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Ausgabe:

1890 Nr. 3

Spalte:

62

Autor/Hrsg.:

Paulson, Johs.

Titel/Untertitel:

Symbolae ad Chrysostomum patrem. 1. De codice Lincopensi 1890

Rezensent:

Krüger, Gustav

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Seite 1

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6i Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 3. 62

Dativ loidaimg in den Nominativ umzuwandeln. F
fchreibt nach diefer Vorlage ab: xoig lovöaiog invSatatg.

Das find wenige Beifpiele im Vergleich zu denjenigen,
die ich bereits in meiner oben genannten Abhandlung
gegeben habe. Aber felbft fie fchon werden erhärten,
dafs F aus einem Codex abgefchrieben in, der (an den
betreffenden Stellen) mit unferm G photographifch genau
übereingeftimmt hat. Damit ift aber, da die Stellen, in
denen eine fo genaue Uebereinftimmung aufgezeigt
werden kann, fehr zahlreich find, der Nachweis geliefert,
dafs G felbft die viatcr von F ift, falls nicht irgend
welche gewichtige Gründe doch dagegen einen Gegenbeweis
liefern follten.

Nun hat Corfsen im Specinienpriniuni feiner Abhandlung
aus folgenden drei Gründen die Gefchwifterfchaft
von F und G kurzerhand beweifen zu können geglaubt:
I. G und F weichen oft von einander ab und zwar fo,
dafs G meiftens die richtige, F die falfche Lesart bietet.
Aber das beweift nur, dafs der Schreiber von F, wie
unwilfend er auch war, nicht blofs viele neue Fehler
hereinbrachte, fondern ab und zu auch einmal einen
Fehler zu verbeffern verftand. Ich habe fämmtliche
Abweichungen durch den ganzen Text hindurch
mit einander verglichen und keine einzige Stelle
gefunden, die für F eine andere Vorlage als G
voraus fetzen liefse. Man vergleiche die von Corfsen
felbft gegebenen Beifpiele. Verfehen wie ar'Jiouio,
iLuyytiov, zatg Ev./.).rtG£ictg etc. konnte auch ein Schreiber,
wie der von F, in avO-giona, tvuyytXiov, zotig fixxiij-
osicctg etc. corrigiren, denn dazu gehörten (aufser der vielen
, durch das Abfchreiben einer fo umfangreichen Hand-
fchrift felbft erreichten Gewöhnung an einen gewiffen
griechifchen Wortfehatz) kaum Quartanerkenntnifse. Nicht
anders fteht es, wenn 2. die Wortabtheilung bei beiden
oft verfchieden (und zwar bei F überwiegend die falfche)
ift. F fah bei feinem Vorgänger in der Wortabtheilung
grofse Unficherheit, denn G hat durch Auspungiren und
Einfügen von Bindebogen feine Worttrennung überaus
häufig corrigirt. Kein Wunder, dafs auch F nun feiner-
feits noch weiter corrigirt, wo ihm andere Wortbilder
aus den Buchftabengruppen fich zu ergeben fcheinen.
So löft er cttoiionoir^utf auf in ctvoftni . tu . trijfisv, exttTor
1a etiles in tv.uxovia ai ryg u. dgl. Uebrigens ift es irreführend
, nur die Differenzen in der Worttrennung
zwifchen F und G zu berückfichtigen, da bei der von
Corfsen gemachten Annahme einer in continno gefchrie-
benen Vorlage von F und G vielmehr das Zufammen-
treffen beider Handfchriften in einer überaus grofsen
Zahl von ganz verkehrten Worttrennungen in's Gewicht
fällt. Trennte die vorausgefetzte Vorlage (X) die Worte
noch nicht, wie kommt es denn dann bei der angenommenen
gegenfeitigen Unabhängigkeit von F und G, dafs !
beide in ihrem Verfuch der Worttrennung fo oft in ganz
diefelben monftröfen Fehler verfallen? 3. Als dritten
Beweis für feine Anficht führt Corfsen noch an, dafs G
häufig die zuerft vorgenommene falfche Worttrennung
durch Auspungiren des falfch herübergezogenen Buch-
ftabens nachträglich corrigire. Aber das beweift doch
nur, dafs die Vorlage von G in continno gefchrieben war;
und nimmt man dazu, dafs an faft allen diefen Stellen
F das Richtige bietet, fo beweift das nur, dafs F die
Correcturen in G bereits vor fich gehabt und beachtet
hat, keinenfalls aber, dafs F neben G felbftändig ift.

So wird es dabei bleiben, dafs F eine Abfchrift von
G ift. Damit aber ift der ganze Inhalt des specinien pri-
mum von Corfsen, welches fich die Aufgabe ftellt, die
vorausgefetzte Vorlage von F G zu erforfchen, gegen-
ltandslos geworden. Wie fchade um den vielen Fleifs!

