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Ausgabe:

1890 Nr. 18

Spalte:

444-446

Autor/Hrsg.:

Frohschammer, J.

Titel/Untertitel:

Die Philosophie des Thomas von Aquino, kritisch gewürdigt 1890

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 18.

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derjenige, welcher gewöhnt ift, fich an Schürer's unüber- I gehoben werden. Im vierten Capitel wird der Untergang
trefflichem Werke Raths zu erholen, gerne fich an einer j des Hasmonäerhaufes und die Zeit Herodes des Grofsen
Darflellung erfreuen, welche, ihrer Aufgabe gemäfs im ■ vorgeführt, als Geifteszeichen derZeitdie PfalmenSalomo's.
Zufammenhang des grofsen Sammelwerkes, fich der ge- Das fünfte Capitel enthält die Gefchichte des Volkes unter
lehrten Unterfuchung und Grundlegung enthält, und fich I den Nachkommen des Herodes des Grofsen, und aut
auf die einfache Erzählung befchränkt, foweit nicht an I Seite der Literatur einestheils Philo, anderentheils das
gewiffen Stellen die Andeutung einer offenen Frage oder
ein kurzer Nachweis der Berechtigung durchaus noth-
wendig ift. In die Aufgabe der Neuteftamentlichen Zeit-
gefchichte rechnen wir vor allem, was eben der Titel
des Buches befagt, die Gefchichte des jüdifchen Staats
und Volkes vor der Entftehung des Chriftenthums, foweit
fie zur Erläuterung der letzteren gehört, und während
der erften Zeiten des Chriftenthums, infoweit als diefes
fich noch im engen Zufammenhang mit dem Judenthum
bewegt, und aufserdem etwa noch von der allgemeinen
Völkergefchichte, was zur Beleuchtung der Anfänge des
Chriftenthums dienen mag. Das letztere fällt hier, da
das Werk ein Theil der Gefchichte des Volkes Israel ift,
weg. Dagegen ift ein zweiter Haupttheil der Neuteftamentlichen
Zeitgefchichte, nämlich die Gefchichte der
jüdifchen Literatur jener Zeiten aufgenommen. Und hier
gerade liegt die Eigentümlichkeit des Werkes, welche
darin befteht, dafs der Verf. es gewagt hat, die politifche
und die Literatur-Gefchichte durchgängig ineinander zu
verflechten. Wenn ich fage: gewagt hat, fo geht dies
darauf, dafs wir es zum Theil mit Schriften zu thun haben,
deren Urfprungszeit in Frage fteht oder fich nur annähernd
beftimmen läfst. Damit ift auch fchon gegeben, dafs der
Zufammenhang diefer Gedankenwelt mit den Ereignifsen
und der öffentlichen Lage des Volkes nicht immer durchfichtig
gemacht werden kann. Zumal für die Literatur
des alexandrinifchen Judenthums mufs dies gelten, da
die Leiftungen und Kämpfe des nationalen Staates davon
nur wenig berührt find. Und doch konnte gerade]
diefer Zweig um fo weniger ausgelaffen werden, als nicht |
nur die Diafpora ein wichtiger Beweis der Lebenskraft
des Volkes ift, fondern ihr Geiftesleben frühe in die
Entftehung des Chriftenthums hineinwirkt. Der Verf.
hat viel gethan, um unter diefen Umftänden feine Aufgabe
, nämlich überall fo viel möglich Zufammenhang
nachzuweifen, befriedigend zu löfen. Und jedenfalls hat
er auch davon einen grofsen Vortheil gewonnen. Denn
der Lefer, der fich mit ihm durch das Wirrfal der Schick-
falskämpfe des jüdifchen Staates hindurch zu arbeiten
hat, gewinnt durch die Einflechtung der Literaturbilder
die nöthige Abwechslung und ein wohlthuendes Ausruhen
. Ich will mit wenigen Worten eine Ueberficht des
Inhaltes der fieben Capitel geben, in welche das Werk
eingetheilt ift. Das erfte behandelt die Juden in den
helleniftifchen Reichen bis auf Antiochus IV. von Syrien,
und orientirt zunächft darüber, wie Paläftina der Kampfplatz
zwifchen Ptolemäern und Seleukiden werden mufste,
um dann weiterhin die wichtigften Vorgänge in der Zeit
diefes Kampfes bis zur Makkabäerzeit zu erzählen.
Zwifchen hinein aber wird überwiegend Literarifches
und vorzugsweife aus der griechich-jüdifchen Literatur
befprochen, zuerft die Septuaginta, dann gegenüber den
Angriffen des Manetho Demetrius und der falfche He-
katäus, weiterhin befonders Jefus Sirach, wozu auch die
Sprüche Salomo's beigezogen find. Mit dem zweiten
Capitel beginnt die Gefchichte der Makkabäer, das heifst
der Erhebung bis Judas Tod. Als Schriftwerke aus der
Verfolgungszeit werden hier Makkabäifche Pfalmen und
vorzüglich das Buch Daniel befprochen, weiterhin aus
dem ägyptifchen Judenthum Ariftobul, dann unter dem
Titel Romanliteratur Ruth, Tobit, Judith, und auch Hiob,
fowie der Prediger. Das dritte Capitel enthält die Has-
monäergefchichte bis auf Hyrkan IL, und es mögen daraus
die Abfchnitte über die Pharifäer, weiter über die
inneren Zuftände, und von der Literatur die Befprechung
der beiden erften Makkabäerbücher und des Buches Henoch,
,Sibyllinifcher Orakel' und der Weisheit Salomo's hervor-

