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Ausgabe:

1890 Nr. 23

Spalte:

577-578

Autor/Hrsg.:

Dalton, Herm.

Titel/Untertitel:

Die evangelische Kirche in Russland. Drei Vorträge 1890

Rezensent:

Eck, Samuel

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 23.

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auch dem Niederländifchen Calvinismus nicht in vollem I ficht aus. Ein Befucfa auf einem Paftorat giebt dann
Umfang die Verantwortung zufchieben, fo liegt dasfelbe ; Gelegenheit, in anfchaulicher Weife die vielfeitige kirch-
doch deutlich genug in der Richtung, welche jener von liehe Arbeit auf dem platten Lande zu fchildern, während
vornherein einfehlägt. Und nun wird diefer weltflüchtige die gegenwärtige Nothlage wieder nur zum Schlufs kurz
Zug einem Volke aufgezwungen, welches gerade in jener zur Sprache kommt. Am wenigften dürfte der letzte
Zeit auf allen möglichen Gebieten weltlichen Cultur- Vortrag die Lefer befriedigen. Hier ift fo Verfchieden-
lebens die führende Rolle einnimmt. Für die voraus- artiges auf einen engen Raum zufammengedrängt, dafs
gehenden Zeiten des Kampfes wird man ihn, die ftramme manches Wichtige wohl zu kurz kommen mufs'te. —
Disciplin, die er hervorrufen kann, vielleicht nicht hoch Die Brüdergemeinde in Petersburg (S. 11) hat, wie man
genug werthen können, wohl höher noch, als die Bedeu- hört, unterdeffen zu beftehen aufgehört. S. 25, Z. 6 lies
tung des Praedeftinationsglaubens, mit dem auch nicht- 1859 ft. 1885.

theologifche Hiftoriker allen wunderbaren Heldenmuth I Rumpenheim c p_t

der Freiheitskämpfer zu enträthfeln meinen. Aber in
den Tagen des nachfolgenden Friedens! Konnte eine

folche Anfchauung von Sonntagsruhe in jenem lebens- Janffen, Johs., Zeit- und Lebensbilder. 4., verm. Auf! in
und arbeitsfrohen Gefchlechte jemals durchdringen? Ja, : 2 Bdn. Freiburg i. Br., Herder, 1880 (XXIII aoa
haben fie nicht alles göttliche und menfehhehe Recht I ,, ytt ,sn g CTr x 1 M <? k U

auf ihrer Sehe, wenn fie in diefem Lande faft überreichen u- 38o S. gr. 8.) M. 8.-; geb. M. 9. 40.
Fleifses den Sonntag zur Erholung, auch zu Spiel und [ Diefe Zeit- und Lebensbilder enthalten in der neuen
Tanz für fich forderten? Es ift doch bezeichnend, dafs ' Auflage vierzehn Stücke. Zum erften Male veröffentlicht
der humane Grundfatz Deuter. 5, 14 ,noch der Fremd- , find die Effays über ,Victor Aime" Huber's Wirken auf
ling der in deinen Thoren ift' hier in eine Drohung literanfchem.politifchem und focialemGebiete'(IS.i—112),
gegen das Bttmsgtsind* verkehrt wird (S. 157 f.) und | .Der proteflantifche Theologe Richard Rothe aus feinen
begreiflich genug, dafs zwifchen diefen Gegenfätzen Briefen gefchildert' (I S. 324—379; und .Adalbert Stifters
fchiiefslich nur eine fchwächliche Cafuiftik (S. 120. 130. : Anfchauungen über Leben, Literatur und bildende Kunft'
vgl. die kläglichen katechetifchen Mufterleiftungen S. (II S. 1—53). Andere Auffätze find durch Benutzung
102 f) einen Ausgleich zu fuchen wufste, eine Cafuiftik, neuer Bücher anfehnlich erweitert worden,
über die der Verf. urtheilt, dat de Sabbat door velen Die Haltung, welche Janffen in diefen Zeitbildern

gemaakt werd tot een dag, zvaarop men op allerlei einnimmt, und die Gefichtspunkte, unter denen er fie
■voijztn zijne ziel kwelde (S. 105). Die fchwiengfte Auf- beurtheilt, find hinreichend bekannt. Der Liberalismus
CTabe welche in einem proteftantifchen Lande die Sonn- im betten und im fchlimmften Sinn des Worts, der ,By-
tagsfrage Hellt, wie das berechtigte Erholungsbedürfnifs zantinismus', wie ihn der katholifche Cleriker verfteht,
eines arbeitfamen Volkes aus den Schenken heraus (denn und die Politik des preufsifchen Staates — das find die
die Wirthe fpielen naturgemäfs in diefem Buche eine < Feinde. Ihnen gegenüber fteht die römifche Kirche und
traurige Rolle) in gefunde Bahnen zu lenken fei, ift von Alles, was fie fördert. Aber man würde ungerecht fein.

