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Ausgabe: | 1890 Nr. 22 |
Spalte: | 555-556 |
Autor/Hrsg.: | Krüger, Carl A. |
Titel/Untertitel: | Kirchengeschichte für evangelische Schulen. Einzelbilder aus allen Zeiten der christlichen Kirche 1890 |
Rezensent: | Bornemann, Wilhelm |
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555 Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 22. 55^
fetz in ein Evangelium umwandelt. Der Schule und dem
kirchlichen Amt ift es gewifs gut, wenn immer wieder
Kritik an ihnen geübt wird. Aber mich dünkt, nur wenn
die kirchliche Gemeinde und die chriftliche Familie
ebenfo ihre Schuldigkeit thun wie Schule und Amt, wird
es mit dem Erfolg des Religionsunterrichtes, d. h. mit
dem kirchlichen Leben, wirklich beffer werden.
Die Wiefe'fche Brofchüre hat das Verdienft, ein
aufserordentlich wichtiges Problem — das Verhältnifs des
kirchlichen Unterrichts in der Schule zu dem vom Gemeindeamt
ertheilten kirchlichen Unterricht — fcharf ge-
fafst und eigenartig gelöft zu haben. Sie macht einen
aufserordentlich wohlthuenden Eindruck durch die von
Grund aus kirchliche Gefinnung, durch den fchönen
Idealismus, durch ihr Vertrauen auf die Kraft der Wahrheit
und Freiheit, durch ihre Weitherzigkeit, Fertigkeit
und Gerechtigkeit. Sie läfst die Gedanken des Lefers
nicht los, fondern erweift fich ihm fruchtbar auch dann,
wenn man ihrem eigentlichen Vorfchlage nicht beipflichten
kann. Auch die oben fcharf und offen ausgefprochenen
Bedenken beruhen fo wenig auf einem grundfätzlichen
Gegenfatz gegen die Anfchauungen des hochverehrten
Herrn Verfaffers, dafs ich vielmehr ausdrücklich hier auf
die herrlichen ,Lebenserinneru ngen und Amtserfahrungen
' D. Wiefe's (Berlin 1886) hinweifen möchte
als auf ein Werk, das für alle Theologen und Schulmänner
und weit über diefen Kreis hinaus eine Quelle
des reichrten, geirtigen Genuffes und der werthvollften,
vielfeitigen Belehrung ift.
Magdeburg. W. Bornemann.
Krüger, Rekt. Carl A., Kirchengeschichte für evangelische
Schulen. Einzelbilder aus allen Zeiten der chrift-
lichen Kirche. Leipzig, Jul. Baedeker, 1890. (VII,
220 S. m. 86 Abbildgn. und 1 Karte. 8.) M. 1. 20;
geb. M. 1. 50.
Ob dies fleifsige und reichhaltige Büchlein fich für
den Schulgebrauch unmittelbar eignet, wie der Titel andeutet
, bezweifle ich aus verfchiedenen Gründen. Zu-
nächft enthält es fo, wie es vorliegt, viel zu viel fachliche
Ungenauigkeiten, unrichtige, zweifelhafte und mifs-
verftändliche Angaben. Von der reichlichen Verwendung
legendenhaften Stoffes fehe ich ab, ebenfo von einzelnen
Mängeln, welche offenbar durch das fonft lobenswerthe
Streben nach Kürze hervorgerufen find (z. B. der Satz
p. 140: ,von ihm — Ambrofius — befitzen wir den Am-
brofianifchen Lobgefang in deutfcher Ueberfetzung' oder
die ohne Weiteres eingeführte, doch heutzutage min-
deftens irreführende Bezeichnung der evangelifchen
Alliance als ,des evangelifchen Bundes' p. 214; —
andere Beifpiele pp. 52. 53. 54. 62. 97. 108. III. 149).
Ebenfo will ich Hörende Druckfehler (z. B. wird p. 193
als Arndt'fches Lied citirt: ,der heiige Geift ift kommen')
auf fich beruhen laffen und nicht minder die verkehrten
Angaben für die Ausfprache der englifchen Namen
Boleyn p. 154 und Whitfield p. 199 oder die willkürliche
Betonung Agäbus p. 15. Aber auch fonft find Irrthümer
nicht feiten. So iftjacobus der Gerechte fchwerlich mit
Jacobus Alphaei identifch (p. 17). Marcus hat fchwerlich
die Evangelien Matthaei und Lucae benutzt (p. 19)
Lucas ift nicht von der Reife des Apoftels nach Mace-
donien an ,der faft ftete Begleiter des Paulus gewefen'
(p. 19). Der Sonntag ift nicht ,ftatt des jüdifchen Sab-
baths' ,zum Tag des Herrn gewählt'. Arius hat nicht
mit feiner Lehre ,gegen das apoftolifche Glaubensbekennt-
nifs verftofsen' (p. 56). Die Lehre von der Homoufie des
Sohnes war nicht um 325 ,die am meinen verbreitete
Meinung' (p. 56). Spitta ift nicht in Hannover, fondern
in Burgdorf geftorben (p. 194). Die Angaben über
Monika's Ende find unrichtig (p. 68). Mifsverftanden hat
der Verfaffer den Ausdruck ,Weg' Apgefch. 9, 2 und willkürlich
ausgelegt und erweitert die Stellen Apgefch.
