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Ausgabe:

1890

Spalte:

589-591

Autor/Hrsg.:

Harris, J. Rendel

Titel/Untertitel:

Biblical fragments from mount Sinai 1890

Rezensent:

Gebhardt, Oscar

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589 TheologifchejfLiteraturzeitung. 1890. Nr. 24.

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nun wirklichen oder vermeintlichen, Uebereinftimmung der 1 erftattete, begründete er die Unterlaffung eines Befuches
johanneifchenChriftusreden mit dem Gottesbegriff unteres des Katharinenklofters auf dem Sinai damit, dafs nach
Verf.'s willen jene Reden auch ohne Weiteres die echten, der Durchforfchung desfelben durch einen Mann wie
gefchichtlichen. urfprünglichen Gedanken Jefu enthalten Tifchendorf dort wohl nichts mehr zu finden fein werde,
müflen. Im Uebrigen weifs auch die vom Verf. jetzt Damals aber war der gröfste Schatz des Klofters, der
und früher (vgl. fem 1889 erfchienenes Leben Jefu) be- Codex Sinaiticus, noch nicht gehoben »). Seitdem ift
fonders in der Perfon des Unterzeichneten fo heftig Gardthaufen dort gewefen und hat einen umfangreichen
bekämpfte kritifche Richtung recht wohl, dafs der jo- j Katalog der griechifchen Handfchriften des Sinaiklofters
hanneifche Chriftus vielfach nicht wie ein menfchge- j veröffentlicht, welcher mit Recht als ,a disappointing ond
wordener Logos, fondern wie ein von Gott gefandter bezeichnet worden ift (vgl. diefe Zeitung, Jahrg. 1886 Col.
und mit göttlichem Geift begabter Prophet fpricht (S. 16 f.) 433 "■)• Aber bald nachdem Gardthaufen den Sinai
und fich.0 überdies als Meffias zu Gott in einem eigen- verlaffen, hatte er Gelegenheit, fich davon zu überzeugen,
thümlichen Verhältnifs (S. 18 f.), in einer wefentlichen dafs ihm nicht alle vorhandenen Handfchriften vorge-
Lebensgemeinfchaft flehend fühlt (S. 24 f.), wie folche der gelegt worden waren. Wiederholte Verfuche, fich nach-
Vorausfetzung der Logos-Speculation keineswegs mit traglich Kenntnffs von den nicht gefehenen zu verfchaffen,
Notwendigkeit bedarf. Daraus folgt aber noch lange verliefen refultatlos, und fo konnte man immer noch hoffen,
nicht, dafs diefe Speculation dem ,authentifchen Bericht' ; dafs ein neuer Befuch von befferem Erfolge begleitet
des .Hoheoriefters Johannes' (S. VIII) erfl nachträglich fein werde. Inwiefern dies von den griechifchen Hand

und unrechtmäfsig aufgedrungen worden fei (S. 13), wie
auch aus der Parallele 1,7. 8=20 nicht folgt, dafs das
,Licht' des Prologs direct den Meffias bedeute (S. VI.
11 f. 30. Nachtrag, S. 14h). Was aber jenen jerulülemi-
fchen ,Hohepriefter' betrifft, welcher nach des Verf.'s
Anficht anflatt des galiläifchen Fifchers das Evangelium
abgefafst und fpäter als ,Presbyter' eine Rolle in Klein-
afien gefpielt haben foll (S. XI. i. 87. 92 f., Nachtrag,
35), fo begreift der Unterzeichnete zwar recht
wohl, wie man auf eine folche Fährte gerathen kann; er
ift feiner Zeit verfuchsweife auch darauf gewandelt: Spuren
davon in Schenkel's Bibel-Lexikon II, S. 360. Aber
die dem letzten Jahrzehnt des 2. Jahrhunderts angehö-
rigen, etwas verwunderlichen Worte des Polykrates über
den ephefinifchen Lieblingsjünger og iytvftr^ ttgslg th
nixalnv TrerpoQry/.wg ,als rein hiftorifche Notiz' (S. 3) zu
faffen, fie mit den mannigfachen Beziehungen des Johannes
-Evangeliums auf die priefterliche Ariftokratie (S.
IX f. 2. 86 f. 91) zu combiniren und den Evangeliflen felbfl
zu einem folchen Priefler zu machen, welcher, da das
Tempelamt jährlich wechfelte (S. 10f. 68. 87, Nachtrag,
S- 3°f-)> gelegentlich felbfl einmal als Hohepriefter fun-
girt und die Stirnplatte getragen habe (S. 6. 9 f.): das ift
ein Wageftück, zu welchem man fich um fo fchwerer
entfchhefsen wird, als es mit der Behauptung einer fehr
frühen, der Zerftörung Jerufalems vorangehenden, Ab-
faffung (S. IX), fowie mit der Verleugnung jedes univer-
faliftifchen, dem Judenfchriftenthum entwachfenen, theo-
logifchen Charakters unferes Werkes (S. 22. 63. 81) Hand
in Hand geht, was freilich richtig wäre, wenn xhaiiog
nicht Welt, fondern jüdifches Volk bedeuten würde
(S. VIII. 21. 36. 80, Nachtrag, S. 19). Die Gründe, welche
mich beftimmen müffen, einer derartigen Verkennung des
wirklichen Charakters des vierten Evangeliums entgegen
zu treten, brauche ich nach Erfcheinen meines Commen-
tars zu dem Werke nicht mehr zu entwickeln. Vielleicht,
dafs der Verf. vorliegender Schrift daraus meine eigene
Auffaffung gerechter würdigen lernt, wie ich meinerfeits
gern bekenne, in diefer Schrift einen zwar verfehlten, aber
eigenthümlich gearteten, charaktervoll durchgeführten und
jedenfalls ernft zu nehmenden Verfuch zur Löfung des
Räthfels anzuerkennen. Keiner follte daran vorübergehen,
der in den nächflen Jahren johanneifchen Studien obzuliegen
gedenkt. Manches Brauchbare wird er auch in
dem Nachtrage finden, welcher einige Parallelen aus
Talmud undMidrafchim nach der UeberfetzungWünfche's
enthält.

