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Ausgabe: | 1890 Nr. 18 |
Spalte: | 459-460 |
Autor/Hrsg.: | Pfleiderer, Edm. |
Titel/Untertitel: | Erlebnisse eines Feldgeistlichen im Kriege 1870/71 1890 |
Rezensent: | Köstlin, Heinrich Adolf |
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Theologifche Literaturzeitung. 1890 Nr. 18.
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entfalten würden. Dem Verfaffer fcheint ein folches i licher in dem denkwürdigen Kriegsjahre erlebt und, darf
Unternehmen nicht ausfichtslos, zumal wenn er daneben
den Blick in die Ferne wendet. ,Unfere Väter haben
unfer geistliches Brot übers Meer nach dem freien Amerika
getragen. Dafelbft fcheint ungehemmt von ftaatlicher
Vormundfchaft (vgl. Klagen überBureaukratie und Staatsmechanismus
S. 14. 22. 72) die lutherifche Kirche in alter
Kraft und neuer Blüthe fich zu entfalten. Und fchon be-
ich als Amtsgenoffe des Verf.'s aus eigener Anfchauung
heraus hinzufügen, geleiftet hat. Es ift in erfter Linie
der Reiz des perfönlich Erlebten und Erfahrenen, der
das Büchlein zu einer willkommenen Leetüre für Alle
macht, die das grofse Jahr noch nicht vergehen haben,
wie leider fo Manche, der es befonders zur Anfchaffung
für alle Volks-, Haus- und Kafernenbibliotheken in herginnt
unfer Brot zu uns von dort übers Meer zurückzu- 1 vorragendem Mafse empfiehlt. Nach der damaligen
kehren mit Zinfeszins' (S. 67). Diafporathätigkeit alfo i württembergifchen Organifation der Feldpaftoration be-
in der eigenen Kirche und Hülfe von N.Amerika! Wagt ! fafs jede Feldbrigade ihren Geiftlichen; derfelbe war
man wirklich in der lutherifchen Kirche nichts Befferes ! mit nur einem Pferde ausgerüftet, entbehrte des Wagens
zu hoffen? Der zweite Vortrag lieft fich wie eine und aller fonftigen Bequemlichkeit, und war fchon da-
fchmerzliche Begründung folcher Hoffnungslofigkeit. Der- durch darauf angewiefen, fich bei, oder beffer gefagt, in-
felbe giebt in knappen Zügen eine Darfteilung des älteren : mitten der Truppe aufzuhalten, Freude und Leid, wie
Pietismus. Ueber manche Einzelheiten, wie über die I alle Arten von Strapazen mit dem ftreitbaren Krieger
Vorwürfe, die Spener, und das Lob, welches Löfcher 1 zu theilen. Es find fomit nicht Betrachtungen von oben
erfährt, liefse fich hier mit dem Verf. rechten. Aber nur herab, fondern Erlebnifse aus der Mitte des ,Volkes in
auf einen Widerfpruch möchte ich mir erlauben, ihn auf- j Waffen' heraus, Erfahrungen, Gedanken, Stimmungen
merkfam zu machen. Er fchildert die alte Orthodoxie
in hellen Farben. ,Die Bewahrung der Lehre ift in der
That die erfte Aufgabe der chriftlichen und kirchlichen
Treue. Wo fie geübt wird, da erfüllt fich gewifslich das
Wort des Herrn: wer da hat, dem wird gegeben'
(S. 34). Weiterhin aber lieft man: ,Das Zeitalter der
Rechtgläubigkeit hat zwar die Bekenntnifswahrheit nicht
überall erfahrungsgemäfs völlig verstanden, aber fie
dennoch in zäher Treue festhalten wollen' (S. 50). Und
vollends: ,es war eine Krankheit, wenn die Orthodoxie
alles Gewicht allein auf die Lehre, auf die Objectivität
legte' (S. 57). Alfo fchon für die Tage der ,Väter' fleht
der ,Abfall' feft. Wenn aber wirklich in der Concordien-
formel ,der volle Strom des lebendigen, ebenfo fchrift-
wie erfahrungsgemäfsen Glaubens fluthet', fo ift wenigstens
mitten aus der bewegten Action heraus, die wir zu lefen
bekommen, ein Stück des Ganzen in der Farbe des perfönlich
Durchgemachten, der grofse Krieg in ganz eigenartiger
, individueller Beleuchtung. Aber es ift eben trotz
alledem der ,Geistliche', der hier, nachdem der freiwillige
Dragoner', der freiwillige Jäger', der ,württembergifche
Feldfoldat', der ,Krankenpfleger' u. a. gefprochen, das
Wort ergreift, und die Spiegelung der grofsen Zeit mit
den gewaltigen Anforderungen, die fie stellte, im Gemüth
des Theologen darf fchon an und für fich auf das In-
tereffe aller rechnen, die den Dienst am Wort treiben
dürfen, zumal uns hier vor Augen tritt, wie fich diefer
Dienst unter den wechfelnden Verhältnifsen des Kriegslebens
gestaltet hat. Unter diefem Gefichtspunkt er-
fcheint das Buch als ein vollwichtiger Beitrag zur prak-
für meine Einficht nach der ersten Behauptung die ge- j tifchen Theologie, infonderheit zur Theorie der Seelforge.
