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Ausgabe:

1890 Nr. 23

Spalte:

579-581

Autor/Hrsg.:

Kögel, Rudolf

Titel/Untertitel:

Neue Christoterpe. Ein Jahrbuch. 12. Jahrg. 1891 1890

Rezensent:

Kühn, Bernhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 23

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er überall das Gute zu finden und zu fchätzen weifs.
Wenn Janffen bei diefen feinen Opfern nichts Gutes gefunden
hat, warum fchreibt er überhaupt? Er wollte
Zeitgötzen zertrümmern! Aber der Hiftoriker ftellt fich
auf die Gaffe und fchöpft aus der Goffe, der da meint
mit Scandalgefchichten diefer Aufgabe zu genügen. Es
giebt in der neuern Gefchichte des Proteftantismus kaum
eine fatalere Perfönlichkeit, als den vielgewandten, aufgeregten
und eitlen Ritter von Bunfen; aber wer ein Charakterbild
von ihm entwerfen will, wird fich doch fagen müffen,
dafs diefer Mann, der Freund vieler Edlen, Züge getragen
haben mufs, die folche Freundfchaft erklären. Man lefe
aber, was Janffen aus ihm macht! Und doch ift die Ungerechtigkeit
, wie fie Caroline Schelling und Humboldt
gegenüber geübt wird, noch viel grotesker. In der Ueber-
zeugung, dafs Alles von Werth ift, was zur Aufhellung
der innern Gefchichte Deutfchlands und feiner grofsen
Literaturepoche dienen kann, haben die Nachkommen
und Freunde hervorragender Männer und Frauen den
Kriefwechfel derfelben veröffentlicht — nicht für Kinder
und verfchlagene Priefter, fondern für ernfte und gerechte
Männer, denen man zutraute, dafs fie das Bleibende und
Werthvolle neben den Schwächen und Fehltritten erkennen
würden. Aber es gehört zu dem Schmerze, den
der Deutfche heutzutage ertragen mufs, dafs fich eine
Rotte von Scribenten auf diefe Publicationen geftürzt
hat, um in ihnen den Schmutz und alles mögliche Menfch-
liche aufzuftöbern — im Intereffe der katholifchen Kirche.
Es gab eine Zeit, da dachte diefe Kirche gröfser und
würdiger über ihren Beruf gegenüber der Cultur und
Literatur; heutzutage fteht der gepriefenfte Hiftoriker der
Kirche an die Spitze der Chiffoniers!

Aber, um felbft nicht ungerecht zu fein, foll ausdrücklich
hervorgehoben werden, dafs dort, wo Janffen
Sympathie fühlt, feine Darftellung eine weitherzigere ift.
Man wird die Auffätze über Huber, Ritter, Stifter,
J oukoffsky und Dahlmann mit Intereffe lefen. Freilich
auch hier fühlt man nicht feiten zwifchen und in den
Zeilen die Abficht, die römifche Kirche und ein eingebildetes
Deutfchland zu verherrlichen. Am deutlichften
tritt diefe Abficht in den Auffätzen über Rothe und
über Gervinus' Denkfchrift hervor. Der jugendliche
Rothe und der greife Gervinus befitzen die Sympathien
des Verf.'s — warum, das braucht nicht gefagt zu werden.
Die eigenthümliche Excerptenmethode in der Erzählung
ftört übrigens auch dort die Leetüre, wo man dem Verf.
willig folgt. Man weifs nie, ob der Verf. Alles fagt, und
man hat überall den Eindruck eines gefchickten Feuilletons
, niemals den einer alle Momente zufammenfaffenden
Darftellung.

Berlin. A. Harnack.

Neue Christoterpe. Ein Jahrbuch, hrsg. von Rud. Kögel
Wilh. Baur u. Emil Frommel. 1891. Bremen,
Müllers Verl., 1891. (V, 364 S. gr. 8.) M. 4. —

Dafs die Chriftoterpe auch diefes Jahr wieder treffliche
Gaben für die chriftliche Familie bringen werde,
das wufsten wir, ehe fie erfchien, denn die Namen der
Herausgeber bürgen dafür, dafs nichts darin Aufnahme
findet, was für Geift und Herz der grofsen Lefergemeinde
irgendwie ungeeignete Nahrung fein könnte. Unfere
befondere Aufgabe fcheint die zu fein, die einzelnen
Auffätze auf ihren theologifchen Werth zu prüfen; denn
das Jahrbuch ift zwar keineswegs für Theologen allein
beftimmt, aber wie die Herausgeber, fo find auch die
Mitarbeiter zum grofsen Theile Theologen und die behandelten
Stoffe ftreifen in der Mehrzahl theologifche
Disciplinen oder find, wie die kirchengefchichtlichen,
geradezu theologifcher Natur. Was die letzteren anlangt
, fo gebührt ficher die Palme dem Auffatz Ignaz
von Döllinger von Leopold Witte. Er bietet ein kirchen-

