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Ausgabe:

1890

Spalte:

482-483

Autor/Hrsg.:

Birkenstaedt, H.

Titel/Untertitel:

Ewige Wahrheit in der Sprache der Zeit. 2. Folge. Der Glaube im Leben und das Leben im Glauben. Eine Herz- und Hauspostille 1890

Rezensent:

Wächtler, August

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Theologifche Litera.urzeitung. 1890. Nr. 19.

462

zeigt fich in feinem nicht häufigen, aber durchaus zweck- I Man wird nach alledem diefe gehaltvollen, form-
entfprechenden Citiren von Dichterverfen und gefchicht- fchönen Predigten mit reicher religiöfer Erbauung und
liehen Zügen, in feinem gefchickten Anknüpfen an der wachfender Hochachtung für den Verf. lefen. Derfclbe
Gemeinde näherftehende&Perfonen und Zeitereignifse erweift fich als hochgebildeter Theologe mit fehr mafs-

(z- B. S. 115 das Grab Ludw. Richter's, S. 43 den Geburtstag
Bach's, S. 140 die vaterländifchen Fefttage, S. 141 die
B-rholungsreifen).

Die Sprache ift, und zwar gewifs dem Zuhörerkreife
entfprechend, mehr edel-vornehm im beften Sinne des
Mortes, als anfehaulich-kräftig, mehr eine ruhig entwickelnde
als eine lebhafte, frei von aller falfchen Rhetorik
, fowohl von leeren Worten als von überflüffigem
Schmucke, aber klar, in ihrem wahrhaften, würdigen Gepräge
durch feine, treffende, oft eigenthümlich fchöne
Wendungen und Bilder fehr anziehend. Von vielem Be-
rnerkenswerthen dürfen wir nur den Ausdrucks. 53 u. bezüglich
des Paradiefes der Kindheit herfetzen: ,wundcrbare
Morgenfrifche des erften Erwachens der Gaben und
Kräfte'. Eine ganz andere Seite des Kinderwefens hebt
S. 74 das Wort ,Windeltyrann' fcharf hervor.

Die Darftellung entfpricht dem tief-chriftlichen, ge-
fchickt und nach allen Seiten hin mafshaltend in die
Gegenwart hereingreifenden Inhalte. Pofitiv gläubig, feft
in der Schrift gegründet, ein Mann warmer Frömmigkeit,
guter Lutheraner (vgl. z. B. S. 26), aber ohne Schroffheit,
mit freiem, weitem Blicke auf die geiftigen Strömungen
der Gegenwart, tritt der Verf. entfehieden gegen den
Unglauben und Halbglauben auf, bewahrt fich aber ein
fehr befonnenes, wohlwollendes, das Berechtigte anerkennendes
Urtheil. Man vgl., was er S. 35 über den
Kampf gegen das Judenthum, S. 39 über die vielen
Selbftmorde in Sachfen fagt. Das Thema S. 127: ,Willft
du ein feftes Chriftenherz, fo halte an der reinen Chri-
ftenlehre' — kennzeichnet feine theologifche Stellung.
Diefe ganze Predigt mit ihrer trefflichen, einfachen ana-
lytifchen Disposition ift ganz befonders zu empfehlen,

In diefem Predigtjahrgang find die alten Perikopen
nur zum Theil als Text benutzt, für die meiften Predigten
find freie Texte gewählt. Einige Male hat der
Verfaffer auch mehrere Texte einer Predigt zu Grunde
gelegt. Wenn dies fchon überhaupt homiletifch bedenklich
ifl, infofern dadurch der Text nicht zum Ausgangspunkt
der Predigt, fondern zum Anhalt- und Stützpunkt
der ohne den Text fchon vorhandenen Predigt wird, fo
ift es doppelt bedenklich, wenn die Gedanken der Predigt
künftlich zufammengelefen find und diefe fe'.blt
mehr zu einem religiöfen Vortrag als zu einem Zeugnifs
evang. Wahrheit wird. Durch Zufammenffellung von drei
Texten am Sonntag Laetare (Luc. 22, 54—62, Marci 16, 7
und Joh. 21, 15—17) bringt es der Verfaffer fertig, unter
dem Thema: ,Die Paflionsfchule des Petrus' t. den Char-
freitagsblick, 2. den Oftergrufs und 3. die Pfinglffrage zu
behandeln. Am Sonntag nach Neujahr nimmt er aus
den Texten Pfalm 90, 5 und Joh. 7, 38 das Thema: Der
heiligejordanffrom (!) ein Bild des Chriftenlebens, I. Quelle,
2. Lauf, 3. Mündung. Beffer hat es uns gefallen, dafs für
ebenfo"Nr. IV, XI, XV. "Der Verf. lieht fehr wohl die j einzelne Khchenjahrszeiten Gruppen von Predigten zuvoll
befonnenem Urtheile, der evangelifche Entfchieden-
heit mit echt chriftlicher Milde und Weitherzigkeit zu
vereinigen weifs.

Friedberg. Diegel.

