Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1890 Nr. 19 |
Spalte: | 479-480 |
Autor/Hrsg.: | Neander, Aug. |
Titel/Untertitel: | Der heilige Bernhard und sein Zeitalter. 2 Teile 1890 |
Rezensent: | Harnack, Adolf |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 19.
480
blicken auf die modernen philofophifchen Syfteme und
deren Behandlung der im Titel diefes Buches bezeichneten
Fragen wie z. B. S. 7. 44 f. 59 f. 64. 71 u. a. Die
letzteren in den häufigen Beziehungen auf die über die
mittelalterliche jüdifche und arabifche Philofophie vorliegenden
Studien von Kaufmann, Guttmann, Steiner,
Rofin, Joel, Dieterici, Frankl u. A. Doch zeigt fich, dafs
der Verf. daneben auch ein felbfländiges Verhältnifs zu
den Quellen zu gewinnen bemüht gewefen ift, aus denen
er zahlreiche Citate in deutfcher Ueberfetzung giebt. Am
befriedigendften find die Ausführungen des 2. Theils, in
welchem der Verf. nacheinander Saadja, Jofeph ibn Zaddik,
Jehuda Halevi, ibn Daud und Maimonides behandelt.
Weniger gelungen ift der erfte Theil, in welchem ein
zerfplitterter und oft fehr disparater Stoff zufammenge-
fafst ift. Schärfer müfste hier betont werden, dafs für
das A. T. die Frage der Theodicee im Wefentlichen nicht
auf das Vorhandenfein des Uebels im Allgemeinen geht;
denn dafs die Gottlofen Uebel erleiden, findet das A. T.
ganz in der Ordnung. Der Anftofs liegt hier lediglich
im Leiden der Gerechten. — Die Betrachtungen über die
allgemeine Mangelhaftigkeit der Welt rühren erft von
den Einflüffen griechifcher Philofophen her. — Auf p. VII
waren auch die Stellen 2 S. 24, I; 1 S. 16, 14 f.; 1 K. 22,
19—23 zu berückfichtigen. Nach S. 1 fcheint der Verf.
Gn. 1 zur älteften israelitifchen Literatur zu rechnen, wie
S. 20 das Johannesevangelium zur älteften chriftlichen,
welches beides ein grofser Irrthum fein würde. — Der
judäifche Krieg wurde nicht zur ,Vertheidigung der
väterlichen Lehre' (S. 21), fondern zur Befreiung von
einem unmenfchlichen Druck unternommen. — Der
Talmud ift etwas kurz davon gekommen, S. 31—33. —
Das Druckfehlerverzeichnifs am Schlufs ift nicht er-
fchöpfend: vgl. S. 110 transcedcnt; S. 46 ov vnaQ-/ßi ftatt
ov% v. u. dgl.
Jena. C. Siegfried.
Neander, Aug., Der heilige Bernhard und sein Zeitalter. Mit
Einleitung und Zufätzen v. D. S. M.Deutfch. 2 Teile.
Gotha, F.A.Perthes, 1889/90. (XXVII, 297u.III, 292 S.
8.) geb. ä M. 2.40.
Unter den kirchenhiftorifchen Monographien Nean-
der's ift die über den h. Bernhard die bedeutendfte.
Man darf fie geradezu epochemachend nennen; denn, in
I. Auflage im J. 1813 erfchienen, begründete fie innerhalb
der zünftigen Kirchengefchichtsfchreibung die Betrachtung
des kirchlichen Mittelalters, welche noch bis
heute die herrfchende ift, und löfte jene Verurtheilung
ab, die im Mittelalter nur Barbarei und in Männern wie
Bernhard nur ,geiftliche Schufte' und dumm-kluge Heuchler
zu erblicken vermochte. In mehr als einer Hinficht
war Neander zum Biographen Bernhard's befonders geeignet
. Seiner politifchen Bedeutung ift er allerdings
nicht gerecht geworden; aber obgleich in der Zwifchen-
zeit viel über Bernhard und fein Zeitalter gefchrieben
worden ift, fo ift, wie Deutfch (p. XXIII) mit Recht fagt,
Neander's Arbeit im Ganzen genommen nicht überboten
oder gar überflüffig gemacht worden. Es war daher ein
guter Gedanke, diefer Monographie in der ,Bibliothek
theologifcher Klaffiker' eine Stelle zu geben. Die Verlagshandlung
und die Lefer aber können fich gratuliren, dafs
Deutfch die Neuherausgabe des Werks übernommen
hat; denn unter den proteftantifchen Kirchenhiftorikern
war er der berufenfte. Seine Monographie über Abälard
bezeichnet- unzweifelhaft den ficherften Fortfehritt, den
die kirchenhiftorifche Forfchung auf dem Gebiete der
Gefchichte des 12. Jahrhunderts feit Neander gemacht
hat. Bei der Herausgabe ift Deutfch fo verfahren, dafs
er nach einer ausführlichen Einleitung über Neander,
über deffen Bernhard-Monographie und den gegenwärtigen
Stand der Bernhard-Forfchungen, den Text Neander's
— kleine, übrigens ftets angemerkte Streichungen abgerechnet
— treu wiedergegeben, denfelben aber mit zahlreichen
Noten begleitet hat. Diefe Noten reinige Male
find auch in den Text felbft Ausführungen aufgenommen
worden, f. befonders I S. 22—30 u. II S. 64—68)
verfolgen den doppelten Zweck, erftens offenkundige
thatfächliche Fehler Neander's auf Grund der neueren
Forfchungen zu berichtigen, zweitens den Lefer überall,
wo es nöthig fchien, auf diefe neueren Forfchungen zu
verweifen und den Stand derfelben zu präcifiren. Die
umfaffende Kenntnifs der politifchen Gefchichte und der
Gefchichte der Theologie des Zeitalters, welche Deutfch
befitzt, hat fo auf knappftem Räume die Monographie
Neander's zu einer Monographie aus dem j. 1889
umgebildet, fo weit das im Rahmen des alten Textes
möglich war (f. Bd. I S. 13. 33. 38. 50. 90 ff. 93 f. 96 f.