Und leider ift damit auch das specinien alterum im
Wefentlichen gegenftandslos. Denn der verfuchte Nachweis
, dafs D und X Schweftern von derfelben Mutter Z
feien, ift natürlich hinfällig, wenn es überhaupt die vorausgefetzte
X nicht gegeben hat.

X ift vielmehr unfer G felbft. Laffen fich
aber Corfsen's Ausfagen über fein X einfach auf
G übertragen? Richtig ift zweifellos, dafs X (alfo G)
nicht eine Abfchrift von D fein kann. Nur folgt das
nicht fowohl daraus, dafs D den Hebräerbrief hat, G.
nicht (fo Corfsen; aber da G denfelben auch nicht latei-
nifch giebt, hätte er ihn ja wohl auch abfichtlich fort-
laffen können), als daraus, dafs wir aus den Lücken bei
G (1 Cor. 3, 7—16 und 6, 6—15, woraus zu erfehen ift,
dafs in der Vorlage von G an diefer Stelle das erfte und
letzte Blatt eines ,Octavbogens' fehlte, ferner Act. 2,
1—8. Philem. 21 ff. u. a.) die Lücken der Vorlage von
G kennen, die eben D nicht theilt. Diefe Lücken fallen
auch in's Gewicht gegen die Annahme, dafs G aus derfelben
Quelle wie D flammt. Denn dann müfste D
wenigftens aufser diefer einen noch eine zweite Hand-
fchrift zur Ergänzung gehabt haben. Aber überhaupt
find trotz der vielen Uebereinftimmungen zwifchen D und
G doch auch die Differenzen zwifchen beiden fo viele
und fo mannichfaltige, dafs mir eine fo nahe Verwandt-
fchaft beider Handfchriften vorläufig fehr zweifelhaft ift.
Ein ficheres Urtheil freilich wird erft nach Vcrgleichung
der Handfchriften Zeile für Zeile und Wort für Wort
möglich fein.

Corfsen's Unterfuchungen find fehlgefchlagen, weil
er folche ferupulöfe Arbeit gefcheut und fich auf die
Heranziehung charakteriftifcher Stellen befchränkt hat.
Daraus mache ihm aber nur derjenige einen Vorwurf, der
fich felbft die Mühe derartiger Unterfuchungen nicht hat
verdriefsen laffen. Denn diefe find verzweifelt mühevoll,
und niemand lohnt fie.

Königsberg i. Pr. Friedrich Zimmer.

Paulson, Johs., Symbolae ad Chrysostomum patrem. I. De

codice Lincopensi. Lund, Möller, 1889. (IV, 88 S. m.
1 Lichtdr.-Taf. gr. 4.)

Einen kritifchen Text der Werke des Chryfoftomus
herzuftellen, find bisher noch keine Verfuche gemacht.
Die Ausgabe Montfaucon's (vgl. Migne) ruht auf Cod.
Reg. 1818 und zwei nicht näher bezeichneten Handfchriften
. Die vorliegende Publication der Univerfität
Lund liefert einen Beitrag zu einer fyftematifchen Colla-
tionirung der Chryfoftomus-Handfchriften. Paulfon
berichtet über einen in Linköping befindlichen, freilich
fehr lückenhaften Codex der Homilien über den erften
Korinthierbrief. Erhalten find darin von den 44 Homilien
5 ganz, Nr. 20. 23. 24. 30. 33., 15 zum Theil, während 24
verloren gegangen find. Die Abweichungen des Codex
von dem Migne'fchen Neudruck der Montfaucon'fchen
Ausgabe, welche P. S. 42—75 zufammenftellt, find meilt
unbedeutend. Indeffen verzichtet P., und mit vollem
Recht, darauf, weit gehende Schlüffe zu ziehen, fo lange
das handfehriftliche Material fo ungenügend gefichtet ift.
Wichtig ift, dafs, wo L und M in den Bibelcitaten
mit einander üb ereinftim men fie fehr oft vom
Text der Recepta fich entfernen, wo fie aber von
einander abweichen, M. nicht feiten den der
Recepta fich nähernden Text zeigt. Neuteftament-
liche Textkritiker werden daher P.'s Abhandlung beachten
müffen. Die Capiteleintheilung des Codex weicht von der
bei M. gegebenen ftark ab.

Paulfon hat fich nicht mit dem begnügt, was feine
Handfchrift zur Feftftellung von Chr.-Lesarten bietet.
Er hat auch die Erträgnifse für die griechifche Grammatik,
die Paläographie und die Gefchichte der griechifchen
Sprache überfichtlich zufammengeftellt. Ein zweites Heft
foll über eine in Holm aufbewahrte Chr.-Handfchrift
berichten.

Giefsen. G. Krüger.