Schriftgelehrtenthum unter Hillel und Schammai. Das
fechste Capitel nun handelt von Jefus Chriftus und der
innerjüdifchen Entwicklung feiner Gemeinde; das fiebente
von der Herrfchaft der Procuratoren und dem Untergang
des jüdifchen Staats. Die Literatur befchränkt fich hier
auf die Apokalypfe, die nach jetziger Gewohnheit gröfsten-
theils auf jüdifchen Urfprung zurückgeführt wird. Am
wenigften vielleicht hat mich die Gefchichte Jefus' befriedigt
, die in der kritifchen Grundlage nicht gleich-
mäfsig ift und mir in der Sache nicht tief genug geht.
Und wenn ich noch etwas hervorheben foll, fo fcheint
mir auch Philo nicht vielfeitig genug behandelt, obwohl
ich es verliehe, dafs der Verf. fein Abfehen vorzugsweife
auf die ethifche Seite richtete. Die eigentliche
Gefchichte ift im engeren Anfchlufs an die Quellen zum
Theil wohl mit mehr Einzelheiten belaftet, als dem Lefer
zur Ueberficht der Hauptfachen dienlich ift. Auch dürfte
wohl noch öfter, als es gefchehen, auf die fragwürdige
Natur des Berichtes hingewiefen werden. Freilich würde
eine ftärkere Verarbeitung in diefem Sinne auch ihre
Bedenken haben. Die Erzählung ift ruhig und gemeffen,
aber doch frifch und, wo es fein kann, warm. Ueber
die kritifche Berechtigung bei der angewendeten Ver-
theilung der Literatur enthalte ich mich weiteres zu
fagen; es ift nicht anders möglich, als dafs fie in manchen
Fallen die Natur eines Verfuches hat. Aber diefer Ver-
fuch ift dankenswerth. Wir müffen auf diefem Gebiete
vorwärts kommen, nämlich, wenn ich hier auf das theologifche
Intereffe zurückgreife, in der Richtung, dafs die
nationale geiftige Vorgefchichte des Chriftenthums nicht
für fo Viele ein leeres Blatt bleibt. Der aufmerkfame
theologifche Lefer wird hier für fo Manches, was ihm
aus feinem Neuen Teftament bekannt ift, aber ohne
gefchichtliche Erklärung bleibt, erwünfehten Auffchlufs
finden, ohne dafs ihm etwas verloren geht von der Herrlichkeit
des Evangeliums, das aus fo viel Schutt fich
erhoben hat. Ich kann daher nur viele folche Lefer
wünfehen.

Tübingen. C. Weizfäcker.

Frohschammer, J., Die Philosophie des Thomas von Aquino,

kritifch gewürdigt. Leipzig, Brockhaus, 1889. (XXIL
537 S. gr. 8.) M. 10. —

Die päpftliche Canonifirung der Philofophie des Thomas
hat den Verf. dazu veranlafst, den Gedanken einer
zufammenhängenden kritifchen Würdigung derfelben wieder
aufzunehmen, der ihm fchon früher durch feine per-
fönlichen Lebensfchickfale aufgedrängt war. Hatte doch
fein Widerfpruch gegen Thomas' Leh re von der unmittelbaren
Erfchaffung der Menfchenfeelen durch Gott ein
Buch von ihm auf den Index gebracht und einen Conflict
herbeigeführt, der fich immer mehr verfchärfte und mit
der kirchlichen Verurtheilung feiner Philofophie und der
kirchlichen Mafsregelung feiner Perfon endete. So fehr
er bereit ift, die gefchichtliche Bedeutung der thomi-
ftifchen Philofophie anzuerkennen, fo eifrig bekämpft er
das Unternehmen, diefelbc als Stütze im Kampfe gegen
die moderne Wiffenfchaft und den modernen Staat zu verwenden
. Um dies Unternehmen in feiner Nichtberech-
trgung und in feiner Schädlichkeit für die Freiheit der
Forfchung, für Humanität und Religion darzulegen, ftellt
er die Philofophie des Thomas in 6 Abfchnittcn eingehend
dar (Erkenntnifslehre, Philofophie und Theologie
, philofophifchc Gotteslehre, Naturphilofophie, Pfycho-
logie, Ethik und Politik) und knüpft an jeden die kritifche