Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1890 |
Spalte: | 108-109 |
Titel/Untertitel: | Vorträge der theologischen Konferenz zu Giessen, gehalten am 20. Juni 1889 1890 |
Rezensent: | Schürer, Emil |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
107 Theologifche Literaturzeitung. 1Ö90. Nr. 5. 10S
behren fei, in dem alles fich ergänzend in einander greife:
die Schrift treibe Chriftum in allen ihren Theilen; 3) dafs
manche Schriften der Bibel auf Grund verloren gegangener
Aufzeichnungen nach einem fehr hervortretenden
Plane bearbeitet feien, befonders die des Lukas und ,das
grofse, in 17 Abtheilungen zerfallende, altteftamentliche
Gefchichtsbuch'. Die Grenze der Bibelkritik fei darin
, zu fuchen, dafs fie den apoftol. Urfprung derjenigen Schriften
nicht beftreiten dürfe, die fich felbft als von Apofteln
herrührend zu erkennen geben.
Ueber der Wirkung des hl. Geiftes, welche man In-
fpiration nenne, ftehe die Wirkung des hl. Geiftes, wodurch
die einzelnen Teile der hl. Schrift zu einem orga-
nifchen Ganzen verbunden feien, obgleich die urkundliche
Schrift des N. T.'s mit manchem behaftet fei, davon wir
fie möchten befreit fehen. — Referent bekennt, die Unzufriedenheit
mit dem N. T. in gegebener Geftalt keineswegs
zu teilen; er bringt freilich auch nicht den fremden
Mafsftab eines ,organifchen Ganzen' an das N. T. heran.
Auch die vom Herrn Verf. angeführten ,Ergebnifse der
Bibelkritik' werden wohl nicht allgemeine Anerkennung
finden, und manche werden die aufgeftellte .Grenze' für
willkürlich halten. —
Die Macht der Kirche, fährt der Herr Verf. fort,
fei das auf Grund der hl. Schrift erwachfene lebendige
Zeugnifs der Gläubigen. Als folches Zeugnifs des Glau-
Kritik-. Was verfteht J. unter negativer Kritik? Es ift
,die einheitliche Zufammenfaffung der Widerfprüche
gegen die hl. Sehr, und gegen die mit derfelben in noth-
wendigem Zufammenhang flehenden chriftlichen Realitäten
, wie fie von dem Deismus, dem Rationalismus,
dem Pantheismus, dem Materialismus und dem Atheismus
erhoben werden und in den Pantheiften Straufs
und Baur ihren Gipfelpunkt erreicht haben'. Aufser
diefen beiden Kritikern gehören zu derfelben Sorte:
Dr. Paulus, Renan, Schenkel, Kuenen, Wellhaufen,
Pfleiderer u. v. a. Andere Leute find nun zwar der
Meinung, dafs es feit Baur eine rein negative Kritik
gar nicht mehr giebt, dafs vielmehr alle Kritik, wenn fie
überhaupt Geltung beanfpruchen will, ein pofitives Ge-
fchichtsbild darbieten mufs; allein diefe anderen Leute
irren fic"h. Denn ,alle wahre wiffenfehaftliche Kritik will
im ganzen genommen autbauen, nicht zerftören, die negative
Kritik hingegen will zerftören, nicht aber aufbauen,
die Negation ift Selbftzweck'. Aber was wollen jene Leute
denn zerftören? Falfche Traditionen und Wahnglauben?
O nein, natürlich das Chriftenthum, die Religion. Woher
weifs das Herr J.? Haben jene Kritiker felbft das offen
ausgefprochen? Das gerade nicht, aber Herr J. denkt fich
das fo, weil ihre kritifchen Aufftellungen nur aus Feind-
fchaft wieder das Chriftenthum, aus Deismus, Rationalismus
, Pantheismus, Materialismus und Atheismus hervor-
bens habe fich das von uns verkündete Gotteswort zu gegangen fein können. Keine Ahnung, dafs es eine
erweifen. Chriftus fei in feiner freien unbegrenzten Gna- | hiftorifche Kritik giebt, und dafs heute keine Richtung
denmacht fo lebensvoll und herzgewinnend vor Augen zu | in der Theologie exiftiert, welche nicht bekennen müfste,
ftellen, wie es einft die Apoltel gethan; wo immer Glaube j von dem ,Pantheiften' Baur und feinen Nachfolgern viel
entftehe, da fei er anzuerkennen, zu heben, zu fördern. I gelernt zu haben. Sind das auch Conceffionen? Im
Diefer lebendige Glaube des Predigers fei werthvoller als ! Sinne J.'s würden es Conceffionen der Wahrheit Gottes
Innehaltung aller objectiven Normen; wo derfelbe fehlt, da j an fintiere Mächte der Gottlofigkeit fein. — Und folch
predige nicht er, fondern, es predige', wie man fage: es regnet. 1 ein Buch überfetzt man ins Deutfche, als ob nicht fchon
Namentlich der letzte Theil des Vortrages ift reich ' auf heimathlichem Boden an Verdächtigung aller Gott
an fruchtbaren Gedanken. Das entfehiedene Dringen | dienenden Kritik Hinlängliches geleiftet würde. Es ver-
auf das perfönliche Eintreten des Predigers für das Wort
feiner Verkündigung, alfo auf den Zeugnifscharakter der
Predigt, kann nur heilfam wirken.
