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Ausgabe:

1890 Nr. 19

Spalte:

471-473

Autor/Hrsg.:

Fricke, Gust. Ad.

Titel/Untertitel:

Der paulinische Grundbegriff der dikaiosyne theon 1890

Rezensent:

Weiffenbach, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 19.

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deffen halten, was nach allgemeinen kritifchen Grund-
fätzen möglich ift. Sonft möchte die Kritik dem Zauberbanne
diefes Buches denfelben Zoll abtragen, welchen
die alte Erklärung gegeben hat, die alles als Weisfagung
für fich deutete und alles auf das genauefte wiffen wollte.

Tübingen. C. Weizfäcker.

Fricke, Geh. Kirchenr. Prof. D. Gufl. Ad., Der pauli-
nische Grundbegriff der 6ixaioaxvn &eoi u. f.w. Leipzig,
Böhme Nachf., 1888. (IV, 75 S. gr. 8.) M. 2.—

Ref. bekennt, dafs er diefe Abhandlung, in der alt-
fächfifche philologifch-grammatifche Schulung und Ge-
lehrfamkeit und exegetifcher Gewiffensernft fich glücklich
paaren, und an der befonders auch der höflich-liebenswürdige
Ton der Polemik fehr wohlthut, mit hoher
Befriedigung und auch mit innerer Zuftimmung zu den
wefentlichften Punkten des Refultates gelefen hat.
Er kann daher diefe ausgereifte Frucht langjähriger
treuer exegetifcher Arbeit und eines die Sache tief an-
faffenden biblifch-theologifchcn und dogmatifchen Nachdenkens
nur auf's angelegentlichfte dem forgfältigen
Studium der ev. Theologen empfehlen. Gilt die Abhandlung
ja doch der Unterfuchung der wichtigflen Be-
weisfielle (Rom. 3, 21 ff.) für den articulus stantis et ca-
dentis ecclesiae, und verdienen daher fchon aus diefem
Grunde die Fricke'fchen Refultate forgfamfte Prüfung.
Uebrigens läfst der Verf. auch auf eine Reihe anderer
neuteftamentlichen Stellen (vgl. Vorwort) recht interef-
fante und — felbft wo man ihnen widerfprechen mufs —
die Auslegung fördernde Schlaglichter fallen. Fricke
hat feine Arbeit, die zunächft, wenn auch mehr äufser-
lich, durch das Bedürfnifs einer Auseinanderfetzung
(vgl. S. 1—6 und dann eingehender S. 6— 13) mit den
damals drei letzten Commentaren über den Römerbrief
(Beck, Böhmer, Otto) veranlafst ift, fo angelegt, dafs er:
1) die Auffaffungen der genannten Exegeten (möglichft
mit deren eigenen Worten) fkizzirt und diefelben widerlegt
(S. 6—13), 2) dann feine eigene Auslegung der Stelle
folgen läfst (S. 13—74), 3) endlich in wenigen Sätzen die
Refultate feiner Unterfuchung zieht (S. 74—75). Bei Ent-
wickelung feiner eigenen Auslegung giebt der Verf.
a) den Zufammenhang und das Thema der Stelle an
(S. 13—32), um dann b) den Aufbau und die Gliederung
von Rom. 3,21—26 darzulegen und das Einzelne genau zu
erörtern (S. 32—74). Eingefprengt find der Exegefe einige
fehr beachtenswerthe exegetifche Excurfe fowie einige
längere biblifch-theologifche und dogmatifche Erörterungen
, fo z. B. der Excurs über den genauen Begriff der
paulinifchen ,dr/.aioatvr} tteof' (S. 17—28), die Unterfuchung
über die ,do|« tov trenv' (S. 45—47), welche
Fricke in uns doch nicht überzeugender Weife rein
eschatologifch als ,die verklärende Erlöfung, die
Gottes ift, in feiner Hand ruht und durch den Glauben
an Chriftus uns bei der Parufie vermittelt werden foll',
deutet — ferner Erörterungen über die avnylt tov treoü
(S. 63 f.) und das Wort ilaaTrqiOv (S. 61—65), fodann
eine fehr treffende und beachtenswerthe dogmatifche
Erörterung über die justitia forensis per solam fidem und
deren idealen Kern (S. 28 — 31), endlich eine, wie man
fich dazu auch ftelle, jedenfalls hochintereffante dogmatifche
Betrachtung über den Gedanken der satisfactio
vicaria und deffen Vollziehbarkeit, ja Nothwendigkeit

(s. 52—55).