Birkenstaedt, Hauptpaft. H., Ewige Wahrheit in der Sprache
der Zeit. 2. Folge. Der Glaube im Leben und das
Leben im Glauben. Eine Herz- und Hauspoftille.
Flensburg, Weftphalen, 18S9. (VI, 620 S. gr. 8.) M.6.6b;
geb. M. 8. —

Schäden der ev. Kirche, aber er verzagt nicht und freut , fammengelfellt find. So in der Epiphaniaszeit, unter Berich
ihrer hohen Vorzüge (z. B. S. 200), fovvic ihrer
Glaubens- und Geifteseinheit trotz aller Zerriffenheit (S.
209). 2090b.: ,im Feuer der Gegenfätze mufs die evangelifche
Wahrheit fich läutern und bewähren'. Er tadelt
das Liebäugeln mit der katholifchen Kirche und die
kleinmüthigeSehnfucht nach ihrem Satzungsjoche (S. 192);
aber er will in gutem Frieden mit den Katholiken leben
(S. 208, 160). S. 194 fagt er: ,der Glaube unferer Kirche
hat viele unbewufste Freunde in der katholifchen Kirche'
(vgl. S. 208).

Dagegen heifst es S. 183 u.:.....,das Babel, das

Gewirr der verneinenden und auflöfenden Geifter, der
unferen evangelifchen Glaubensgrund zerfetzenden Richtungen
eines bekenntnifslofen Proteftantismus, der nicht
blofs gegen die römifchen Irrthümer, fondern auch gegen
die evangelifchen Wahrheiten proteftirt, und feine Kraft
vielmehr in dem fucht, was er nicht glaubt als was er
glaubt, der mit ohnmächtigem Proteft wider Rom eifernd
doch gerade erft recht ihm Thor und Thür öffnet'. Sehr
richtig wird man auch S. 184 u. bezüglich der guten
Werke, auf welche fich Taufende von Durchfchnitts-
proteftanten fteifen, den Zufatz finden: ,die fie freilich
oft genug erft noch thun follen'. Man vergleiche auch
S. 26 u. die Stelle über ,die Uebel der Glaubensmengerei,
der Gleichgültigkeit und des Indifferentismus' (vgl. 208 u.).

Doch diefe polemifchen Stellen erfcheinen mit Recht
nicht häufig. Die Gefammthaltung ift eine pofitiv-erbau-
liche. Mit welcher liebenswürdigen Milde und Hoffnung

nutzung der evangelifchen Perikopen: I. Jefus Chriltus,
der Leitftern am Morgen des Lebens, 2. der Schirmherr
in den Freuden des Lebens, 3. der Tröfter in den Leiden
des Lebens, 4. der Sturmltiller in den Stürmen des Lebens,
5. der Erzieher in den Irrungen des Lebens — bei diefem
Thema wird fchwerlich jemand den Text vom Unkraut
unter dem Weizen vermuthen und noch viel weniger
die Ausführung, dafs der Herr als Erzieher uns warnt
1. vor hochmüthiger Kirchenflucht, 2. vor trägem Kir-
chenfchlaf — 6. der Erquicker auf den Höhen des
Lebens. Weniger treffend find die Unterfcheidungen,
welche der Verf. in vier Predigten über das Gleichnifs
vom vielerlei Acker (vor den Falten) vornimmt: 1. die
oberflächlichen Marktmenfchen, 2. die flachen Gefühlschriften
, 3. die unlautern Sonntagschriften, 4. die empfänglichen
Jüngerherzen. Sonft findet fich in den 67
Predigten noch manche anfprechende Anordnung und
Eintheilung. Dem Inhalt gebührt die Anerkennung, dafs
der Verf. unermüdlich beltrebt ift, feine Zuhörer in das
Heiligthum der vollen evang. Wahrheit einzuführen. Der
Anfpruch, welchen der Titel der Sammlung erhebt,
richtet die Aufmerkfamkeit vornehmlich auf die formale
Seite. Dafs er ,die ewige Wahrheit in der Sprache der
Zeit' verkündige, mufs jedes evang. Predigers unerläfs-
liche Aufgabe und unabläffige Arbeit fein. Wer möchte
denn wohl ,in abftracter theologifcher Schulfprache, oder
in der asketifchen Sprache früherer Jahrhunderte' reden,
und nicht vielmehr mit dem Verf. ,in der anfehaulichen

wird S. 25 von denen gefprochen, .welche mitten in der Bilderfprache des Volkes und der Gegenwart?' Welche
Kirche Chrifti ihm noch ferne find!' Mit grofser Wärme Schwierigkeiten dabei zu überwinden, und welche Gewird
Chriftus verkündigt (z. B. S. 302 f.) und auf die fahren auch dem geübten Redner noch drohen, ift be-
Grundlehren der evangelifchen Kirche von der Gnade kannt und wird auch durch diefe Predigten genugfam
und dem Verföhnungstode ,als dem innerften und tiefften dargethan. Aber fo gewifs der Leib mehr ift als die
Geheimnifse unferes ganzen chriftlichen Glaubens' hin- Kleidung, fo bedeutet auch .Sprache der Zeit' mehr als
gewiefen (S. 64, 67). anfehauliche Bilderfprache und ftellt noch weit höhere