Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1890 Nr. 18

Spalte:

458-459

Autor/Hrsg.:

Wacker, Emil

Titel/Untertitel:

Die Laienpredigt und der Pietismus in der lutherischen Kirche. Zwei Vorträge, nebst einem Nachtrag 1890

Rezensent:

Eck, Samuel

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

457

Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 18.

458

Inhalts des Buches würde nothwendig zu Auseinander-
fetzungen führen, welche den Raum einer Gegenfchrift
zu beanfpruchen hätten. Gerne erkenne ich an, dafs viele
geiftreiche und treffende Bemerkungen, viele beherzigens-
werthe Wahrheiten, viele befonders für die Gegenwart
fruchtbare Gedanken ausgefprochen find. Wer fich für
den Gegenftand intereffirt, den läfst das Buch nicht fo
leicht los. Aber das Grundübel ift durch die guten Einzelheiten
nicht wegefchafft. Der Verf. fucht auf den Wegen
von Kant und doch von ihm fich emancipirend nach
einem oberften Moralprincip. Die befchreibende Ethik
ift nun einmal durch Schleiermacher, den wir wohl doch
als den gröfsten aller Ethiker anfehen dürfen, in das
Bewufstfein, wenn auch nur in das dunkle Bewufstfein,
der modernen Zeit eingedrungen. Mit Hülfe der be-
fchreibenden Ethik will der Verf. fein Ziel erreichen,
alfo mit einem Mittel, welches den Zweck, ein oberftes
Moralprincip zu finden, negirt. Die Ethik ift nun einmal
etwas Umfaffenderes als blofs eine Vorfchrift.
Zwifchen dem Mittel und Zweck hin- und hergefchaukelt,
wird der Lefer müde, dem vom Verf. ihm vorgefteckten
Ziele nachzuflreben.

Hiezu trägt auch die unnöthige Breite der Darftel-
lung bei. Der Verf. liebt es, für feine Behauptungen
Beifpiel auf Beifpiel zu häufen, während der Lefer in der
Lntwickelung des Gedankens gern rafcher weiter geführt
würde. Für Schüler, welche Beifpiele zur Erläuterung
bedürfen, ift das Ganze viel zu hoch; für Lefer, welche
am Ideengang Intereffe nehmen (und zu welchen ich mich
auch zähle) find diefe Beifpiele nur läftiges Beiwerk.
Eine gedrängtere Schreibweife würde der Verbreitung
hes in feinem wefentlichen Inhalte intereffanten Werkes
nur vortheilhaft fein.

Strafsburg i/E. Alfred Kraufs.

Brecht, Thdr., Kirche und Sklaverei. Ein Beitrag zur
Löfung des Problems der PVeiheit. Barmen, Klein,
1890. (IV, 227 S. gr. 8.) M. 3. —

Eine durchweg polemifch gehaltene Schrift, die fich
lieft wie das Plaidoyer eines öffentlichen Anklägers. Wenn
die Stimmführer und Lobredner des Katholicismus behaupten
dafs ihre Kirche in der Vergangenheit die Sclaverei
überwunden habe und in der Gegenwart zur Vorkämpferin
der Freiheit berufen fei, fo will Brecht diefe Anfprüche
auf das hiftorifch richtige Mafs zurückführen. Er weift
nach, dafs fich die Kirche in ihrem Verhalten gegenüber
dem Inftitut der Sclaverei nicht gleich geblieben ift. Was
die alte Kirche in der vorconltantinifchen Zeit für Erleichterung
desSclavenloofes undfürBefreiungvonSclaven
gethan hat, wird vollauf anerkannt. Aber jene Beftre-
bungen, die mit Nothwendigkeit auf Abfchaffung der
Sclaverei hätten hindrängen müffen, gerathen ins Stocken,
feitdem die gedrückte Kirche zur Herrin wurde und grofse
Befitzungen erwarb. Der Verfaffer erhebt aus den Be-
ftimmungen des kanonifchen Rechts und aus den Schriften
der hervorragendften Kirchenlehrer das Zeugnifs, dafs
man auf kirchlicher Seite an der Sclaverei principiellen
Anftofs überhaupt nicht genommen hat. Noch wichtiger
ift das, was er über die Praxis der mittelalterigen Kirche
feftftellt. Allerdings wird das Freilaffen der Sclaven als
ein gutes Werk den Laien empfohlen. Die Kirche felbft
aber hält auf ihren Gütern zahlreiche Sclaven, und durch
ftrenge Beftimmungen wird Vorforge getroffen, dafs die
Nutzniefser der Kirchengüter, alfo Priefter, Bifchöfe und
Aebte, Sclaven nicht entlaffen dürfen, ohne dafs fie aus
eigenen Mitteln die Kirche entfchädigen. Gern nimmt
die Kirche freigelaffene Sclaven in ihren Schutz auf, aber
diefes Patronat wird andererfeits nur zu oft dazu benuzt,
um die Ereigelaffenen mit allerlei Laften zu befchweren.
Während im Laufe der Jahrhunderte die Sclaverei allmählich
der Hörigkeit oder Leibeigenfchaft Platz macht,

