Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1890 Nr. 7

Spalte:

175-176

Autor/Hrsg.:

Sellin, Ernst

Titel/Untertitel:

Die verbal-nominale Doppelnatur der hebräischen Participien und Infinitive und ihre darauf beruhende verschiedene Construktion 1890

Rezensent:

Schwally, Friedrich

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

1/5 Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 7. ljt

treten des Verfaffers fo entfchieden, die Faffung der Er-
gebnifse fo fcharf und klar, dafs wir, was an Widerfpruch
geltend zu machen ift, ganz gewifs auch werden zu hören
bekommen. So kann eine wefentliche Förderung der Er-
kenntnifs durch fein Werk in keinem Falle ausbleiben,
fei es unmittelbar, fei es mittelbar, das Erftere voraus-
fichtlich überwiegend.

Aufgefallen ift mir, dafs der Verf. oft für den Sinn
und Zufammenhang der babylonifchen Vorftellungen von
feinem modernen Standpunkt aus ziemlich wegwerfende
Ausdrücke gebraucht, wo ich viel mehr Grund zu fehen
glaubte, mich der finnigen, von dichterifchem Geifte durchdrungenen
Gedankenfpiele zu freuen. Doch find das nur
Aeufserlichkeiten, vielleicht ein Bodenfatz des erklärlichen
Aergers über manche harte Nufs, die folche Gedanken-
fprünge dem Verf. zu knacken aufgaben.

Die Ausftattung ift glänzend zu nennen und bereitet
einen Genufs, den man bei deutfchen Büchern nicht gewöhnt
ift. Sehr dankenswerth ift auch die beigegebene
babylonifche Himmelskarte, fowie die hübfche Darftellung
babylonifcher Venusbeobachtungen.

Strafsburg iE. K. Budde.

Sellin, Dr. Ernft, Die verbal-nominale Doppelnatur der
hebräischen Participien und Infinitive und ihre darauf
beruhende verfchiedene Conftruktion. Preis- und Pro-
motionsfchrift. Leipzig, Fock, 1889. (85 S. gr. 8).
M. 2. —

Der Verfaffer hat feinen Stoff folgendermafsen dis-
ponirt: 1. Vorfragen (6—Ii). 2. Verhältnifs des Particips
zum Nomen (a) auf Grund feiner Bildung (11—25), (b)
auf Grund feines Gebrauchs im Satze (25—43) und (c)
auf Grund feiner Conftruction mit einem Nomen (43—63).
Die Unterfuchung über den Infinitiv ift in derfelben
Weife disponirt, nimmt aber einen kleineren Raum ein
(64—85), indem der Verfaffer fich hierbei auf eine Arbeit
Koch's bezieht.

DasParticip nun ift nachS. ein urfprüngliches Nomen,
das in der Zeit, in welcher die Sprache noch kein Ver-
bum (im jetzigen Sinne) befafs, als concretes Ausfage-
nomen deffen Stelle vertrat. Aus der Verbindung
folcher Nomina mit einem perfönlichen Fürwort läfst
er das femitifche Perfect und Imperfect entftanden fein.
Das ift möglich. Damit ift aber noch nicht gefagt, dafs
die Verba als grammatifche Kategorie im Verhältnifs zu
dem Nomen fecundär feien, wie S. meint, fondern nur die
jetzt vorliegenden Verbalformen. Das Ganze ift eine
echte Doctorfrage, auf deren vermeintliche Löfung fich S.
viel zu gut zu thun fcheint. — Indem er die Definition
des femitifchen Verbums, als Thätigkeitswort zurückweift
, definirt er dasfelbe mit Olshaufen als ,Satzwort',
d. h. als ein Wort, in dem Perfon und Ausfage
in eine Einheit gefetzt find. Diefe Beftimmung ift ja
richtig, aber es liegt doch andererfeits fo, dafs die Satzwörter
lauter Thätigkeitswörter find. S. beruft fich mit
einem Schein des Rechts auf die Zuftandsverba. Aber
der zuftändliche Sinn diefer Verbalclaffe kann nicht
urfprünglich fein, fondern mufs fich aus der anfchau-
licheren Bedeutung der Bewegung entwickelt haben.
In vielen Fällen ift übrigens eine ftrenge Scheidung
zwifchen activen und ftativen Verben fchlechterdings
unmöglich. Angefichts des lateinifchen calet etc. hätte
S. auch für die indogermanifchen Sprachen die Definition
des Verbs als Thätigkeitswort verwerfen müffen.
Demgemäfs werden wir uns vorläufig diefer Bezeichnung
ohne Scrupel bedienen können. Der Verfaffer hat viel
zu wenig der Thatfache Beachtung gefchenkt, dafs alle
fprachlichen Kategorien fliefsende, und dafs klipp und
klare Definitionen ein Ding der Unmöglichkeit find.
Was aber das Verhältnifs des indogermanifchen und
femitifchen Verbums betrifft, fo ftimmen beide im Grofsen

und Ganzen in ihrem Gebrauch überein, viel mehr als
z. B. der arabifche Nasb mit dem lateinifchen Accufativ.
Wenn man das Wefen des Verbums in der Thätigkeit
fieht, dann find auch die nomina agentis des Verf.'s, aus
denen das jetzige Verbum entftanden ift, fchon als etwas
Verbales anzufprechen.

