erfahrung, und feine Darftellungsweife ift eine
durchweg fo concrete, dafs ich meine, es könne Niemand
fchwer fallen, ihm zu folgen. — Ich habe gefagt, er
bleibe im Ideenkreife der allgemeinen religiöfen Erfahrung
, und damit habe ich noch einen andern Vorzug
diefer Predigten berührt. Sie erfüllen die fo oft fchon
mit Recht geftellte Forderung, nicht Theologie zu predigen
, fondern Religion. Männer der verfchiedenften
theologifchen Richtungen werden daraus in gleicher
Weife Erbauung fchöpfen können, nicht etwa, weil der
"Verfaffer feinen Standpunkt verheimlichte oder ver-
fchwiege oder in dämmernder Unbeftimmtheit fleh wohlgefiele
, fondern weil er, von feinem Standpunkt ausgehend
, doch nicht diefen oder deffen Vorausfetzungen
und Folgerungen den Hörern aufzwingen, fondern ihnen
lediglich religiöfe Erbauung und Förderung bieten will,
weil er nicht als ein Theologe zu Laien, fondern als ein
frommer Chrift zu feinen Mitchriften redet. Ich möchte
es befonders^auch an feinen bei Vereinsfeften gehaltenen
Predigten hervorheben, dafs fie wirkliche Predigten find,
keine auf die Kanzel verlegten Eröffnungsreden oder
Vorträge, wie das fo wohlthuend auch an feiner im
vorigen Jahre bei der Generalverfammlung des evange-
lifchen Bundes in Stuttgart gehaltenen Predigt berührt.
Allerdings fehlt zuweilen mehr, als man erwartete, das
Cafuelle, wie es fonft oft in geiftreichen Anfpielungen
und Wendungen hervortritt und ftarken Eindruck zu
machen pflegt. Allein es ift die Frage, ob diefer Eindruck
nicht mehr ein äfthetifcher, als ein religiöfer zu
fein pflegt und ob es wefentlichen Schaden bringt,
darauf zu verzichten. Ueberhaupt find die Haupt'fchen
Predigten nicht darauf angelegt, durch Mittel der rhe-
torifchen Form zu überrafchen und zu packen. Es ift
eine ruhige, klare Gedankenentwickelung, in der fie fort-
fchreiten, fie wollen nicht überreden, fondern überzeugen,
fie wollen nicht für den Augenblick hinreifsen und be-
geiftern, fondern gefunde, kräftige Nahrung bieten, die,
vom innern Leben aufgenommen, von bleibendem
Werthe für feine Entwickelung ift. Deshalb verlieren
fie auch beim Lefen nicht an Wirkung. — Von Einzelheiten
liefse fleh natürlich einiges beanftanden. Doch
halte ich es nicht für wefentlich genug, um es zu nennen.

Augsburg. J. Hans.

Robertson, Fred. William, Religiöse Reden. In deutfeher
Ueberfetzung, mit einem Vorwort von D. Adolf
Harnack. Leipzig, Hinrichs, 1890. (V,215 S. gr. 8.)
M- 3- — i geb. M. 3. 80.

Es wird nicht nöthig fein, dafs ich mich über den
Werth und die Bedeutung der Robertfon'fchen Predigten
eingehender verbreite. Ich habe es fchon gethan bei
der Anzeige feines ,Lebensbildes in Briefen' (1888). Und
ich kann ftatt meiner D. Harnack reden laffen, der in
dem der obengenannten Sammlung beigegebenen Vorwort
geradezu fagt: ,Ich weifs keinen anderen Prediger,
der eindringlicher zu unferm Zeitalter gefprochen hätte,
als der Verfaffer diefer Reden'. Robertfon's Predigtweife
ift in der That gerade für die Gegenwart in mehrfacher
Hinficht vorbildlich, und es kann den Geiftlichen, be-
fonders denjenigen, welche unter ihren Hörern einen
ftarken Procentfatz von Gebildeten haben, nicht warm
genug empfohlen werden, ihn kennen zu lernen und zu
ftudiren.

Es ift deshalb mit befonderer Freude zu begrüfsen,
dafs immer neue Verfuche gemacht werden, ihn auch
in Deutfchland einzubürgern. Für diejenigen, welche
Englifch verliehen, liegen feine Predigten fchon feit
längerer Zeit in vier Bänden der Tauchnitz Edition vor
(556—58 u. 833). Aufserdem find fchon mehrmals kleinere
Sammlungen in deutfeher Ueberfetzung erfchienen,
eine bei Tobias Löffler in Mannheim, die vergriffen fein
foll, und eine andere, zehn Predigten enthaltend, in der
Agentur des Rauhen Haufes (1867). Ferner find dem
fchon erwähnten ,Lebensbild' zwölf Predigten in Ueberfetzung
beigefügt, und neuerdings hat M. Rade zwei
herausgegeben unter dein Titel: Chriftenworte an Reich
und Arm. Zwei foziale Mufterpredigten Robertfon's
(Gotha, F.A.Perthes, 1890). Die Ueberfetzerin der vorliegenden
Sammlung hat nun bei der von ihr getroffenen
Auswahl auf die fchon vorhandenen Sammlungen keine
Rückficht genommen, fo dafs manche fich dort wie da
finden, fo z. B. die Predigten über die Zunge und das
Gebet im Anfang des ,Lebensbildes', und die über
Elias und die Vermahnung des Herodes durch Johannes
in der Hamburger Sammlung. Es erklärt fich das daraus
, dafs die Ueberfetzerin, wie wir aus Harnack's Vorwort
erfahren, die Predigten zunächft für fich und die
Ihrigen überfetzt hat und erft fpäter durch den Beifall
, den fie in Freudeskreifen fanden, veranlafst wurde,
an die Drucklegung zu denken. Uebrigens liegt darin
kein wefentlicher Mifsftand, da wenige im Befitze aller
Sammlungen fein werden, und von den 24 Predigten,
welche die gegenwärtige enthält, viele doch, meines
Wiffens, zum erftenmal in deutfeher Sprache erfcheinen.

Die Ueberfetzung hat in dem Beftreben, ,die eng-
lifchen Predigten als deutfehe darzubieten', die Eigenthümlichkeit
der Robertfon'fchen Darftellungsweife etwas
verwifcht. Das ift für die, welche Robertfon kennen
und fich in ihn eingelebt haben, ein Mangel; für andere
mag es vielleicht ein Vortheil fein. Nur wäre es zuweilen
wünfehenswerth gewefen, die Abfätze im Druck,
die fich im englifchen Original finden, in ausgedehnterem
Mafse beizubehalten, da fie wefentlich dazu beitragen,
den Gedankengang klar und überfichtlich zu machen.
Zum Theil ift auch die Ausdrucksweife im einzelnen
nicht völlig correct. Doch lieft fich das Ganze flüffig.

Augsburg. J. Hans.