fchichtliche Entwicklung, die zu diefer .Krankheit' ge- 1 Gerade die fchmucklofe, von aller Prätenfion freie
führt hat, fchlechthin unverständlich. Öder hat nicht Erzählung deffen, was von dem Geiftlichen zu thun war
der Verf. damit felbft widerwillig den Nachweis geliefert, 1 und unter den jeweiligen Verhältnifsen gethan werden
dafs er uns kein lockendes Ziel vorhält, wenn er den ein- konnte, ift an fich fchon der beste Erweis für die hohe
fachen Rückgang zur Orthodoxie verlangt? Nicht weg- Bedeutung, welche dem Dienst am Wort im Feldlager
werfend genug kann er über die ,Mesalliance zwifchen ! zukommt; wer das Büchlein zu Ende gelefen hat, wird
Piet. und Orthod.' urtheilen, die unfer Jahrhundert gezeitigt
hat. Er meint auch, ,der Todtengräber klopfe
fchon an die Thür, diefes Mal stattlich angethan, in kirchlicher
Haltung, felbftverftändlich auf der Flöhe der Wiffen-
fchaft u. f. f. — aber doch nur der alte Bekannte, der
von der Meinung geheilt fein, als ob der Feldprediger-
dienft nur gleichkam zur Decoration des Kriegslebens
diene; er fleht ja, wie tief und vielfeitig diefer Dienst eingreift
, wie wohl angelegt, unentbehrlich und begehrt er ift.
Freilich bringt die Erzählung des Erlebten, wie manche
Rationalismus in neuer Auflage'. Darf man unferer Kirche ! daran angeknüpfte Reflexion über die Einrichtung des
wirklich zutrauen, dafs fie aus einer Gefchichte von 200 ! Dienstes gerade in mir, der doch hart neben dem Verf.
Jahren nur gelernt habe, wie fie fich fchminken und ver- ; gearbeitet hat, auf's Neue zum Bewufstfein, wie unend-
ltellen folle? Oder follte die Hoffnung fo ganz verwerf- lieh mannigfaltig und verfchieden der Dienlt felbft bei
lieh fein, dafs fie, durch Schaden klug und durch ernlte fcheinbar gleichen oder ähnlichen Verhältnifsen fich geArbeit
gereift, in weiten Kreifen von dem Verlangen er- stalten mufs, wie wenig es möglich und heilfam wäre,
füllt fei, dafs ihr das lautere Evangelium Halt und Ret- die individuelle Erfahrung zu generalifiren und zur Regel
tung bringe, aber ohne die brüchigen Schalen von Pietis- j für Alle zu machen. So lebhaft ich mit Vielem, ja dem
mus und Orthodoxie? Meisten übereinstimme, was der Verf. in diefer Hinficht
Rumpenheim S. Eck. ; andeutet, mufs ich doch unter anderes ein Fragezeichen
fetzen, weil meine Erfahrung eben eine andere war, auch
Pfleiderer, Dr. Edm., Erlebnisse eines Feldgeistlichen im ein Beweis, wie vom Geiftlichen im Felde eben dafselbe
1/ • , ~ u D . ,„ ,.m gilt, was vom Soldaten: ,Da tritt kein anderer für ihn
Knege 1870 71. München, C. H. Beck, 1890. (VII, |in> Auffichfelberftehterdaganzallein'. Um fo werthvoller
267 S. 8.1 M. 2. 25; cart. M. 2. 80. ift gerade die Erzählung deffen, was und wie es gefchehen
Dafs wir diefes köstliche Büchlein in einem theo- ift, für die Späteren. Mögen fie es vielleicht anders
logifchen Fachblatte zur Anzeige bringen und damit den machen, lernen können fie von den Praktikern des
Amtsgenoffen unter die Augen rücken, bedarf wohl keiner Jahres 1870 gewifs vieles, jedenfalls vor allem die unbe-
befonderen Rechtfertigung. Zwar ift es ja nicht ausdrück- grenzte Hingabe an den herrlichen, einzig fchönen, wenn
lieh das theologifche oder kirchliche Intereffe im engeren auch unfäglich fchweren Dienst. Vielleicht darf Ref. bei
Sinne, welchem dasfelbe zu dienen beftimmt ift. Gleich anderer Gelegenheit auch feine Reflexionen und Erden
übrigen, im felben Verlage erfchienenen, in den wei- fahrungen an die des Verf.'s anknüpfen, aus aeffen Wor-
teften Kreifen mit Dank aufgenommenen ,Kriegsbüchern' ten neben dem Theologen der feine Pfycholog fpricht.
wendet es fich an das ganze Volk und insbefondere an Vorliegendes will nichts als eine einfache Anzeige der
die ehemaligen FAldzugsgenoffen und erzählt in frifcher, fchönen Gabe fein.
feffelnder, das Gepräge ungefchminkter Wahrhaftigkeit Friedberg. H. A. Köftlin.
tragender Weife, was ein württembergifcher F"eldgeift-