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Ausgabe:

1890

Spalte:

489-495

Autor/Hrsg.:

Schroeder, Leop. v.

Titel/Untertitel:

Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung. Ein Cyklus von fünfzig Vorlesungen, zugleich als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlreichen, in deutscher Uebersetzung

Rezensent:

Bradke, Peter

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Hamack, Prof. zu Berlin, und D. E. Schürer, Prof. zu Kiel.

Ericheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

Nf± 20.

4. October 1890.

15. Jahrgang.

Schroeder, Indiens Literatur und Cultur in
hiftorifcher Entwicklung (v. Bradke).

Preifs, Religionsgefchichte (Derf.).
Atzberger, Die chriftliche Eschatologie (Oskar
Holtzmann).

Führer, Ein Beitrag zur Löfung der Felicitas-
Frage (Hamack).

Glubokowski, Der feiige Theodoret (Harnack).

Wippermann, Das Evangelium von Chrifto in
Hausandachten (Schloffer).

Lagarde, Ueber einige Berliner Theologen

(Kattenbufch).
Ritfehl, Die Sendung des Bifchofs D. Ritfehl

etc. (Derf.).

Lagarde, Befcheinigung über den richtigen
Empfang etc. (Derf.).

1. v. Schroeder Docent Dr. Leop., Indiens Literatur und I geartete Verhältniffe mit, fremdartig und uns doch nicht
Cultur in historischer Entwicklung. Ein Cyklus von fremd, die Grundlagen unfrer eignen Cultur. Der

fünfzig Vorlefungen, zugleich als Handbuch der in-
difchen Literaturgefchichte, nebft zahlreichen, in deut-
fcher Ueberfetzung mitgetheilten Proben aus indifchen
Schriftwerken. Leipzig, Haeffel, 1887. (VII, 786 S. 8.)
11 lt.—

2. Preiss, Dr. Hermann, Religionsgeschichte. Gefchichte
der Entwickelung des religiöfen Bewufstfeins in feinen
einzelnen Erfcheinungsformen, eine Gefchichte des
Menfchengeiftes. Leipzig, Maeder & Wahl, 1888. (VII,
548 S. 8.) M. 12.—

Ich möchte glauben, dafs nicht leicht ein vorzüglicheres
Bildungsmittel gefunden werden kann, als das
Betrachten fremder Länder und Völker. Nicht fowohl
eine Reife um die Welt in ein paar Monaten, wenngleich
auch fie über Manches orientiren und den intelligenten
Befchauer, der fich des Oberflächlichen und Zufälligen
feiner Eindrücke bewufst bleibt, das Eine oder Andre
lehren mag; fondern längeres Verweilen, ruhiges Schauen.
Auch mein' ich nicht das Leben unter ,Naturvölkern',
das Erkunden ihrer Art und Sitte. Soviel des Interef-
fanten dies auch bieten, foviel Neues dabei immer herauskommen
mag: als Bildungsmittel war' es doch gering;
ich meine das Weilen in einem Volke das, dem Volke
des Betrachtenden in der Cultur ebenbürtig oder überlegen
, fleh anders darfteilt, verfchieden denkt, empfindet.
Nicht fo verfchieden, dafs ein gewiffes Einleben in feine
Art zu lange Zeit erfordern würde; doch auch nicht zu
nah verwandt: denn was dem eigenen Sein recht ähnlich
und doch wieder anders ift, muthet leicht wie eine
Carricatur der eigenen Art an , — was nah verwandten
Nachbarftämmen unerfchöpflichen Stoff zu ihren Spott-
und Stichelreden giebt. Die gefchichtliche Entwickelung,
nicht feiten noch weifer als die weifen Männer und
Frauen, hat unvermerkt dazu geführt, dafs das Unter-
fcheidungsvermögen, das Urtheil unterer Knaben am
Lateinifchen und Griechifchen geübt, durch die Literatur
der Hellenen und Römer gebildet wird. Freilich lernt
man dabei diefe Sprachen nicht fertig plappern, was fich
mit modernen Sprachen leicht erreichen läfst; der arme
Junge lernt nicht einmal, über Alles und Jedes ,ein Urtheil
haben', was manchem Weifen befondere Trübfal
bereitet; doch wird er u. A. genöthigt, immer wieder
darauf zu achten, dafs der Ausdruck des Gedankens
hier und dort verfchieden ift, fein Denken wird, nach
dem Mafs feiner Jahre und Fähigkeiten, unabhängiger
von den angewöhnten Phrafen der geplapperten Rede, er
lernt die Sache und den conventioneilen Ausdruck un-
terfcheiden; er nimmt in's Leben den Einblick in anders