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diefen Niederländern des 17. Jahrhunderts kaum geftreift
worden. Wer wollte fie aber dafür anklagen, wenn doch
wir heute nicht behaupten können, über die allerwollte
man verfchweigen, dafs der Verf. von feinem
Lehrer Böhmer Achtung vor dem orthodoxen Prote-
ftantismus gelernt hat. Doch kommt diefe Achtung that-

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fchüchternften Verfuche diefer Art hinausgekommen zu ! fächlich nur Wenigen zu gut; denn der orthodoxe Profein
. Schliefslich möchte ich den Lefern der Allg. Ev.- I teftant, dem fie zugewendet werden foll, mufs in der
Lutherifchen K.-Ztg. die Mittheilung nicht vorent- Regel ftreng confervativ, grofsdeutfeh und Peffimilt in
halten, dafs diejenigen Mitarbeiter diefes Blattes, welche Bezug auf feine eigene Kirche fein. In einigen feltenen
fich im letzten Halbjahr durch ihr Eifern gegen Sonn- Fällen können diefe Eigenfchaften durch andere Ver-
rrafrstrauungen hervorgethan haben, aus Van Veen's Buche dienfte, die in näherer oder fernerer Beziehung zur rö

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lernen dürften, fich ihrer reformirten Vorbilder zu er
freuen (f. S. 72 ff-)

Rumpenheim. S. Eck.

mifchen Kirche und zum Haufe üeflerreich flehen, erfetzt
werden. Auch fonft giebt es noch mancherlei merita de
congruo; romantifche Schwärmerei, kräftiges Schimpfen
auf deutfehe Profefforen, günftige Aeufserungen über
Mönche u. f. w. gehören hierher. In der Biographie und

fiflltnr. Herrn Die evanqelische Kirche in Russland. Drei ! Gefchichtserzählung hat Janffen bekanntlich ein eigenes
Vorträte Lefczfc Duncker & Humblot, 1890. (X, j Ge"re gs zur Virtuofität ausgebfidet: es ift die Erzählung
Vortrage. Leipzig, u«»« > j~ . ln aer Form einer kunflvollen Excerptenreihe. Er lenkt

118 S. gr. 8.) M. 2.80. I die Helden, indem er fie felber fprechen läfst, doch nach

In drei Vorträgen fchildert der bekannte Verfaffer, feinen Abfichten. Mit dem Stabe ihrer eigenen Worte
gegenwärtig in Berlin wohnhaft, die evangelifche Kirche treibt er fie willenlos, den einen in die Hölle, den andern
in St Petersburg, in den Oftfeeprovinzen, im Innern des ins Paradies. Glücklich der, dem fein eigenes Wort nicht
Reichs Die Skizzen werden als Erfatz dargeboten für zum Strick wird, an welchem ihn die heilige Inquifition
ein lan^e geplantes, aber unausgeführt gebliebenes Vor- fchiiefslich aufhängt, dem Publicum mittheilend: Seht er
haben & In einer Reihe von Bildern, denen Freytag's hat fich felber erhängt!

.Bilder aus der deutfehen Vergangenheit' als formelle Wo fie nicht Sympathie hegen kann, da ift diefe

Vorlage dienen follten, hätte die Eigentümlichkeit der Gefchichtsfchreibung unerträglich durch ihre Engherzig-
verfchledenartigen, im weiten Reich zerftreuten evan- keit und empörende Ungerechtigkeit, da fehlen dem fonft
gelifchen Gemeinden zur Darftellung kommen follen. fo gewandten und umfichtigen Hiftoriker alle relativen
Jetzt ift ein abgekürztes Verfahren eingefchlagen. Der Mafsftabe, und es entftehen Zerrbilder, die wirklich zu
erfte Vortrat der es mit einem befchränkteren Gebiet zu , dem Zwecke gefchneben zu fein fcheinen, dem Deutfehen
thun hat dürfte dem urfprünglichen Plan noch am : feine Gefchichte zu verekeln. Es mag alles Schlimme,
meiften entfprechen. Er behandelt das kirchliche Leben was Janffen Bd. I, 3—6, II, 5 über Alexander von Hum-
der Evan^elifchen (ca. 90CXX), darunter 45000 Deutfehe) boldt, Caroline Schelling, Schopenhauer und
in der Hauptftadt. Die rege Liebesthätigkeit wird mit Bunfen erzählt, auf Wahrheit beruhen, es mag noch
Recht befonders hervorgehoben. Weniger Erfreuliches viel mehr Schlimmes Wahrheit fein — und dennoch find
wird zum Schlufs nur leife angedeutet. Auch der zweite die Bilder, welche er entwirft, Fratzen, und das, was er
Vortrag der fchon viel weiter Umfchau halten mufs, erzählt, muthet wie Indiscretionen eines unberufenen
geht von einer gefchichtlichen und ftatiftifchen Ueber- Beichtvaters an. Wahrheitsliebe des Hiftorikers ift, dafs