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Ausgabe:

1890

Spalte:

35-38

Autor/Hrsg.:

Hilgenfeld, Adf.

Titel/Untertitel:

Libellum de aleatoribis inter Cypriani scripta conservatum 1890

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Conferenz zu Kiel, weift Verf. zunächft trefflich nach,
dafs es nicht erlaubt ift, den ganzen biblifchen, insbe-
fondere neuteftamentlichen Begriffsapparat ohne weiteres
in die Dogmatik zu übernehmen; vielmehr müfsten
die einzelnen Lehrbegriffe und Darftellungsmittel aus
der Individualität der Verfaffer und aus dem Bedürf-
nifse der Adreffaten verftanden werden. Eingehend
fchildert Kl. dann die Entftehungsverhältnifse des Hebräerbriefs
, um fo den Boden zu einer richtigen Beur-
theilung der Lehre vom hohepriefterlichen Amte Chrifti
zu gewinnen. Zu einer ausführlichen Behandlung der-
felben ift Verf. indefs leider nicht mehr gekommen. —
Aus dem reichen Inhalte des Vortrags hebe ich folgende
Einzelheiten hervor: Auch Kl. bekennt fich zu der Annahme
, dafs die eigentliche Adreffe und der perfönliche
Eingang des Briefes durch Zufall oder durch Abficht,
am wahrfcheinlichften durch beides, abhanden gekommen
ift (S. 46), ohne fich indefs zur Erhärtung diefer Thefe
fpeciell auf den Canonifirungsprocefs des Briefes zu berufen
, wie dies befonders Fr. Overbeck (Zur Gefchichte
des Kanons) gethan. Die Empfänger fucht Verf. in Be-
roea, indem er wunderlicher Weife die jetzige Auffchrift
flPüE EBIC4IOYE, welche doch nur eine gelehrte Con-
jectur der Alexandriner ift, aus ÜPCDJ BEPYsilOYZ ent-
ftanden fein läfst (S. 55 Anm.). Die Gemeinde war,
wenigftens ihrem autoritativen Stamme nach, judenchrift-
lich. Diefelbe ftand indefs nicht im Begriffe, in's Judenthum
zurückzufallen; es war vielmehr nur eine bedenkliche
Erfchlaffung des fittlich - religiöfen Lebens eingetreten.
Dabei entfprach es aber der eigenthümlichen Art jener
Chriften, welche von Haus aus im alten Teftament bewandert
waren, dafs fie, in fo mancher Hoffnung, deren
Erfüllung fie im Chriftenthum erwartet hatten, getäufcht,
ihre an fich praktifchen Bedenken an der Hand der
heiligen Schrift theoretifch zu rechtfertigen fuchten.
Durch diefe Charakterifirung der Adreffaten gewinnt
Verf. die Möglichkeit, die abhandlungsmäfsigen Aus-
einanderfetzungen des Briefes über den Vorzug des neuen
Bundes vor dem alten aus einem directen Bedürfnifse
der Lefer abzuleiten. — Während der Vortrag im übrigen
auf Polemik faft ganz verzichtet, hat Kl. leider einen
fcharfen Ausfall gegen Weizfäcker nicht unterdrücken
können; er wirft ihm vor, dafs er ,ohne anderen Grund
als den feiner Unverfrorenheit in der Aufftellung unbe-
wiefener Sätze das ganze Schlufscapitel des Briefes
ftreicht' (S. 41). Diefe Aeufserung ift um fo weniger zu
rechtfertigen, als Kl. die Anficht Weizfäcker's nicht einmal
genau wiedergiebt: W. hält nur die Verfe 18—24
für einen fpäteren Zufatz (Apoftol. Zeitalter S. 490 f.).

Marburg. Adolf Link.

Hilgenfeld, Adf., Libellum de aleatoribus inter Cypriani
scripta conservatum. Edidit et commentario critico,
exegetico, historico instruxit A. H. Freiburg i Br.,
Mohr, 1889. (87 S. gr. 8.) M. 2. —

Es ift innerhalb eines Jahres die dritte Recenfion
des fälfchlich dem Cyprian beigelegten Tractats gegen
das Würfelfpiel, welche nebft Anmerkungen zum Erweis
einer neuen Plypothefe über den Urfprung des dunklen
Büchleins erfcheint; und zwar ift es Hilgenfeld, der fie
der ganzen gelehrten Welt — darum hat er die latei-
nifche Sprache gewählt — gerade an feinem 67. Geburtstage
überreicht. Allerdings läfst er uns über dies Datum
in peinlicher Ungewifsheit; ich glaubte immer, und in
feiner Z. f. wiff. Theol. XXXII, 4, S. 509 beftätigt er
das, er fei am 2. Juni geboren, aber nach unferer Abhandlung
S. 81 müffen wir den 3. Juni annehmen (a. d.
III. N011. Jim.): hoffentlich findet Flilg. eine Gelegenheit,
das Richtige definitiv feftzuftellen.

