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Ausgabe:

1890 Nr. 22

Spalte:

549-550

Autor/Hrsg.:

Döderlein, Jul.

Titel/Untertitel:

Philosophia divina. Gottes Dreieinigkeit, bewiesen an Kraft, Raum und Zeit 1890

Rezensent:

Hartung, Bruno

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549

Theologifche I.iteraturzeitung. 1890. Nr. 22.

550

nehmen die Biographie des verewigten Jacobi hineinge-
ftellt wird, wird bei vielen Verehrern desfelben gerechte
Entrüftung hervorrufen. Es ift fchon fchlimm genug,
einen Gelehrten, der offenkundig kein kirchlicher Partei-
mann gewefen ift, zum Repräfentanten einer Partei zu
machen und fie durch ihn empfehlen zu wollen; aber
es fehlen mir die Worte, um ein Unternehmen zu cha-
rakterifiren, in welchem an einen Theologen der Mafs-
ftab einer Partei angelegt wird, die nicht die feinige
gewefen ift und der gegenüber er fich mehr als einmal
abgefchloffen hat. Auf wohlwollende, durch die Pietät
^erklärte Nachficht läuft denn auch die Beurtheilung an
entfcheidenden Punkten hinaus, während uns von den
Häuptern der Partei der ,pofitiven Union' mitgetheilt
wird (S. 94): ,(Julius Müller) hinterliefs ein blühendes
Theologengefchlecht, an Bedeutung zu vergleichen etwa
mit jenen juriftifchen Familien, welche durch Generationen
unfere deutfche Vergangenheit und auch wohl noch die
Gegenwart zieren'. Aus welchem Gefichtswinkel der
Verf. die Lage der Theologie und die Verdienfte der
.Vermittelungstheologie' betrachtet, mag der Satz be-
weifen (S. 142): ,Üafs das Straufs'fche Werk von der
Tagesordnung der Wiffenfchaft abgefetzt ift und nur
noch in den Kreifen liberalifirender Halbbildung vegetirt,
ift das Verdienft jener Richtung'. Was der Verf. aber
unter ,Verftändigung' verfteht, wird weiter illuftrirt durch
die Beobachtung, dafs das ganze Buch von verfteckten
und offenen Angriffen auf die Ritfchl'fche Theologie
durchzogen ift. Im Vollgefühle des Sieges, den der Ver-
faffer auf Grund der Verständigung mit den Confeffio-
nellen in der Hand zu haben glaubt, hat er fich von dem
Studium der unbequemen Theologie dispenfirt und trac-
tirt fie mit Exclamationen und bemerkenswerther Ungerechtigkeit
.

Berlin. A. Harnack.

Döderlein, Jul., Philosophia divina. Gottes Dreieinigkeit, be-
wiefen an Kraft, Raum und Zeit. Erlangen, Befold,
1889. (X, 102 S. gr. 8.) M. 2.—

Die Aufgabe diefer Schrift, die Lehre von der Dreieinigkeit
wiffenfchaftlich zu begründen, ift für den Verfaffer
die allerwichtigfte, die er fich denken kann; denn
,die Gewifsheit von unferer Seligkeit ift der Beweis von
Gottes Dreieinigkeit'. Und diefer Beweis foll nicht etwa
fo geführt werden, wie man meift von diefem Dogma
redet, als laffe fich höchftens eine Analogie oder ein
Wahrfcheinlichkeitsbeweis dafür anbringen, fondern, ,die
Lehre ift klar, wie man's nicht jedem Philofophen nachfagt,
die Sätze kurz, dafs man jedes Wort im vollen Sinne
nehmen darf, der Fortfehritt eher zu ängstlich, um ja
keinen Zweifel übrig zu laffen, die Schlufsfolge peinlich
gerecht, wie's strenger keinem Anfänger im Denken zu-
gemuthet werden darf'. Hätte Verfaffer Recht, es wäre
der christlichen Frömmigkeit kaum viel damit gedient,
denn ihr ift die Lehre von der Dreieinigkeit ein Gegen-
ltand des christlichen Glaubens, nicht ein durch philo-
fophifche haarfcharfe Beweife zu gewinnender Satz. Die
Gewifsheit unferer Seligkeit kann doch nicht auf Gründen
ruhen, deren Fintwickelung nur ein philofophifch ge-
fchulter Geift folgen kann.

Folgendes ift in kurzen Zügen der Gang diefer Ent-
wickelung: Wie der Menfch in der Dreiheit von Geift,
Leib und Seele besteht, die der Tod auflöst, fo können
wir nur in einer unauflöslichen Dreiheit die Gewifsheit
unferer Seligkeit finden. Das ift eben der dreieinige
Gott. Gott ift und er ift einer, denn alles andere, das
ift, mufs in einem anderen fein, und nur das eine ift in
fich felbft, und das eine ift einer, denn ,was ift, mufs
etwas bilden; was in fich ift, bildet in fich, d. h. denkt,
alfo mufs eins denken, ift alfo kein todtes Ding, fondern
ein denkendes Wefen, eine Perfon, oder einer'.

