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Ausgabe:

1890 Nr. 3

Spalte:

55-59

Autor/Hrsg.:

Otto, Carl Wilh.

Titel/Untertitel:

Commentar zum Römerbrief. 2. Thl. Capp. 8 - 16 1890

Rezensent:

Weiffenbach, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 3.

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bin nicht im Stande, diefe Veröffentlichung bibliogra-
phifch genauer nachzuweifen.

Die Ausgabe fcheint fonft, foweit mir ohne Autopfie
der HS. ein Urtheil zufteht, mit grofser Sorgfalt gemacht
zu fein.

Darmftadt. Friedr. Schwally.

Otto, Confift.-R. Dr. Carl Wilh., Commentar zum Römerbrief
. 2. Thl. Capp. 8—16. Glauchau, Pefchke, 1886.
(VI, 501 S. gr. 8.) M. 9.—

Unter Zurückweifung auf unfere, in diefer Lit.-Ztg.
(1888, Nr. 18, Sp. 449—453) gegebene allgemeine Charak-
teriftik und grundfätzliche Beurtheilung des Otto'fchen
Commentars, welche in allem Wefentlichen auch für deffen
2. oder Schlufstheil zutrifft, befchränken wir uns diesmal
auf eine kurze prüfende Rundfchau über den exegeti-
fchen Ertrag des uns vorliegenden Buches. Und da
mufs denn abermals mit Dank anerkannt werden, dafs
Otto's Auslegung an nicht wenigen Stellen (ja im 2.
Theil in ftärkerem Mafse als im 1. Bd.) Schwierigkeiten
befeitigt, herkömmliche Irrthümer überwunden, Vieles genauer
gefafst und an noch anderen Stellen wenigftens zu
erneuter ernftlichen Prüfung des exegetifchen Thatbe-
ftandes kräftig angeregt hat. Daneben aber läuft auch
im 2. Bde wieder recht viel Erkünfteltes, Verfchrobenes
und Wunderliches, ja es finden fich Proben einer wahren
5. v. v. tpevddvv/tog iirjyiqaig, die man bei fo entfchiede-
ner exegetifchen Begabung und gründlichen grammatifch-
lexikalifchen Schulung des Verf.'s kaum begreifen kann.
Um zunächft von der durch O.'s Commentar für die
Exegefe des Röm.-Br. erwachfenen Förderung zu reden,
fo weifen wir gleich auf 8, 28—30 hin. Die dazu gegebenen
Ausführungen (S. 87 ff.) fowie die Bemerkungen
zu den verwandten Stellen: 9, 11 (S. 151 ff.) und 11, 2
(S. 254—256) find fehr bedeutfam und ernftefter Erwägung
werth. Der Verf. giebt darin eine durchgreifende
Revifion der feitherigen Auffaffung der Begriffe
7iQnyviuaig, 7rg6&soig, sy.Xoyrj u. f. w. und zieht energifch
dagegen zu Felde, dafs ,man das Individuelle gleich
in die uranfängliche 7iq6yvißOig mit aufgehen läfst und
die Gefchichte, ftatt fie als gott-menschliches Drama
aufzufaffen, zu der dramatifchen Explication eines
über menfchlichen Fatums macht' (S. 255). Die
ctgoirtoig ift für O. nicht: die ewige Vorausbeftimmung
der Individuen, fondern die generelle Beftimmung
für die zeitlich darunter tretenden, concreten Fälle. Die
7CQnyv(j)0ig aber fällt in die Zeit. Vermöge feines
TTQoyiyvcöa/.fiv fieht Gott (ehe der Glaube verliehen wird)
die in den gefchichtlichen Individuen ,vorhandene
fubjective Dispofition für den Glauben' und ihre ,freie
Entfchliefsung' dafür (S. 313) an oder voraus. Und welche
der Herzenskündiger fo (in der Zeit) als ,Gottliebende'
vorher erkannt hat (vgl. 8, 29 mit 8, 28), hat er — auf
Grund folcher Charakterbefchaffenheit ihres inwendigen
Menfchen — vorherbeftimmt u. f. w. Die alfo Voraus-
beftimmten aber (de (.tetccß.) hat er dann auch (sc. durch
das Evangelium) wirklich zum Heil berufen u. f. w. Die
y.ax hfjXoyxyv jcgö-thtoic aber endlich (9, 11) ift keineswegs
die ,gemäfs vorzeitlicher Auswahl' erfolgende un-
umfchränkte ,Vorherbeftimmung' der Individuen, fondern
: die nach fouveräner Verfügung Gottes feiner eigenen
7i(jniXtaig auferlegte ,Befchränkung', alfo die durch
das Princip der (zeitlichen) eyJ.oyrj modificirte oder die
,auswahlgemäfse' oder ,die unter Vorbehalt der (fpä-
teren zeitlichen) Wahl getroffene Vorherbeftimm-
ung (S. 96. 156. 157). Wir halten O.'s Gründe für feine
Auffaffung ernftefter Prüfung werth.

