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Ausgabe:

1890

Spalte:

628-630

Titel/Untertitel:

Zum Liber Diurnus 1890

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1890,; Nr. 25.

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nur Salmon's Vermutung, dafs diefer Betrüger vielleicht
der Valentinianer fei, der den Bericht F verfafst habe,
weift er zurück; denn gerade F hat die wenigften — und
keine ganz auffallenden — Berührungen mit den andern
Relationen.

Kleinere Verfehen hat St. nicht ganz vermieden;
i&ivoviofxevov z. B. bei Simon Magus ift nicht durch ausgebildet
' (S. 57) zu überfetzen, fondern etwa: in einem
Abbild verkörpert. S. 64 (unten) wäre als Quelle für
Philos. 146, 89^. neben Jef. 28, 16 und vp 118,22 jedenfalls
I Petr. 2, 6. 7 zu nennen gewefen. S. 10, 14 fehlt vor
zag dö^ag: elg cpavegbv und S. 58 (unten) hat St. geradezu
das Verftändnifs feiner Beweisführung unmöglich gemacht,
indem er in den Text von Joh. 4, 14 vor vdazog ein £c3v-
zog eingefchoben hat. Dafs übrigens bei der Verbindung
von tdwg 'CtZv (aus Joh. 4 v. 10) aXloiuvov (aus 4 v. 14),
die in den Relationen A, C und D wiederkehrt, jegliches
.zufällig!' ausgefchloffen' (S. 60) wäre, würde der Verf. am
Ende nicht behauptet haben, wenn er aus dem Apparat
bei Tifchendorf zu 4, 14 erfehen hätte, dafs diefe Text-
mifchung doch nicht ganz ohne Analogie in der übrigen
Literatur ift; und da die Neigung, verwandte Bibelftellen
zu confundiren, befonders in der älteften Zeit weit verbreitet
ift, würde ich auch die fo nahe gelegte Ver-
fchmelzung von Col. 1, 19 mit 2, 9 nicht lediglich durch
die Thätigkeit ,eines und desfelben Mannes' erklärt finden
. Andrerfeits würde ich das Fehlen von Citaten aus
der Apoftelgefchichte und den Pafioralbriefen nicht als
bedeutungsvoll (S. 55 n. 1 cf. S. 107 Z. 4 v. u.) bezeichnen
; Ezechiel, Sirach, die Theffalonicherbriefe haben ja
auch keine Verwerthung gefunden.

Alles in Allem darf man urtheilen: Was irgend die
forgfältigfte Beobachtung auch der kleinften Verdachtsmomente
in den fraglichen Abfchnitten Hipp.'s zu Gun-
ften von Salmon's Anfchauung beibringen konnte, das
hat Staeh. beigebracht; die Hypothefe über jeden Zweifel
zu erheben, ift bei der fchlechten Ueberlieferung des
Textes, bei der Mangelhaftigkeit des Einblicks, den uns
Plipp. in feine Quellen gewährt und angefichts der immer
wieder zu conltatirenden Ehrfurcht der Menfchen vor
dem puren Blödfinn unmöglich. Gottlob kommt nicht
zu viel darauf an, ob z. B. der Araber Monoimos um
200 n. Chr. fabricirt hat oder um diefelbe Zeit fabricirt
worden ift.

Zwei werthvolle Abhandlungen hat Harnack dem
Ileftc beigefügt, von denen die erfte (S. 111—120) zu-
fammenftellt, was wir über die Syllogismen des Apelles
und aus denfelben überliefert befitzen. Es ift wenig,
genügt aber, um Harn.'s günftigcs Urtheil über jenes umfangreiche
Werk mit feiner kühnen, verftändigen Kritik
an der ATlichen Gefchichte zu rechtfertigen. Indefs
dem combinatorifchen Scharflinn Harnack's ift es gelungen
, unfern Befitzftand wefentlich zu bereichern; in
Ambrofius' Tractat de paradiso hat er noch 7 apelleifche
(warum ichreibt Harn, immer apellejifch?) Fragmente
entdeckt, die zwar nicht ihrem Urheber dort ausdrücklich
zugefchrieben find, deren Abftammung aus den Syllogismen
aber von Harn, überzeugend erwiefen wird. Er
fchliefst mit der Vermuthung, dafs die Bruchftücke durch
(Eigenes an den Ambrofius gelangt find.

S. 121—133 empfangen wir eine deutfehe Ueber-
fetzung der von Gwynn 1888 u. 89 in der Hermatln na
lyrifch und englifch edirten Cajus- und Hippolytus-Frag-
mente, welche jener verdiente Gelehrte in einem hand-
fchriftlich vorhandenen Commentar des Jakobiten Diony-
lius Barfalibi (12. Jhdt.) entdeckt hat. Eine Befprechung
hat Harn, fchon in diefer Ztg. 1888 Nr. 26 und 1889
Nr. 21 gegeben, die er hier meift wörtlich reproducirt.
Wenn er jetzt S. 127 noch eine neue Erkenntnifs aus den
Fragmenten entnimmt, nämlich dafs Cajus die Paulusbriefe
auffallend frei citirt habe, denn er verändere den
Sinn der Stelle II Tim. 3, 13 (fo ftatt 12) durchgreifend,
den erft Hipp, wieder herftelle, fo erfcheint uns diefer