Strafsburg i./E. H. Holtzmann.

Harris, Prof. J. Rendel, Biblical fragments from mount Sinai,

edited by J. R. H. London, Clay & Sons, 1890, (XV,
68 S. gr. 4.) geb.
In dem Berichte, welchen Coxe im Jahre 1857 der
Königin von England über feine orientalifche Miffion

fchriften gilt, welchen Gardthaufen feine Aufmerkfamkeit
allein zugewandt hatte, werden wir alsbald fehen. Wenn
aber nicht alles trügt, fo ift ein nicht hierher gehöriger
Fund, welchen der Hrsg. des vorliegenden Buches in
der Einleitung (p. V.) wie beiläufig erwähnt, fo wichtig,
dafs dadurch vielleicht alle Entdeckungen der letzten
Jahrzehnte auf dem Gebiete der chriftlichen Literatur-
gefchichte in den Schatten geftellt werden. Nichts geringeres
nämlich als die für immer verloren geglaubte
Apologie des Ariftides hat fich dort in fyrifcher
Ueberfetzung erhalten (,tlie Syriac Version of the long-lost
Apology of Aristides to the Empcror Hadrian on behalf
of the Christians'2). Dafs die Veröffentlichung diefer un-
fchätzbaren Urkunde bald erfolgen wird, ift bei der bekannten
Rührigkeit des glücklichen Plntdeckers mit
Sicherheit zu erwarten. Was er uns diesmal bietet, ift
infofern überrafchend, als man eine fo grofse Zahl von
Fragmenten alter griechifcher Uncialhandfchriften dort
kaum noch zu erwarten berechtigt war. Den Nutzen
aber, welchen diefe Fragmente der biblifchen Texteskritik
bringen werden, vermag Ref. nicht hoch anzufchlagen.
Denn die wenigen umfangreicheren Stücke find gerade die
textlich minder werthvollen, und diejenigen, welche ein
gröfseres Intereffe für fich in Anfpruch nehmen, find
zu fragmentarifch erhalten, um mit Erfolg praktifch ver-
werthet werden zu können. Dem Alten Teftamente gehören
die Nummern 1 (Num. 32, 29.30. aus dem 7. Jahrb.),
2 (Jud. 20, 22. 24—26. 28. aus einer dem Vaticanus ähnlichen
Handfchrift des 4. Jahrh.), 3 (Ruth 2, 19—23. 3,
1. 4—7, vielleicht aus derfelben Handfchrift wie 2), 4
(einzelne refp. mehrere Verfe aus Pf. (Ol, 102. 105. 106
108. 113. 114 und 115 aus dem 4. Jahrh.), 5 (Sir. Prol.
unvollständig und i. II —14. 1, 29—3, 11 aus dem6.Jahrh.)
und 15 (die von Brugfch zuerft veröffentlichten Levi-
ticusfragmente in verbefferter Geftalt, vgl. diefe Zeitung
, Jahrg. 1876 Col. 28 ff.) an, dem Neuen die Nummern
6 (Mt 11, 27. 28 aus dem 8. Jahrb.), 7 (Mt. 14, 28—31
aus dem 5. Jahrh.), 8 (Mt. 13, 37—46. 13, 55—14, 8. 14,
29—15, 3. 15, 15—26 aus dem 8. oder 9. Jahrh.), 9 (Mt.
13, 46—52 mit arabifcher Parallelüberfetzung), 10 (Mt.
»5, iS—37- 26,17—39. 28,11—20. Mc. 1,11—22. 2,21—3, 3-
3, 27—4, 4. 5, 9—20, Palimpfeft aus dem 5. Jahrh.), II
(Mt. 26, 4—7. 10—12. Mc. 12, 32—37 aus dem 6. Jahrh.),
12 (Mc. 14, 29—45. 15, 27—43. 15,45—16, 5. aus dem
7. Jahrh.), 13 (Lc. 1, 68.78.79, Papyrus aus dem 7. Jahrh.),
14 (1 Cor. 1, 25—27. 2, 6—8. 3, 8—10. 20, Papyrus aus
dem 5. Jahrh ), 16 (Gal. 2, 3—5. 12—14. 3, '7- i& 24—28

1) Dafs der Verlud diefes Schatzes auf dem Sinai lebhaft beklagt wird,
ift begreiflich. Herr H. aber zeigt fich von dem Hergange nicht genügend
informirt, wenn er meint, dafs der Cod. fich heute noch dort befinden
würde, ,if the ordinary Conventions concerning the rights of property had
been scrupulously regarded' (p. IV); f. Gregory, Prolegomena p. 350 s.

2) So würde H. fich nicht ausgedrückt haben, wenn er im Syrer
nicht etwas von dem, was wir feit 1878 in armenifcher Ueberfetzung befitzen
, wefentlich Verfchiedenes gefunden hätte.