Originell ift unfer Verf. auch bei Behandlung von Cap.
9—11, welche nach O. ,das Lehrftück von der Erwählung
mit ausfchliefslicher Beziehung auf die von dem
Judenthum beftrittene Rechtfertigung durch den Glauben

I allein' behandeln (S. 118). Ueber diefes Lehrftück, welches
das ifr. Volk felbft Jahrhunderte lang in feinem
Schofs getragen hat, fetzt fich der Apoftel mit dem Ge-
fchicke feines Volkes auseinander (S. 119). — Im Einzelnen
bemerkt der Verf. zu 9, 7—16 mit Recht, dafs dort keine
die volle und ganze chriftliche Wahrheit (das Erbarmen
Gottes über alle Menfchen, ohne Befchränkung feiner
Gnade auf Ein Volk) ausfprechende dogmatifche, fondern
vom Boden der gegnerifchen Zugeftändnifse erwach-
fene und ad hoc gegebene dialektifche Entgegnungen
vorliegen: zum Erweis des Satzes, dafs die Juden, und zwar

| gerade auf Grund desfelben A.T.lichen Beweismaterials,

j auf das fie ihre particulariftifchen Anfprüche ftützen, ,der
Allmacht Gottes gegenüber völlig rechtlos' find
(S. 168 f.). In dem Abfchnitt 9, 19—30 (zeigend: mit
der A.T.lichen Anfchauung gelangt man nur zur abfolu-
ten Willkür Gottes, diefe fchliefst aber keineswegs die
Aufrichtung der chriftl. Heilsordnung für Juden und
Heiden aus [S. 170]) fällt befonders eine glückliche und
doch höchft einfache Befeitigung des Schwierigkeiten
verurfachenden Anakoluths in v. 22 f. angenehm auf.
Otto nimmt nämlich das el Ök — wie es wenigftens in
der claff. Gräcität nachgewiefener Mafsen (S. 178 fr.) öfters
vorkommt, elliptifch und erklärt: ,Wenn aber (sc. es
fo ift, d. i. wenn, vgl. v. 21, Gott unbefchränkte Macht
über euch hat), fo hat er, in der Abficht (ü-eXojv), feinen
Zorn zu zeigen und feine Macht kundzuthun, Euch, die

j Zorngefäfse, mit Langmuth getragen (d. i. fie mit Trotz

I und Uebermuth fich füllen laffen, um dann zur rechten
Zeit feine vollen Zornfchalen darüber auszugiefsen), ins-
gleichen um (xal iva), sc. durch den Contraft, den
Reichthum feiner Herrlichkeit an den Barmherzigkeits-
Gefäfsen zu zeigen, welche er u. f. w. (S. 179—183). Zornes
-Offenbarung und Rettung liegen (alfo) bei Gott
neben einander' (S. 187).

Ganz befondere Beachtung und ernftlichfte Prüfung
verdient aber die für Ref. im Wefentlichen überzeugende
Art, wie O., in gründlicher Revifion derjenigen exegetifchen
Quellpunkte' in Cap. 11 (S. 170), aus denen die
von fehr bedeutenden Theologen der Gegenwart (Weifs,
Godet, Frank u. v. a.) vertretene Auffaffung einer Re-
ftitution des Judenvolkes als folchen am Ende
der Gefchichte genoffen ift, diefes ,exegetifche Dogma'
für einen ,judaiftifchen Irrthum' erklärt und als folchen
zu vernichten fucht (S. 251—325). Nur andeutungsweife
fei in diefer Hinficht bemerkt: die hloyr (v. 7), d. i. die
durch freien Gnadenact Gottes auf Grund ihrer keimenden
Glaubensdispofition conftituirte .Auswahl

j aus dem Volke' (pars populi) ift in der Gegenwart des
Apoftels in ihrem Beftande numerifch noch nicht ab-

I gefchloffen, fondern es treten ihr aus der ,Maffe der
aufserhalb der hl. flehenden übrigen Volksgenoffen'
(01 Xoinoi) — die nur als Maffe im Ganzen verftockt
find, v. 7 extr., — während der laufenden Heilsperiode
(vgl. v. 11 f., 14f., 23 h, 25: nioQwaig u710 (lic-ovg) noch
gar manche Einzelne bei. Israel als Volk hat allerdings
fein Heil verfehlt (v. 7a), aber durch ihre, der Israeliten
(S. 272), Zielverfehlung (xg> avxiov nagaTxxiöiiaxi) ift
wenigftens den Heiden das Heil zugefloffen, indem das
von (dem empirifchen) Gefammt-Ifrael (Subject in v.
II f.) nicht angenommene Evangelium nun .unaufgehalten
und unaufhaltfam feinen Weg zu den Heiden nahm' (S.
275). So ift to ryuriita avxiöv (v. 12), d. i. .derjenige
Beltand, in welchem die Juden hinter dem zurückftehen,
was fie fein follten, oder das, wodurch der Israeliten
Beftimmung (sc. Empfänger und Hüter der Gottes-
Offenbarung, fowie Mittler und Boten des Heils für alle
Völker der Erde zu fein, S. 278) nicht erfüllt worden
ift, — fo ift ihr rjxt'niia, ihr Zurückgebliebenfein hinter
ihrer Beftimmung, ausgefchlagen zu einem nun den Heiden
zuerkannten Reichthum aller Gottesgnade. Wie viel
mehr wird darum aber noch xo TtXijOUfta avxiov, d. i.
das, wodurch der Israeliten Beftimmung (f. o.) erfüllt