Wäre es nicht blofs der Epilog (S. 78—81), der an
jenem Geburtstage fertig geworden ift, nachdem das

Uebrige bereits am 27. April gefchrieben war, fo würde
ich den Hauptmangel der Arbeit aus dem all zu lebhaften
Wunfche des Verfaffers, diefelbe nicht mehr in
das neue Lebensjahr unvollendet mit herüberzunehmen,
mir erklären. So fehr ich es bedauere, bei einem Mann
wie Hilg. das behaupten zu müffen, der fo viele Jahrzehnte
hindurch trotz aller Verkennung und vieler Mifs-
gunft fo unverdroffen und fo unabhängig an allen Fragen
der biblifchen Wiffenfchaft im weiteften Sinne mitgearbeitet
hat: bei feinem neueften Werke hat ihn die Be-
fonnenheit verlaffen; man hat weit mehr den Eindruck,
rafch zufammengeraffte Einfälle, eingewickelt in grofse
Maffcn leicht aufzutreibenden Stoffes, zu empfangen, als
wohldurchgeprüfte und folid fundamentirte Entdeckungen.

Die Eilfertigkeit tritt fchon im Aeufseren recht unangenehm
hervor. Die Druckfehler (falls es immer
folche find) find überaus zahlreich, befonders viel Un-
genauigkeiten in den vielen und langen Citaten. Auf S.
31, Z. 8 fchreibt er obtempcrat ftatt raret, läfst Z. 20 vor
fungitur ein vere aus; S. 32, Z. 5 lefen wir orta ftatt
exorta, S. 33, Z. 4 von unten ,tragen' ftatt ,haben'; S. 34,
Z. 26 epi. 75, 7 ftatt 17, Z. 35 disceptasset ftatt arct und
Z. 12 ift per b/xoiOTflevzov ein ganzer Satz Harnack's
ausgefallen. S. 36, Z. 12 ift epi. 68, 11 in 69, 11; Z. 22
p. 35 in 32, Z. 23 domini in dominus, Z. 25 f. monstraret
in manifeStaret, Z. 28 quod Petrus in quod fuit Petrus zu
verbeffern. S. 37 liefse fich über das enim Z. 9 ftreiten,
Z. 12 fchreibt der citirte Harnack ,bemerkenswerth' und
nicht ,beachtenswerth', Z. 29 wird Cyprian's epi. 55 und
nicht 58 herbeigezogen. S. 38, Z. 19 lefen wir praepa-
rati ftatt praepositi, Z. 36t. katholifchen ftatt katharifchen,
S. 39, Z. S f. ,Gefchichte der Gemeinden' ftatt ,Gefchicke
der Gemeinde'. Diefelbe Sorglofigkeit fcheint auch den
kritifchen Apparat unter dem Text des Uber de aleator.
S. 12—26 auszuzeichnen; z. B. behauptet H. zu S. 25,
Z. 20: M Q T läfen cleemosinis, während er bei Härtel
erfehen konnte, dafs die Lesart von Q T elimosinis ift.
Ich hätte überhaupt an Hilg.'s Stelle fo wenig wie Harn,
ein Variantenverzeichnifs gegeben; irgend eine neue Ver-
gleichung von Manufcripten über Härtel hinaus hat er
nicht vornehmen können, und dafs aus feiner Berück-
fichtigung der früheren Druckausgaben ein Nutzen für die
Textconftituirung erwachfen wäre, habe ich an keinem
Punkte bemerkt. Allerdings weicht Hilg.'s Text ftärker
von dem Harnack'fchen ab, als diefer von dem Hartel'-
fchen; auch von dem bei Miodohski gegebenen fcheidet
ihn Vieles; aber wo er nicht Vorfchläge von Wölfflin
oder Dombart adoptirt, bietet er doch blos Conjecturen.
Und diefe Conjecturen find zwar Beweife von Scharf-
finn, ein Paar darunter auch verlockend, wie S. 26, 4:
vatiens ut (ftatt et) Christianus und 2 Zeilen vorher: extrake
tignum inimici ab oculis tuis (ftatt caliginem), aber die
grofse Mehrzahl wird doch trotz des Stolzes, mit welchem
ihr Erfinder in feiner Zeitfchrift a. a. O. S. 508 f. fie gegen
Miodohski vertritt, wenig Beifall erlangen, z. B. S. 18, 9
dilecti minus insanabile ftatt des delicti der neueren
Herausgeber, indem dilectus = Chriftus fein foll oder S.
19, 6 daemou intrans litigiorum ftatt demonstrans litigiosum
oder vollends der Satz S. 15, 3—7 mit feinen 8—9 Abweichungen
von aller handfehriftlichen Tradition. Dafs
er bisweilen, namentlich wo er fich confervativer verhält,
gegenüber Miodohski im Rechte ift, fo gleich im Anfange
mit Ablehnung des ,multa et1 vor pnagna', 20, 5
mit Beibehaltung des quales sunt ftatt der Wölfflin'fchen
Conjectur quae Iis est, will ich gern hervorheben.

Noch weniger jedoch bin ich im Stande, dasjenige,
was Hilg. in den Adnotationes (S. 27—74) Eigentümliches
zur Erklärung und paffenden Unterbringung der
Schrift in der Literatur vorträgt und was er im Finis
(S. 75—77) kurz zufammenfafst, als haltbar anzuerkennen.
Dafs die Erfindung des Würfelfpiels in Cap. VII nicht
dem Palamedes, fondern dem Theuth-Hermes-Mercurius
i zugefchrieben wird, glaubt H. freilich nachgewiefen zu