Was nun Fricke's Refultate betrifft, fo find diefelben
exegetifch fo gründlich motivirt und forgfältig erhoben,
dafs wir uns diefelben in allen wefentlichen Punkten aneignen
können. Die öi/.ainavvrj Qsov ergiebt fich ihm
als ,die Gerechtigkeit des Menfchen (das behufs
Sündenvergebung und Zuwendung der Seligkeit, fanf,
Fürgerechterklärtwerden), welche Gottes Gerechtigkeit
ift, weil nur Er ihr Eigner ift {gen. poss.) und

folgedeffen nur Er fie giebt und geben kann'
(S. 26); jeglicher Gedanke einer justitia infusa oder
just, inhaerens oder einer ,Gerechtigkeit Gottes, die als belebende
Gotteskraft heilskräftig in den Menfchen
eingeht' (Beck, vgl. S. 8u.ö.) und andereethifirende Faf-
fungen find bei exegetifch-genauer Definition des fraglichen
paulinifchen Terminus unbedingt auszufchliefsen.
Die fubjective Aneignung diefer ,ganz nur Gottes
feienden und in Gott ruhenden Gerechtigkeit des
Menfchen' (S. 28), diefes in fich allein gründenden und
fertigen ,Gotteswillens' (S. 74) gefchieht otd Titg nimeiog,
d. i. durch das felber auf der zuvorkommenden Gnade
ruhende .freie Ergreifen der Gnade' (S. 30). Sie, die
nionc, ift das fubjective und principiell ethifche Moment,
wodurch die höchfte Objectivität der in fich felbft
ruhenden göttlichen Gnade zur tiefften — in einer
gottgewollten Eigenthat des Menfchen ruhenden —
Subjectivität wird, oder fie ift ,die Erwiderungsthat des
Menfchen für die empfangene Gnade und (für die) Kraft
derfelben' (S. 30. 74 u. ö.).

Diefe durch den Glauben (nicht: um des Glaubens
willen) gefchehende Aneignung der auf fchlechthin
göttlicher Initiative ruhenden Gnade ift wegen der
aus der allgemeinen Sünde flammenden allgemeinen fitt-
lichen Ohnmacht (vgl. v. 23) auch nothwendigerweife eine
allgemeine (Fr. lieft in v. 22 mit Recht elg nüviag xai
sni 71 cl vtag t.7t.). Die Sündenthat der Gefammtheit aber
und deren Schuldfolge erfordern nothwendig eine ent-
fprechende That der Sühne, welche durch Chrifti er-
löfend-verföhnendes Leiden und Sterben geleiftet wurde
(vgl. v.24f.: wie fie denn, sc.die ndvxeg, gefchenkweife für
gerecht erklärt werden durch feine Gnade vermitteln! der
in Chr. J. beftehenden — ftellvertretenden — Loskaufung
, welchen, sc. J. Chr., Gott als fühnend —
laozigiov fafst Fr. als adj. — durch Vermittelung des
Glaubens vor aller Augen hingeftellt hat in feinem
Blute). Bei v. 25 b und 26 weift dann Fr. noch nach,
wie diefe uoo'&saig ev aYiictTi gefchah zum Zweck des
Erweifes der Gerechtigkeit Gottes (dir., ireov hier als
Eigenfchaft Gottes sensu distrib) wegen feines Vor-
beilaffens der vorher begangenen Sünden vermöge der
Langmuth Gottes'. Die aiiagzipicaa 7rgoyeyov6ia find
die vor Chriftus von Juden und Heiden begangenen
und vermöge der Langmuth Gottes — ev ctj ävoyfj tov
t>soi: ift, als innerer Grund davon, enge mit rtaqeaiv
zufammenzunehmen — fcheinbar ohne Sühne vorbei-
gelaffenen Verfündigungen, welche, da bis Chriftus die
volle Sühne fehlte, fcheinbar Gottes Strafgerechtigkeit
in Frage Hellten. Aber auch nur fcheinbar. Denn,
wie v. 26b {icqng xrv trdeijziv — ix niateiag) beifügt, das
j ganze durch das ,6V 7rgne0-exo — ävoyfj r. d'sov' cha-
! rakterifirte Thun Gottes hatte ja nur den letzten End-
j zweck, Gottes(fühnende)Gerechtigkeit in der feit Chrifto
I laufenden weltgefchichtlichen Periode in ein um fo glänzenderes
Licht zu ftellen. Jenes Thun Gottes follte: a)
aufzeigen (zr^dckvdeigiv) feine (ftrafende, bezw. in Chrifti
[ Leiden und Sterben ftellvertretend-fühnende) Gerechtigkeit
in der jetzt, d. i. feit der Erfcheinung des fühnen-
j den Chriftus, laufenden Zeit pe ri ode (vgl.S. 70), es follte
b) das Verhältnifs conftituiren, dafs Gott fei gerecht
| (ethifche Eigenfchaft) und (zugleich) ein Fürgerechterklärer
des aus dem Glauben (Fr. ftreicht jrpov als ab-
fchwächenden fpäteren Zufatz) Kommenden. Hiermit ift
,die den Ueberblick des Ganzen zufammenfaffende Höhe*
erreicht (S. 72).

Der eigentliche Werth der Fricke'fchen Abhandlung
i befteht in der exegetifch fchärfften, von keiner dogmatifchen
Rückficht beeinflufsten, Herausftellung der in Rede
flehenden grofsen paulinifchen Gedankengänge und ihrer
I einzigartigen Herrlichkeit und in dem Ernft, womit er
I jeder Alterirung derfelben wehrt. Auch diejenigen, welche
nicht allen dogmatifchen Erörterungen des Verf.'s, z.B.
I über die satisfactio vicaria, zu folgen vermögen, werden