Mit Recht wird S. 16 das Vorhandenfein eines Paf-
fiv Qal im Hebräifchen beftritten. Auch Referent hat
in diefer Zeitung, Jahrg. 1888, 395 vermuthet, dafs
die fyftematifche Durchführung des Paffivs imArabifchen
etwas Secundäres fei. — S. 14 wird discutirt, ob DJ5 aus
qawam oder qawim entftanden fei. Beides ift m. E. gleich
falfch. Zwifchen den beiden Confonanten ftand niemals
etwas anderes als der Vocal.

S. 55 nimmt fich Verf. des Jod compaginis an, indem
er in Üebereinftimmung mit der herrfchenden Meinung
darin den Reft einer alten Genetivendung fieht, die an
den Status constructus verfchlagen worden fei. Diefe
Theorie ift durchaus nicht fo ficher, wie die apodiktifchen
Worte des Verfaffers voraussetzen. Kautzfeh, Hebr.
Grammatik 25. Aufl. § 90, 3 drückt fich viel vorfichtiger
aus. Von den Eigennamen darf m. E. nur fehr vorfichtiger
Gebrauch gemacht werden, da bei vielen nicht nur die
Bedeutung, fondern auch die Ausfprache unficher ift.

Für fehr bedenklich halte ich die Meinung, dass der
Infinitivus conftruetus „ein Produkt des verderbten Sprach-
geiftes" fei (Seite 74 unten). Die Sprache verändert fich
unaufhaltfam unter dem Einfluffe zahllofer, gröfstenteils
uncontrollirbarer Einwirkungen. Der Sprachgebrauch
einer jeden Entwickelungsftufe, wie fonderliche Veränderungen
er auch erlitten haben mag, ift gleich richtig
und gut. Logifche oder aefthetifche Maasftäbe haben
nur für die Beurtheilung sprachlicher Verfchiedenheiten
einer und derfelben Zeit eine gewiffe Berechtigung. Nicht
minder gewagt ift es, in der altteftamentlichen Literatur
(S. 22) ein filbernes und goldenes Zeitalter zu unterfcheiden.

Die Conftruction der Infinitivi passivi (S. 82) wäre
wohl einer eingehenderen Unterfuchung werth gewefen.

Der hauptfächliche Werth der Arbeit beruht in den
Paragraphen 3 und 4 des erften, 2 und 3 des zweiten
Theiles, die ja auch den gröfsten Umfang einnehmen.
In denfelben ift mit grofser Sorgfalt der Sprachgebrauch
gefammelt und fyftematifch geordnet. Der Herr Verf.
hat damit eine fehr tüchtige Arbeit geliefert und einen
ausserordentlich brauchbaren Beitrag zur hebräifchen
Syntax. Ich fpreche ihm noch einmal ausdrücklichen
Dank aus für die Fülle von Anregung und Belehrung,
welche mir die Leetüre feiner Erftlingsfchrift geboten hat.

Darmftadt. Friedr. Schwally.

Soden, iL.'., Der Brief des Apostels Paulus an die Philipper.

Freiburg i./Br., Mohr, 1889. (VII, 98 S. 8.) cart. M 1.—

Die akademifche Verlagshandlung von J. C. B. Mohr
(Paul Siebeck) in Freiburg i./Br. hat fich in den letzten
Jahren nicht nur durch Herausgabe einer grofsen Anzahl
bedeutender theologifcher Werke ein Verdienft erworben,
fondern ebenfo durch Veröffentlichung folcher Arbeiten,
die den Ertrag des theologifchen Schaffens weiteren
Kreifen darbieten. Dahin gehören die vielgelefenen Be-
kenntnifse eines Theologen: Im Kampf um die Weltan-
fchauung; dahin gehört die Weizfäcker'fche Ueberfetzung
des Neuen Teftaments; wenn ich nicht fürchten müfste,
mifsverftanden zu werden, fo würde ich auch Weizfäcker's
Apoftolifches Zeitalter hierher rechnen, ein Buch, das
nicht blofs von den Theologen, fondern auch von gebildeten
Laien feiner ganzen Anlage nach gelefen werden
kann und foll.

An diefe für ein gröfseres Publicum beftimmte
Literatur reiht fich würdig das vorliegende kleine
Schriftchen an. Die einzelnen Theile desfelben waren
fchon vorher in der Chriftlichen Welt erfchienen. Es
ift nur zu billigen, dafs fich der Verfaffer entfchloffen