Wenn darum überhaupt etwas ilt, mufs ein perfönlicher
Gott fein. Der eine Gott aber ift der dreieinige, denn
,alles hat drei Gröfsen, Kraft, Raum, Zeit'. Die Kraft,
die innere Gröfse in Gott, ift der Vater; der Raum,
die äufsere Gröfse in Gott, ift der Sohn; die Zeit, die
bewegende Gröfse in Gott, ift der Geift, und zwar, weil
alles vollkommen perfönlich fein mufs, fo find auch dies
drei Perfonen. Die Dreieinigkeit aber, die hierin ihre
Wurzel hat, finden wir darin beftätigt, dafs Gott ein
geiftiges Wefen ift, alfo Denker, Gedanke, Denken. Und
fragen wir endlich, warum der an fich felbft Vollkommene
noch zwei Gleiche in und bei fich habe, fo lautet
die Antwort: weil er die Liebe ift, als Geber alles Guten,
als Empfänger aller Gaben, als Mittler der Gaben im
im Geben, wie im Empfangen. So findet das, was aus
dem Sein urfprünglich bewiefen wurde, im Geift und in
der Liebe feine Bekräftigung.

,Wäre wirklich begierig, nur einen möglichen Zweifel
gegen unfere Schlufsfolge, eine Lücke in diefer Gedankenkette
zu erfahren', meint der Verfaffer. Ich bekenne
allerdings, dafs keiner der vollberechtigten Zweifel gegenüber
der Beweisführung für die Trinität, wie fie Brauch
ift, hier überwunden ift, dafs neue hinzukommen. Bis
dahin, wo die Perfönlichkeit Gottes gewonnen wird, kann
ich wefentlich folgen, nur dafs die in den verfchiedenen
F"ormen des ontologifchen und kosmologifchen Beweifes
wiederkehrende Wendung: ,wenn etwas für unfer Denken
ift, mufs Gott fein', auch hier nicht im Stande ift, die
Kluft zwifchen gedachtem und wirklichem Sein zu überbrücken
. Seinen Beweis für die Dreieinigkeit aus Kraft,
Raum und Zeit kann ich nicht anerkennen, auch abge-
fehen davon, dafs ein folcher Gottesbegriff fehr zum
Pantheismus hinneigt. Und ift denn wirklich die Dreizahl fo
durchfchlagend in den Dingen der Welt, in denen doch
auch die Vierzahl ihre Rolle fpielt? Vielmehr verdanken
die drei Perfonen der Gottheit, ebenfowenig wie die zwei
Attribute bei Spinoza, ihren Urfprung der aprioriftifchen
Speculation, fondern vielmehr der Erfahrung. Und ent-
fprechen die Kategorien der Kraft, des Raums und der
Zeit wirklich ohne Künftelei den drei Perfonen der Gottheit
d. h. nicht in irgendwelchem metaphyfifch-fpecu-
lativen Sinn, fondern der gefchichtlichen Offenbarung
in Chrifto? Der Umftand, dafs Chriftus in dem Wort
.ich bin die Thür' einen räumlichen Ausdruck braucht,
ift doch ein feltfamer Beweis dafür, dafs Gott der Sohn
als der Raum zu denken ift. Die aus dem Denken und
dem Wefen der Liebe gewonnenen Analogiebeweife
nennt Verfaffer an zweiter Stelle. Und doch find und
bleiben fie weit wirkfamer, als das, was er hinzufugt,
nicht als ob fie das Dogma von der Trinität wiffenfchaftlich
erweifen könnten, fondern indem fie bezeugen,
dafs der Trinitätsglaube der Chriftenheit auch für den
denkenden Geift weit mehr in fich fafst, als oberflächliche
Betrachtung zugeftehen will.

Eins dürfen wir nicht vergehen, dem Verfaffer nachzurühmen
. Er hat fein Verfprechen, deutfeh zu fchrei-
ben, trefflich eingelöft und unter Vermeidung aller ge-
künftelten Ausdrücke fich von Fremdwörtern in einer
bei philofophifchen Schriftftellern feltenen Weife freigehalten
. Eine feine Bemerkung ift es u. a.. wie die
deutfche Bezeichnung ,Dreieinig' fo viel inhaltreicher
fei, als das lateinifche trtutms.

Leipzig. Härtung.

Muff, Gymn.-Dir. Chrn., Idealismus. Halle, Mühlmann's
Verl., 1890. (VII, 182 S. gr. 8.) M. 3.— ; geb. M. 4.—
Wenn Gymnafien Pflanzftätten des Idealismus fein
follen, fo kann man das Gymnafium beglückwünfehen,
das den Verfaffer diefes Schriftchens zum Rector hat.
Ein Zug jugendfrifcher Begeifterung weht durch das
Ganze hindurch, der den Lefer mit fortreifst. Und doch
fehlt der für die Jugend fo nothwendige Realismus nicht,