Druckfehler find uns nur S. 15 aufgefallen: Z. 7:
ürigines und Z. 12 derfeben.
2. Der ehrwürdige Franz Delitzfch war um ein empfehlendes
Vorwort gebeten worden. In einem mitge-
theilten Briefabfchnitt erkennt D. das Strebeziel des Verf.'s
an, ,das rechte Aequilibrium zwifchen den unveräufser-
lichen Fundamenten der Offenbarungsreligion und den
unleugbaren Befunden literarifcher und hiftorifcher Kritik
herzuftellen'; ftatt eines Vorwortes giebt er einen Anhang
bei, ,der das, was in die Wagfchale des zu Con-
cedirenden fällt, kurz und fcharf hervorheben foll'. —
Referent kann fich eines peinlichen Eindrucks nicht erwehren
. Die dort vertretene Theologie ift feit 50 Jahren
ohne Aufhören am .Concediren' auf dem Gebiet der
biblifchen Wiffenfchaft; fie weicht alfo zurück, die jungen
Theologen werden einer gefchlagenen Armee eingereiht,
und das Concediren ift natürlich noch lange nicht am
Ende. Und wem concedirt jene Theologie? Selbftredend
nicht dem Unglauben, nicht der Unwahrheit; fie concedirt
der Wahrheit. Steht denn die Wahrheit ihr
feindlich gegenüber? Welch eine Situation? Ift es denn
nicht mehr die Ehre der evangelifchen Theologie, auf
der Seite der Wahrheit zu flehen, die abfolut keine ,Con-
ceffionen' kennt? Aber dahin ift man gekommen, weil
man die Grenze nicht inne gehalten hat, welche die
ewige in Chrifto uns gegebene Wahrheit von dem fcheidet,
was der Natur der Sache nach menfehlicher Discuffion
angehört. Es wird wahrlich Zeit, diefe Grenze zu finden,
damit das fchwächliche Concediren aufhöre und der
Siegesfürft und Ehrenkönig nicht mehr als auf dem Rückzüge
begriffen dargeftellt wird.
Gleichwohl hat Del. recht gehandelt, dafs er mit
einem empfehlenden Vorworte das Buch von Johansfon
fchlägt dabei doch nicht viel, dafs der Verf. im erften
Theil fich der Hauptfache nach auf die Beftreitung der
Möglichkeit des Wunders befchränkt, im zweiten Theil
fich gegen die Auflöfung der evangel. Berichte in Mythen
wendet und die Herleitung des Chriftenthums aus
heidnifcher oder jüdifcher Quelle bekämpft, — fachlich
find wir in diefen Dingen mit ihm durchaus einver-
ftanden —; aber was ift das für eine Weife, unter dem
Namen ,negative Kritik' unterfchiedslos philofophifche
bezw. jüdifche Angriffe gegen das Chriftenthum mit der
redlichen Arbeit gefchichtlicher Forfchung zufammen
zufaffen und unterfchiedslos a priori alles als deiftifch,
pantheiftifch, materialiftifch und atheiftifch zu verdächtigen
! Da hört jeder verftändige wiffenfehaftliche Verkehr
überhaupt auf. — Der letzte Grund für den Wunfeh, das
Buch möchte im Schwedifchen belaffen fein, liegt darin,
dafs in einigen Hauptpartien des Buches der Verf. fich
ausfchliefslich mit dem Schweden Rydberg befchäftigt.
Referent kennt R. nicht; aus dem, was aus Johansfon's
Buch zu entnehmen ift, möchte er die Ehre kaum verdienen
, unter uns näher bekannt zu werden. Doch Rydberg
theilt das Schickfal mit allen von J. Bekämpften,
dafs man aus dem Buche felbft nur äufserft dürftig über
ihre Gründe unterrichtet wird. Freilich, was foll dann
das Buch überhaupt? Cid bono auch in Schweden?
Marburg. E. Chr. Achelis.
Vorträge der theologischen Konferenz zu Glessen, gehalten am
20. Juni 1889. (V. Folge.) Giefsen, Ricker, 1889.
(73 S. 8.) M. 1. -
Inhalt: R. Eibach, Ueber die wiffenfehaftliche Behandlung und
praktifche Benützung der heiligen Schrift (S. 3—38). — E. Schürer,
Ueber den gegenwärtigen Stand der johanneifchen Frage (S. 39— 73).
1. Der erfte diefer beiden Vorträge behandelt die
zu decken abgelehnt hat. Tis bekämpft die ,negative j Frage nach der Berechtigung einer wiffenfehaftlichen Be-