13,1 ff., 18, 12 und das, was wir von den Almofenpflegern
Apgefch. 6 wiffen. Andere gewagte oder ungenaue
Behauptungen finden fich pp. 8, 26, 31, 55, einige durch
irgend ein Verfehen bis zur Sinnlofigkeit entftellte Sätze
P- 51.
Diefe und eine Reihe ähnlicher Mängel müfsten be-
feitigt werden. Auch fonft wären durchgreifende Veränderungen
wünfchenswerth. Die Zahl der Einzeldar-
ftellungen (124) könnte erheblich eingefchränkt werden,
zumal die vielen Märtyrergefchichten ermüdend wirken;
dagegen wäre bei manchen Bildern (z. B. bei Gregor
d. Gr.) gröfsere Ausführlichkeit am Platze. Die 86 Abbildungen
, die grofsentheils doch nur Idealgeftalten der
Kunft oder Typen der Legende und zwar oft recht
fchwach wiedergeben (fo Porträts von Ignatius, Poly-
carp, Athanafius, Gregor d. Gr. u. a. nach den ,Monatsheiligen
' (?), Auguftin ,aus dem Miffale', verfchiedene
Apoftelbilder nach P. Vifcher u. f. w.), könnten ohne
Schaden fehlen. Vor allem aber entbehrt man bei vielen
der dargeftellten kirchengefchichtlichen Erfcheinungen
die Anwendung oder Andeutung fefter Gefichtspunkte
und Mafsftäbe zu einer ficheren evangelifchen Beurtheilung-
So handelt z. B. ein Abfchnitt vom ,Segen der Klöfter',
aber man erfährt nicht, weshalb das Klofterwefen trotz
diefes ,Segens' von uns abgelehnt wird. Endlich dürfte
das übrigens volksthümlich, fchlicht und klar gefchriebene
und mit Gefchick zufammengeftellte Büchlein auch wegen
feines Preifes und feines zu reichhaltigen Inhalts fchwerlich
Ausficht haben, als Schulbuch für Volksfchulen
oder für die Mittelftufe höherer Schulen eingeführt zu
werden; für die Oberftufe der höheren Schulen ift es
nicht geeignet. Für Lehrer wird es wiederum nicht
genug Stoff im Einzelnen bieten. In Jugend- und Volksbibliotheken
und in Familienkreifen wird es immerhin
Segen und Nutzen ftiften können, wenn es auch den
höchften Mafsftäben für eine volksthümliche Darfteilung
der Kirchengefchichte, wie fie im Jahrgang X diefer
Zeitfchrift Sp. 400 ff. dargelegt find, noch lange nicht
entfpricht.
Magdeburg. W. Bornemann.
Wichern, J. H., Die innere Mission der deutschen evangelischen
Kirche. Eine Denkfchrift an die deutfche
Nation, im Auftrage des Central-Ausfchuffes für die
innere Miffion verfafst. 3. Aufl. Hamburg, Agentur
des Rauhen Haufes, 1889. (VIII, 279 S. gr. 8.)
geb. M. 3.—
Im Jahre 1849 war der erften Auflage rafch die zweite
gefolgt; die Vorrede der erften datirt vom 21. April,
die der zweiten vom 21. Auguft. Wichern hätte gern
den einen oder andern Abfchnitt im Laufe der Jahre
völlig umgearbeitet; aber die Laft und die Zahl der
ihm auferlegten Arbeiten waren fo grofs, dafs er damit
in's Verfchieben kam. Der Central-Ausfchufs f. i. M.,
in deffen Auftrag die Denkfchrift erfchien, hat fie pietätsvoll
in unveränderter Geftalt auf's Neue veröffentlicht.
— Die Anregung, welche die Denkfchrift gab in Deutfch-
land, in Europa, ja in der Welt, die Werke, Anftalten
und Vereine, die fie hervorrief, bekunden laut die Bedeutung
von Wichern's Vortrag in Wittenberg und feiner
in der Denkfchrift niedergelegten Gedanken. In den
fünfziger Jahren waren heifse Kämpfe über die i. M.
pro und contra entbrannt; viel Mifsverftändnifs und Un-
kenntnifs hüben und drüben hatte ein Hemmnifs für die
Entwicklung werden follen; allmählich lernte die orga-
nifirte Kirche ihre Aufgaben beffer verliehen und die
i. M. wurde fich im Ringen um Anerkennung über Ziele
und Wege klarer, fo dafs heutigen Tages auf beiden
Seiten auch da eine gerechtere Würdigung ftattfindet,
wo fie lange Zeit nicht aufkommen wollte. — Gerade für