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Ausgabe:

1890 Nr. 23

Spalte:

568-570

Autor/Hrsg.:

Giesebrecht, Friedrich

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Jesaiakritik. Nebst einer Studie über prophetische Schriftstellerei 1890

Rezensent:

Siegfried, Carl

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5^7 Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 23. 568

die Rudimente lebhaften Ahnencultes bei Homer fowie 1 ftrafung des Mörders in die Hand genommen, aber die
der Dämonenglaube Hefiod's darauf fchliefsen, dafs hier i Verwandten haben die Anklagepflicht. Gemeinhin findet
nur die glimmenden Funken alten Glaubens zu neuer ' der Erfchlagene, bevor er gerächt ift, keine Ruhe; da-
Flamme angefacht worden find. Für die Urfprünglichkeit ! gegen kann felbft abfichtlichen Mord der Getroffene vor
jenes Glaubens fpricht die Gebundenheit des Heros an feinem Ende verzeihen, und es findet dann kein Verfein
Grab, an feine fterblichen Reffe, welche man fich , fahren ffatt; fo fehr fleht die Rückficht auf die verletzte
mitunter nicht fcheute, durch Lift und Gewalt aus der ! Seele im Vordergrunde. Sämmtliche Formen des Mord-
Fremde zurückzuholen; die Opfergaben dachte man fich 1 proceffes find religiös. Die Erinnyen find im attifchen

den Heros im Grabe felbft materiell geniefsend. Ueber-
all, noch in der Kleifthenifchen Gemeindeordnung erfcheint

Glauben noch nicht zu Hüterinnen des Rechts verblafst;
die Erinnys des Ermordeten ift deffen eigene beleidigte

der Heroencult dem Ahnencult nachgebildet; dafs die j Seele, die den Mörder verfolgt, wenn kein Bluträcher
neuen Heroen vielfach Geftalten der Dichtung find, fpricht ! vorhanden ift. Auch wenn der Gerechtigkeit durch Ver-
dafür, dafs der Ahnencult theilweife in Vergeffenheit ge- bannung genug gethan ift, bedarf der Mörder nach feiner
rathen war; doch gibt er überall das Vorbild ab. Die Rückkehr noch der Reinigung und der Sühne. Chthoni-
obfcuren Heroen find die eigentlich urfprünglichen, die j fchen Gottheiten wird als Erfatz für den Mörder ein

,Archegeten'; von folchen war oft fogar der Name ver-
geffen, während der Cult fortbeftand. Analog den my-
thifchen Gründern der Städte wurden nun auch den
Führern der Colonien nach ihrem Tode heroifche Ehren
zu Theil, und bald gab Auszeichnung jeder Art einen
Anfpruch auf Heroifirung. Herrfcher, Gefetzgeber, Dichter,

Opferthier gefchlachtet. Das Orakel von Delphi überwacht
auch diefe Sühngebräuche, für die die Entfühnung
Apollon's vom Morde Python's vorbildlich war.

War im Seelenculte auch der Glaube an ein Fortwirken
der Verftorbenen gegeben, fo wurde dies Fortleben
doch wefentlich in Beziehung auf die Ueberlebenden

Sieger in Kampffpielen wurden nach ihrem Tode heroifch J ins Auge gefafst; ausgefüllt wurde diefer Glaube erft

verehrt. Einen grofsen Vorfchub leiftete der Vermehrung
der Heroenculte das delphifche Orakel, wie es überhaupt
den Seelencult fyftematifch förderte. So wuchs der Heroencult
ins Ungeheuere. Nach den Perferkriegen wurden die
ganzen Schaaren der Gefallenen zu Heroen erklärt. Die
Folge war, dafs man einzelne hervorragende Heroen zu
göttlichem Range erhob. Gleichwohl verflüchtigte fich der
Heroenglaube nicht, fondern blieb lebendig durch die unmittelbare
Hülfe, welche man von den Heroen erwartete.
Allerdings war diefe Hülfe an die Stätte des Grabes gebunden
und befchränkter als die der Götter. Eine allge-

durch die Myfterienculte, vornehmlich den Eleufinifchen.
Die Eleufinifche Weihe verhiefs den Lebenden Reichthum,
nach dem Tode ein feiiges Loos. Die Anforderungen
an den Myften waren rein rituell, nicht etwa moralifcher
Art. Leider find wir über die Wandelungen, welche die
Orgien im Laufe der Zeit erfuhren, ungenügend unterrichtet
. Wir wiffen wohl, dafs aufser gewiffen Vorbereitungen
eine Darftellung der heiligen Gefchichte zu der
Feier gehörte, nicht aber, wie den Andächtigen die Heils-
gewifsheit verbürgt wurde. Mit Recht wendet fich Rohde
gegen übertriebene fymbolifche Ausdeutungen, welche