finkt eine Maffe von freien Leuten in Hörigkeit herab
und bildet mit den Nachkommen der ehemaligen Sclaven
zufammen den Stand der unfreien Leute. Die Kirche
aber hat wefentlich dazu mitgewirkt, dafs die Zahl der
freien Leute fich in fo verhängnifsvoller Weife verminderte,
und an der Bedrückung der niederen Claffen, welche die
Privilegirten verübten, haben fich die Würdenträger der
Kirche in hervorragendem Mafse betheiligt. Die Bauern-
aufftände vor und während der Reformation, fo refultat-
los fie auch verliefen, find ein lautes Zeugnifs für den
Bankrott des mittelalterigen Syftems. Ein Ueberblick
über die Entwickelung der Leibeigenfchaft in den einzelnen
Ländern Europa's, der übrigens viel überfichtlicher
geftaltet fein könnte, bringt die Belege zu der Behauptung
, dafs die Impulfe, die fchliefslich dahinführten, die
Ketten der Leibeigenfchaft zu zerbrechen, am wenigften
von der römifchen Kirche ausgingen, dafs hier vielmehr
wefentlich Motive humanitärer und volkswirthfchaftlicher
Art gewirkt haben.

Bei der Sclaverei in den Colonien der alten Welt
und bei all den Greueln, die mit ihr verbunden waren,
haben wir es nicht ausfchliefslich mit Ausfchreitungen
der Entdecker und Eroberer zu thun. Vielmehr trägt
auch hier die katholifche Kirche einen Theil der Schuld.
Hat 'doch der Papft wiederholt fpanifchen Königen das
Recht zugefprochen, die Ungläubigen zu Sclaven zu
machen. In feinen eigenen Staaten duldete der Papft
die Sclaverei und den Sclavenhandel. Ja bis zu Ende
des vorigen Jahrhunderts haben die Päpfte felber auf
ihren Galeeren Sclaven fremder Herkunft gehalten. Sie
haben Sclaven gekauft, verkauft, vertaufcht und ver-
fchenkt. Was endlich die Negerfclaven betrifft, fo ift
es nicht Rom, das deren Feffeln zerbrochen hat. Vielmehr
kommt dem Proteftantismus diefes Verdienft zu.
Quäker in Pennfylvanien waren es, die zuerft den Proteft
des chriftlichen Gewiffens gegen das Inftitut der Sclaverei
erhoben und zwar mit Erfolg. In England rief der
Methodift Wilberforce die grofsartige und fiegreiche Agitation
gegen Sclavenhandel und Sclavenhalten hervor.

Aus alle dem zieht Brecht den Schlufs. dafs die
römifche Kirche kein Recht habe, aus der Gefchichte
der Sclavenemancipation Reclame für ihre angeblichen
Freiheitsbeftrebungen in der Gegenwart zu machen.
Wirkliche Freiheit könne das ultramontane Syftem fo
wenig gründen, wie der religiös-politifche Radikalismus.
Der Proteftantismus vielmehr hat den Beruf, die Eman-
cipation, die er begonnen, auch zu vollenden. Gemeint
i(t die Emancipation der arbeitenden Claffen.

Sehr zeitgemäfse Betrachtungen, denen man nur
wünfchen kann, dafs fie recht viel Eindruck machen.
Diefen Erfolg könnte man ficherer erhoffen, wenn der
Verfaffer gröfsere Sorgfalt auf die fchriftftellerifche
Einkleidung feiner Gedanken verwandt hätte.

Giefsen. W. Stamm.

Wacker, Paft. Emil, Die Laienpredigt und der Pietismus in
der lutherischen Kirche. Zwei Vorträge, nebft einem
Nachtrag. Gütersloh, Bertelsmann, 1889. (75 S. 8.)
M. 1. —

Der erfte von diefen Vorträgen — gehalten 1SS8 in
Flensburg und Kiel — giebt zunächft eine kurze Ueber-
ficht über Beftrebungen von Laienpredigt in Deutfchland,
knüpft daran eine Darlegung ihres fbekenntnifsmäfsigen'
Rechtes (C. Aug. 14; tract. de pot. pap. 24. 26.) und einen
Nachweis ihrer Unentbehrlichkeit in der gegenwärtigen
Nothlage der luth. Kirche, um nach einer herben, aber
gerechten Kritik der faft durchgehenden Praxis in den
Sendboten- oder Evangeliftenkreifen die Gründung einer
freien Vereinigung zu befürworten, zur Heranbildung und
Ausfendung von Diakonen und Laienbrüdern, die, feft
in der reinen Lehre gegründet, eine ,lutherifche Dia-
fporathätigkeit im eignen Lande, in der eignen Kirche'