Schlufs Angefichts der Note 1 auf S. 127 und der eigenen
Bemerkung Harn.'s ib. Z. 3—1 v. u. ebenfo gewagt, wie
der sub 4, wonach zur Zeit des Cajus Paulus und die
Schrift in der römifchen Gemeinde noch fcharf gefchie-
den waren {cf. S. 128 sub 10). Auf Grund fo geringen
Materials fcheint mir fo Unglaubliches nicht behauptet
werden zu dürfen. Dafs bei dem ,Wort' im Hippolyt-
Fragment 5: ,Ein Tag in der Welt der Gerechtigkeit ift
eintaufend Jahre' ,an II Petr. 3, 8 jedenfalls nicht zu denken
fei' (S. 128) möchte ich nicht fo benimmt verfichern;
denn die dort freilich fehlenden ,entfcheidenden' Worte:
,In der Welt der Gerechtigkeit'können auf v. 13 (xctivovg
ovQcii'olg y.ccl y.atvrpv yijp . . . iv otg ötxatoouv/j xazoi/.ti)
gegründete — natürlich falfche — Paraphrafe des nagu
xvgigj in v. 8 fein. Noch eine Kleinigkeit. Diejenigen,
auf deren Wunfeh Harn, hier die fo dankenswerthe
deutfehe Ueberfetzung des englifch Publicirten vorlegt,
würden gewifs gerne auch S. 127 n. 1 ftatt des englifchen
Wortlauts den deutfehen lefen, wie ich überhaupt Harnack
bitten möchte, in feinen Büchern und Recenfionen
nicht zu vergeffen, dafs leider noch ein grofser Theil
auch der wiffenfehaftlich intereffirten Theologen nie Gelegenheit
gehabt hat, das Englifche zu erlernen.

Marburg. Ad. Jülich er.

Zum Uber Diurnus.

Ich glaube mir den Dank mancher Lefer zu erwerben
, wenn ich fie auf ein Buch aufmerkfam mache,
das anfeheinend in den Kreifen evangelifcher Theologen
bisher faft unbeachtet geblieben ift.

Im 17. Jhdt. plante der berühmte Convertit Lucas
Holfte die Herausgabe des Liber Diurnus. einer Sammlung
von Formeln für die päpftliche Kanzlei, die feit
Jahrhunderten in Vergeffenheit gerathen war, von der
er aber zwei alte Handfchriften zur Verfügung hatte,
eine dem jefuitifchen College de Clcrmont in Paris gehörig
, eine in der Bibliothek der Ciftercienfer von St.
Croce di Jcrusalcinnie in Rom — jetzt im Vatican. Ehe
die letzten Seiten gedruckt waren, wurde ihm die Veröffentlichung
von der Index-Congregation unterfagt; erft
zwifchen 1724 und 1730 find ein Paar Exemplare des
1 Werkes, nothdürftig ergänzt, in den Handel gekommen.
Inzwifchen hatte der Jefuit Jean Garnier 1680, ohne
Holfte's Arbeit und den römifchen Codex zu kennen,
lediglich auf Grund des Claromontanns den Ltber Diurnus
edirt und commentirt, aber dafs er bei feiner Edition
höchft willkürlich verfahren, konnte man fchon feit
Längerem vermuthen. Leider ift fein Codex im vorigen
Jahrhundert verfchwunden, und als E. de Roziere beim
Vatican fich die Erlaubnifs zur Benutzung der dortigen
Handfchrift erbat, wurde fie ihm verweigert; er war in
feiner—-durch eine Fülle von gediegenen Unterfuchungen
ausgezeichneten — Edition des Lib. D. 1869 wefentlich
auf Garnier's Material angewiefen. Dagegen liegt uns
nun ein Text vor, der als die denkbar getreuefte Re-
produetion des Vaticanus — Leo XIII hat in dankenswerter
Liberalität den Zugang zu diefem eröffnet —
gelten kann; die Ausgabe ift auf Koften der Wiener
Akademie hergeftellt: Liber Diurnus Komanoruni Ponti-
ficum ex unico codice Vaticatw denuo edidit Tb. E. ab
Sickel. Vindob. 1889. XCVI und 220 S. 8". Die Be-
fchäftigung mit diefem Buche ift eine wahre Freude;
ein köftlicher Druck auf fchönem, ftarkem Papier; dazu
ein Regifter, 80 S. umfaffend (ein Dr. Haberda hat es
unter Sickel's Aufficht angefertigt), das an Vollftändig-
keit und Zuverläffigkeit kaum feines Gleichen haben
dürfte. Ein Facfimile zweier Blattfeiten der Handfchrift
I erhöht den Werth des Buches. Von S. LVII der Vorrede
an befpricht der Herausgeber die früheren Editionen und
die Grundfätze, nach denen er die feinige veranftaltet
hat: diefelben find unangreifbar; jede Willkür ift ausgefchloffen
; nicht das Geringfte von dem Wortlaut des