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Ausgabe: | 1890 Nr. 6 |
Spalte: | 148-153 |
Autor/Hrsg.: | Zöckler, Otto (Hrsg.) |
Titel/Untertitel: | Handbuch der theologischen Wissenschaften in encyklopädischer Darstellung mit besonderer Rücksicht auf die Entwicklungsgeschichte der einzelnen Disziplinen. 3., sorgfältig durchges., |
Rezensent: | Achelis, Ernst Christian |
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Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 6.
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i/.i'oi, oizov nenoirjxev'. Es ift für unfer Gefühl faft blas-
phemifch, wenn es von folcher Mär heifst: ,Hat das nicht
Chriftus vorhergefagt Jo. 14,12, dafs der Gläubige gröfsere
Wunder thun würde, als er felbft? Denke, wie viel Brode
Chriftus gehabt hat, um die fünf Taufend zu nähren, und
wie viel Häufer von dem Getreide voll geworden find,
und wie viel Menfchen von Theodofius ernährt werden
konnten, ,xat sl'notg, el oldag aavpiog, ioov rj iiei'Cov
Üavjia'l
Von evangelifchem Standpunkt ift es kaum möglich,
zu denken, dafs fchon zu den Zeiten Juftinian's ein Bi-
fchof fo denken und fo exegefiren konnte.
Ueberhaupt, es ift kaum glaublich, wie traurig die
Fülle des Aberglaubens — wenn man nicht fagen will,
der Lüge — unter dem Mönchthum diefer Zeit war.
Ich will nur noch einige folcher Legenden anführen,
um nicht zu ermüden.
Das Brandopfer, das Theodofius zur Grundsteinlegung
feines Klofters darbringen will, I5a 30, entzündet fich
,uoodxiogl; ein Weib, das den h. Theodofius pzXüvov''
nannte, 35a 18, wird mit plötzlichem Tode beftraft
(,7iovrjQ<[> iravttzip zitv ßKaovprjjitav ißKXaSctzo').
Was foll man zu fo fchaurigem Aberglauben fagen,
wie der, welcher p. 11 erzählt wird? Theodofius hat fein
zukünftiges Grab erbaut; inmitten feiner Jünger fagt er:
, loov 0 zcupog zig o xovzov e§ Vftcuv ty/.aivioui ßovXojit-
rog'; Bafilius hat kaum das Wort gehört, als er ,wie ein
Adler auf Beute, auf den Tod losgeht'. Er beugt fein Knie
und mit zur Erde gerichtetem Antlitz bittet er: ,EiXöyri-
oov öij jie, io 7[utso, xctyio zov zavpov iyxatvusvrfi ytvzpoo-
jiai'. Es wird die übliche Liturgie des 3., 7. und 40. Tages
über ihn wie über einen Todten gefprochen und nach
40 Tagen war Bafilius entfchlafen, ohne jegliche Krank- |
heit. Nach feinem Tode erfcheint er dem Theodofius und
feinen Jüngern im Traum.
Dafs es an abgefchmackten Legenden nicht fehlt,
braucht nicht hervorgehoben zu werden. Wir finden den
bekannten Mythus wieder, dafs Adam auf Golgatha begraben
. Neu war mir, dafs die Magier bei ihrer Rückkehr
in der fpäteren Höhle des Theodofius übernachtet
haben, 8D 25 sq.
Es war mir intereffant, dafs die Schilderung, p. 19,
von dem falfchen Mönchthum I9a 15 sq, das ,sv ootoiv.ai
a,i ißKiitoig zrjv xazu Xqiozov TcoKittiuv1 jii) v.mu Xqiozov
übe, das beftätigt, was ich in meiner Schrift über das
Mönchthum, Urfprung des Mönchthums, Gotha
1877 p. 51 sq. auch von dem Gefindel angeführt habe,
das in den Klöftern Aufnahme gefunden hatte.
Zum Schlufs noch Eine Notiz, die einen bei den
Kirchenhiftorikern fehr beliebten Irrthum berichtigen
mag. Man kennt die rhetorifche Schilderung vonSymeon
Stylites, der 30 Jahre hindurch fchlaflofe Tage und Nächte
auf feiner 36 Ellen hohen Säule bei Antiochien zugebracht
, und dem Volk, das zahllos zu ihm hinzuftrömte
und Kränze zu Füfsen der Säule niederlegte, Bufse gepredigt
habe. Ob feine Bufspredigt aus folcher Höhe
noch habe verftanden werden können, wenn fie nicht
riefig heruntergefchrieen wurde und dadurch an Eindruck
verlor, ift eine Frage, die uns hier nicht intereffirt; aber
nach der Biographie des Theodorus mufs doch diefe Säule
fehr bequem gewefen fein. Denn Theodofius wird nicht
nur von Symeon heraufgerufen, 6b 22: avaßfpvai de rrgbg
avzbv scooezgeipazo, fondern findet auf der Säule auch
noch Raum, ihn zu küffen und lange Gefpräche mit ihm
zu führen.
Eine kurze, allgemeine Bemerkung fei noch erlaubt.