meine Gabe der Heroen ift Weisfagung, ein befonderer es allerdings bereits im Alterthum gab. Dasjenige, was
Zweig diefer Begabung Heilung von Krankheiten. So , fich nach Rohde über die Eleufinien ermitteln läfst,

wurde der Heroencult, vom Ahnencult ausgehend und
feine Form bewahrend, ein Cult grofser und eigenthüm-
licher Kräfte, auch fchädlicher, welcher oft an Wichtigkeit
dem Götterculte gleichzukommen fchien; die Quelle eines
eigentlichen Unfterblichkeitsglaubens ift er aber nicht

nügt nicht, um das Anfehen, in welchem die Weihen bei
den hervorragendften Geiftern ftanden, und die freudige
Zuverficht aller Geweihten zu erklären. Ob hier weiter
gegangen werden kann, kann erft unterfucht werden im
Zufammenhang der übrigen Myfterienculte, namentlich

geworden, die Heroifirung blieb immer ein Ausnahme- der orphifchen Weihen, auf welche Rohde in der zweiten

fall, ein Wunder.

Ein Rückfchlag gegen die Homerifche Aufklärung
äufsert fich in der hiftorifch hellen Zeit fowohl in der
Vorftellung von der Unterwelt, wie in dem allgemein
verbreiteten Seelencult. Die Unterweltsgottheiten, mit
vielen Namen genannt, find nicht nur Beherrfcher der
Schatten, fondern auch Spender des Erntefegens; man
dachte fie fich nahe unter der heimifchen Erde häufend,
an vielen Orten zeigte man den Eingang zu ihrem Reich.
Die Pflege, die der abgefchiedenen Seele bei der BeHälfte
feines Werkes kommen wird.

Der letzte Abfchnitt behandelt einige im Vorigen
nicht berührte Züge des Unterweltbildes, von welchen
die meiften auf dem grofsen Wandbild Polygnot's in
Delphi um die Mitte des fünften Jahrhunderts angebracht
waren. Der Kerberos kam zuerft bei Hefiod vor, der
greife Fährmann Charon in der epifchen Minyas; in Athen
hatte ihn Polygnot populär gemacht. Der Kreis der
,Büfser'war erweitert worden, die .Ungeweihten'fchöpften
als Bild fruchtlofen Bemühens mit zerbrochenen Gcfäfsen

ftattung und in der nächften Zeit aber auch periodifch | Waffer in ein zerbrochenes Fafs. Rohde hebt mit Recht

in regelmäfsigen Begehungen zu Theil wird, fetzt durchweg
einen lebhaften Glauben an fortdauernde Empfindung
des Verftorbenen voraus. Die Furcht, in der Fremde
begraben zu werden oder ohne Nachkommen zu fterben,
(die Wurzel der Adoption), ift vom Boden des home-
rifchen Hadesglaubens aus unverftändlich. Sind die Ge-

hervor, dafs der Gedanke einer jenfeitigen Vergeltung
den Griechen in ihrer guten Zeit ferngelegen habe. Was
Aifchylos und Pindar in diefem Sinne äufsern, fei nie
Volksglauben gewefen; die Behauptung eines Todten-
gerichtes finde fich zuerft bei Piaton. Allerdings wird
der nächfte Band fich mit düftereren Bildern zu befchäf-

bräuche des Seelencultes zunächft auch apotropäifcher ' tigen haben, welche in mancher Beziehung die Platonifche
Art und bezwecken vornehmlich den Schutz der Ueber- | Eschatologie vorbereiten.

lebenden, fo verleiht doch, wenigftens in Athen, die Pietät
gegen die Verftorbenen dem Todtencult gemüthlich
tiefere Züge.

Befonders deutlich fpricht fich die in hiftorifcher Zeit
gefteigerte Vorftellung von der bewufsten Fortdauer der
Seelen in der Organisation der Blutrache aus, welche wir
genauer nur aus Athen kennen. Wohl haben auch bei
Homer die Verwandten die Pflicht, einen Mord zu rächen,
der Staat aber mifcht fich in diefe Fälle nicht hinein; der

Bafel. Ferdinand Dümmler.

esebrecht, Prof. Lic. Dr. Friedr., Beiträge zur Jesaia-

kritik. Nebft einer Studie über prophetifche Schrift-
ftellerei. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht's Verl.,
1890. IV, 220 S. gr. 8.) M. 5. —

Ein in jedem Falle anregendes Buch, das aber dem
Mörder kann die Rache einfach abkaufen, wobei der1 Lefer eine nicht geringe Geduld und Ausdauer zumuthet,

Ermordete leer ausgeht; zwifchen freiwilliger und unfrei- ! ihm bald Zuftimmung entlockt und ihn durch frappante
williger, gerechter und ungerechter Tödtung wird kein Wendungen reizt, bald auch Widerfpruch hervorruft und
Unterfchied gemacht. In Athen hat der Staat die Be- [ fchliefslich nicht immer recht zur Ruhe und zum Wohl-