106. 108. iiof. 112. 115 f. 125. 130h 153. 163. 164h 165 f.
180. 185. 192. 204. 208. 218. 258. 264. 277. 289. II, 1 f.
10. 50 f. 55. 56. 69. 70. 71. 84. 93. 113. 132. 142 f. 233 f.
253). Die Zwiegefpräche mit Neander zeigen nicht feiten,
dafs Deutfch anders urtheilt als Neander, und legen den
Wunfeh nahe, der Herausgeber möge uns mit einer
eigenen Monographie über Bernhard befchenken.
Berlin. A. Harnack.
Meier, Superint. Confift.-R. Dr. Ernft Julius, Dein Wort ist
meines Fusses Leuchte. Predigten. Leipzig, Teubner,
1886. (VI, 211 S. 8.) M. 6. —
Leider durch befonders unglückliche Verhältnifse
fehr verfpätet erfüllt Unterzeichneter die angenehme
Pflicht, obenbezeichnete fünfzehn Predigten des jetzigen
Oberhofpredigers in Dresden zu befprechen. Da für die-
felben weit mehr noch wegen ihres hohen Werthes als
wegen der Beftimmung ihres Reinertrages zum Beften
des Kirchenbaufonds in Piefchen bei Dresden neue Auflagen
zu erwarten find, und da wir die Anzeige eines fo
ernft-chriftlichen Buches nicht mit Hinweifung auf einen
recht komifchen Druckfehler, der doch unferen Lefern
ein kleines Vergnügen bereiten foll, fchliefsen mögen:
fo fei hier nebenbei das Wegbleiben des Textes S. 15
fowie der Zahl 16 S. 42, namentlich aber bemerkt, dafs
S. 48 die bekannte Schriftftelle wiedergegeben wird: ,die
Väter haben Sperlinge gegeffen'. Im Allgemeinen find
Druck und Ausftattung recht forgfältig und fchön.
Beides gilt in noch höherem Grade von dem Inhalte,
und zwar um fo mehr, je fchärfer man ihn prüft. Der-
felbe zeichnet fich weniger durch einzelne, fogleich fcharf
in die Augen fallende Vorzüge aus, als durch die eben-
mäfsige Vereinigung vieler Vorzüge. Es eignet diefen
Predigten weniger körnige Volksthümlichkeit, als grofser,
feiner Gedankenreichthum in edler Form, weniger befonders
bündige, als finnreiche, wohlüberlegte Faffung
der Partitionen. Nur einmal fcheint auch hier, wie man
es bei Anderen häufig findet, ebenmäfsig-fchöner, knapper
Form der Ankündigung die Ausführung nicht genau zu
! entfprechen, nämlich bei den Theilen der neunten Predigt:
: 1) die Verheifsung des Geiftes, 2) der Geift der Ver-
heifsung — als Ausführung des Thema's: der Pfingfttroft
der Kirche zu allen Zeiten. Den Thematen oder doch
den öfter von diefen unterfchiedenen Ueberfchriften im
Regifter mufs Klarheit und Schönheit der Form, fo wie
Hinweifung auf fowohl tiefchriftlichen als praktifch wich-
' tigen Inhalt nachgerühmt werden. Scheinen auch bei
dem erften Blicke Thema und Text zuweilen nicht die
ganze Predigt völlig zu beherrfchen, fo erweifen fich
doch die Dispofitionen bei genauer Prüfung meift als
fehr gefchickt analytifch-fynthetifche, gleichermafsen zu
richtiger Benützung des Textes wie zu befriedigender
Erledigung des Gegenftandes wohlgeeignet. Auch andere
Schriftftellen werden am rechten Orte trefflich angeführt.
Man erkennt überhaupt in dem Verf. einen wie homi-
letifch fo in jeder Beziehung wohlgebildeten Mann. Das