Theologe lernt die Gefchichte und die Vorgefchichte
des Evangeliums kennen, durch die Behandlung des Alten
Teftaments wird ihm eine religiöfe Entwickelung
erfchloffen, auf deren Boden das Evangelium die erften
Wurzeln treiben follte und die uns ihrer Art nach doch
fchon fern fteht; fo fieht er fich gleichfam in der Stadt
um, der fein Wirken gelten foll, — und auch die Vor-
ftadt bleibt ihm nicht fremd. Wer fich über die Grö-
fsenverhältniffe und Mafse einer Stadt orientiren will,
thut aber gut, feinen Standort auch einmal auf dem
freien Felde, auf einem Hügel des Gebiets zu nehmen;
da ragt ihm der Dom auch über die ftolzeften Paläfte
empor, — und Manches, was in engen Gaffen grofs er-
fchien, ift jetzt, im Meer der Giebel und Dächer, ver-
fchwunden. — Auch rückt die Welt immer enger zu-
fammen. Wer an abgelegenem Orte wirkt, braucht freilich
nicht zu wiffen wie's draufsen in der Welt hergeht;
aber wo find denn noch die weltfernen Orte: führt die
Eifenbahn nicht hin, fo bringt doch der papiereneBote neue
Kunde und mancherlei Beunruhigung. Ich meine nicht
dafs der junge Theologe, dafs der Paftor über alles
Mögliche Befcheid wiffen foll, was der Tag ihm einmal
bringen mag; wir zerfplittern uns wahrlich genug und
übergenug! auch kann die Bildung, die P"ormung des
Geiftes das nicht geben. Sie kann aber, und foll uns
wie ich glaube, dazu fähig machen, dafs wir uns auch
im Fremden leichter zurechtfinden, dafs wir es nicht
gleich von der Hand weifen noch auch wie Kinder nach
dem Neuen greifen, fondern es ruhig betrachtend prüfen.
Und woran liefse fich das beffer üben als an folchen
Entwickelungsreihen, an denen unfer Leben keinen Theil
hat, an die wir ohne Gunft und Hafs herantreten dürfen?
Freilich wird auch daran nur derjenige wirklich etwas
lernen, der nicht gleich ein Urtheil haben, nicht die
fertige Rede nothwendig an den Mann bringen mufs,
vielmehr die neuen Bilder mit grofsen flillen Augen aufzunehmen
noch im Stande ift. Natürlich würde fich's
auch hier befonders um die Gefchichte alter Culturvöl-
ker handeln, die eine reiche religiöfe Entwickelung gehabt
haben. Die Gefchichte der europäifchen Völker
und des mittelländifchen Afien ift ja, in höherem oder
geringerem Mafse, unfere Gefchichte, — die religiöfe
Entwickelung des Volkes Ifrael hat für uns noch heute
— um mich journaliftifch auszudrücken — ,actuelles' In-
tereffe; China ift uns wiederum zu fern und fremd. So
fcheint es am Gerathenften, beim Studium der Religionsgefchichte
von der indo-perfifchen Entwickelung auszugehen
, — Entwickelungsreihen die auf unfere Gefchichte
verhältnifsmäfsig wenig bedeutend eingewirkt haben, und
unferer Weife doch nicht fo fremd find dafs fie dem Ver-
ftändnifs übergrofse Schwierigkeit entgegenfetzen. An

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