gefchichtliches Charakterbild, deffen Zeichnung felbft der
Fachmann als eine beachtenswerthe Leiftung mit Theil-
nahme verfolgen wird, während viele Laien durch diefe
Darfteilung mit ihrer Gründlichkeit in den Hauptfachen
und ihrem klaren Ueberblick über alle Verhältnifse zum
eilten Male eine rechte Vorftellung von dem Manne und
feiner Bedeutung erlangen werden. Nicht dasfelbe läfst
fich behaupten von Johannes a Lasko von Hermann
Dalton, dem Verfaffer der gleichbetitelten Monographie.
Es ift überhaupt die Frage, ob der wiffenfehaftliche Bearbeiter
eines Stoffes der geeignete Mann ift zu einer
volksthümlichen Behandlung desfelben Gegenftandes; er
ift zu fehr befangen in feinen Einzelunterfuchungen, um
noch die nöthige Schärfe des Blickes für Wefentliches
und Unwefentliches zu haben, und läuft fchliefslich Gefahr
, der lieben Kürze halber Theile der Unterfuchung
wegzulaffen, die keineswegs wegbleiben durften. Wir
haben den Eindruck, als ob der Bearbeiter in beiden
Beziehungen unter feiner Vorarbeit gelitten habe. In
gewiffem Sinne wenigftens als kirchengefchichtlich laffen
fich zwei andere Beiträge bezeichnen: Die Fürftin Amalie
von Gallitzien von C. Franklin Arnold und Ein Pfarrherr
aus der Zeit des dreifsigjährigen Krieges von N. Fries.
Jener leidet trotz reicher Capiteleintheilung an Wiederholungen
, giebt eine grofse Menge Stoffes und doch
kein recht greifbares Bild der eigenthümlichen Frau und
ihres zahlreichen Umganges. Fries' bekanntes Erzähler-
gefchick knüpft diesmal an ein altes Bild und ein Pfarrer-
regifter eine Epifode aus dem dreifsigjährigen Kriege
an, indem er merkwürdigerweife das Ganze als Traum
einkleidet. Unter den Auffätzen, die wir gewiflermafsen
zur praktifchen Theologie rechnen können, fteht oben
an Die Erziehung unferer Jugend zur chriftlichen Freiheit
von Otto Funcke. Funcke hat feine eigene Manier, die
ihn nöthigt, öfter von fich und feinem Angelaufenwerden
zu reden, als es der Apoftel Paulus gethan hat, aber dafs
diefe Manier ihr Nützliches hat, manche fonft verfchmähte
Speife manchem Gaumen fchmackhaft zu machen und
bei diefer Gelegenheit manche heilfame Pille dem Organismus
des Lefers mit einzuverleiben, das unterliegt wohl
keinem Zweifel. Und in diefem Auffatz hat er mit heiligem
Ernft und mit wiffenfchaftlicher Schärfe, die fich
unter dem Plauderton verbirgt, fein Beftes gegeben.
Unter dem Titel Allerlei Rauh berichtet Emil Frommel,
der immer wieder etwas erlebt und es zu anderer
Frommen meiflerhaft zu erzählen verfteht, Erinnerungen
aus dem Amte, die fich zu Beiträgen zur praktifchen
Theologie geftalten. Es ift nicht zu verwundern, dafs
Männer wie Frommel und Funcke Schule machen. Berliner
Drofchkenkutfcher von Caroline Abbot ftellt fich
als eine Nachahmung der Reifebilder dar; einige Anekdoten
, dem Verkehr mit jener Menfchenclaffe entflammend
, find zu einem lehrhaften Auffätze verarbeitet,
dem fich manches Gute nachfagen läfst. Aber das
Auftauchen zu vieler Schüler möchten wir doch nicht
wünfehen; wo der Geift des Meifters fehlt, läuft jene
Gattung Gefahr, der Feuilleton-Plauderei bedenklich nahezukommen
. Auf der Grenze zwifchen dem Lehrhaften
und dem Unterhaltenden ftehen: Vier Pfingfttage von
Wilhelm Baur und Herr, Hilf mir! von Max Vorberg.
Letztere Erzählung giebt eine ergreifende Darfteilung
von der Macht des chriftlichen Gewiffens, während fich
Baur liebend in vergangene Tage verfetzt und mit be-
haglichfter Breite und reichlicher Benutzung homiletifchen
Materials ein Pfingftfeft im Heffenlande befchreibt.

Damit würde die Reihe der theologifchen und theo-
logifch gefärbten Beiträge erfchöpft fein. Das rein Belle-
triftifche, das faft durchaus von Frauenhänden flammt,
liegt ausserhalb unferer Aufgabe; doch wollen wir der
finnigen und fein durchgeführten Skizze: ,Ein unfehein-
bares Leben' von H. von Schreibershofen dankbar gedenken
und ebenfo das Vorhandenfein einiger recht
hübfeher Gedichte beftätigen. Dann dürfen wir aber