Es giebt nichts Unerfreulicheres, als die griechifche Kirche
nach dem Tode des Chryfoftomus, und was hat nicht diefer
edelfte unter den griechifchen Kirchenvätern, dem ich
keinen an die Seite zu ftellen vermag — Athanafius überragt
ihn an dogmatifcher Virtuoütät und an nachhaltig-
ftem Einflufs, an Liebenswürdigkeit des Charakters nicht
— von feinen Zeitgenoffen erdulden müffen! Man nenne
in der griechifchen Kirche noch einen Mann nach ihm,
der als Theologe und Chrift vor unferem Urtheil beliehen
könnte; es giebt keinen. Das Clialcedonense, die mono-
phyfitifchen Entwicklungen mögen dogmenhiftorifch intereffant
fein; aber welche Kirche aufser der griechifchen
hat ein latrocinmmEpliesinum gehabt? Vom fechften Jahrhundert
an hat die griechifche Kirche den Namen, dafs sie
lebt, und ift todt. Alles Leben geht in die abendländifche
Welt über oder gehört der italifchen Kirche an. Welche
Umwälzung im Mönchthum hat nicht der h. Benedict
durch fein Gebot des Gelübdes der stabilitas und der
Benedictiner-Orden in der Kirche herbeigeführt?
Ufener hat Dank verdient, recht herzlichen Dank der
Kirchenhiftoriker durch feine Veröffentlichungen; es können
nicht genug Zeugnifse gegeben werden von dem
geiftigen Verfall, der traurigften Entartung alles chrift-
lichen Lebens, die fich der byzantinifchen Kirche fo früh
bemächtigt hatten.
Breslau. Weingarten.
1. Handbuch der theologischen Wissenschaften in encyklo-
pädifcher Darftellung mit befonderer Rückficht auf
die Entwickelungsgefchichte der einzelnen Disziplinen
, in Verbindung mit Proff. DD. Cremer, Grau,
-j- Harnack etc. hsrg. von Prof. Dr. Otto Zöckler. 3.,
forgfältig durchgefehene, teilweife neu bearb. Aufl.
4. Bd. Praktifche Theologie. München, Beck, 1890.
(VIII, 660 S. Lex.-8.) M. 10. —; geb. M. 12. —
2. Knoke, Prof. Dr. Karl, Grundriss der praktischen Theologie
. Ein Hülfsmittel beim Studium der praktifchen
Theologie für Studierende und Kandidaten der Theologie
. 2. umgearb. Aufl. Göttingen, Vandenhoeck &
Ruprecht's Verl., 1889. (VI, 168 S. gr. 8.) M. 2.60.
1. Der 4. Band des Zöckler'fchen Handbuchs, die
Prakt. Theol. enthaltend, hat fich von vornherein durch
die Namen der Verfaffer: v. Zezfchwitz, Th. Harnack,
Plath, Schäfer eines günftigen Vorurtheils zu erfreuen
gehabt. Man fetzt fich gern zu den Füfsen anerkannter
Meifter, um von ihnen zu lernen. In den drei Auflagen
des Buches hat die nachbeffernde Hand nicht geruht;
in der vorliegenden dritten Auflage wird fie besonders
deutlich fichtbar. Die Arbeiten des mittlerweile verewigten
v. Z. hat Pfarrer D. Hölfcher durchgefehen, theil-
weife ergänzt; die ,Einleitung' und die Katechetik find
ziemlich unverändert geblieben, die Homiletik ift zu
3. V. durch einen Anhang über Wochenpredigten und
Bibelftunden vermehrt. Am meiften hat die Gefchichte
der Predigt Umarbeitung erfahren; fie ift von 133 S. auf
166 S. angefchwollen; ,die Predigt des M.-A.' ift bei
weitem zweckmäfsiger eingetheilt, neu hinzugekommen
ift die lat. Homilie feit Gregor M., beträchtlich erweitert
der Verfall der Predigt vor der Reformation.
Der jetzt auch entfchlafene Th. Harnack hat feine Arbeiten
: Liturgik, Paftorallehre und Kybernetik noch
felbft revidirt, die Liturgik verkürzt und durch einen
Anhang: ,Das Sakrament der Taufe' vermehrt, die
Paftorallehre nur im letzten Abfchnitt erweitert, während
die Kybernetik einen Zuwachs von 21 S. bekommen hat,
in zwei neuen Abfchnitten: Grundfätze und Grundzüge
der Kirchenverfaffung und Thefen über Verfaffung und
Regierung der Kirche. Die Evangeliftik (Miffionstheorie) ift
von dem Verfaffer Plath neu durchgefehen, ftellenweife
(bef. der letzte Abfchnitt) ergänzt; die Diakonik von
Schäfer hat das Principielle verkürzt, das Praktifche erweitert
.
Die Gefchichte der Predigt nimmt einen gröfseren
Raum ein, als Katechetik, Liturgik und Paftorallehre
zufammen genommen, — ift jene zu ausführlich, oder
find diefe zu gedrängt? Wohl beides wird der Fall fein,