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Ausgabe:

1890

Spalte:

435-436

Autor/Hrsg.:

Spitta, Frdr.

Titel/Untertitel:

Drei kirchliche Festspiele für Weihnachten, Ostern und Pfingsten 1890

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Seite 1

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435

Es ift fehr wohlthuend, einem Manne zu begegnen,
der in feiler Pofition confeffionellen Bekenntnifses einen
freien Blick für die Schäden der evangelifchen Kirche
fich bewahrt hat und der diefe Schäden nicht in dem
Mangel politifcher Machtentfaltung und in dem ,Knechts-
zufland unter der Omnipotenz des Staates', fondern, um
es kurz zu fagen, in der Mechanifirung ihrer Lebens-
äufserungen, infonderheit in der Sacramentsverwaltung,
fucht und findet. Denn dies ift, wenn wir den Herrn
Verf. recht verliehen, der praktifche Kern feiner Schrift.
Mit vollem Recht weift er auf die Reformbedürftigkeit
unferes Katechumenates, auf den Mangel der Tauferziehung
, auf den durch rein äufsere und fremdartige
Gründe (Lebensalter, Entlaffung aus der Schule etc.)
herbeigeführten Abfchlufs des Katechumenates in der
Confirmation hin; er fpricht die ,gänzlich geficherte Beobachtung
' aus (S. 73), ,dafs unfere Lutheraner, wenn
fie myftifch beanlagt oder gerichtet find, römifche Vor-
ftellungen hegen, wenn fie dagegen rationell zu glauben
geneigt oder gewöhnt find, fchweizerifche Vorftellungen
haben. Diefe nachweisbare Thatfache follte diejenigen
zur Vorficht im Urtheilen und Handeln auffordern,
welche ftets bemüht find, an der äufseren Zugehörigkeit
zur lutherifchen Gemeinde oder an dem gelegentlichen
Bekenntnifse zur lutherifchen Lehre fich zu befriedigen,
und dann nach einem Bolchen Mafsftabe die einen evangelifchen
Chriften von der lutherifchen Abendmahls-
Gemeinfchaft abzuweifen, die andern evangelifchen Chriften
für diefelbe anzunehmen!'

Wenn wir recht verliehen, ift in dem Angeführten
der praktifche Kern und Zweck des Buches zu
fuchen. Wir find aber nicht völlig gewifs, ob wir recht
verliehen. Denn diefe praktifche Tendenz wird nirgends
hervorgehoben; man lieft, allerdings keineswegs ohne
Intereffe an den Gedankengängen, aber ohne zu wiffen,
was die Ausführungen eigentlich bezwecken, bis gelegentlich
das Auge auf derartigen eingeftreuten praktifchen
Confequenzen derfelben haften bleibt. Durch diefe
Oekonomie feiner Schrift hat der Herr Verf., fürchten
wir, diefelbe um einen guten Theil ihres Erfolges gebracht
. Wir bedauern das, obgleich wir mit jenen praktifchen
Ergebnifsen nicht durchweg einverftanden find.
Wir halten es nicht für richtig, dafs der Herr Verf. die
Schäden unferes Katechumenates dadurch zu heilen fucht,
dafs er (wie auch Cafpari in feiner Gefchichte der Confirmation
) dem Paftor die Vollmacht geben will, die
Taufe folcher Kinder zu verweigern, deren Eltern des
Vertrauens nicht würdig find, ihre Kinder chriftlich zu
erziehen, und dafs er es von dem Urtheil des Paftors
abhängig machen will, in welchem Lebensalter er die
jungen Chriften für reif zur Confirmation erklären will.
Der beklagenswerthen Mechanifirung unferes Katechumenates
kann u. E. nur dadurch abgeholfen werden,
dafs zum Abfchlufs derfelben mit dem Grundfatz freier
Selbftentfcheidung Ernft gemacht wird. Auch mit der
exegetifchen Beweisführung können wir nicht immer
einverftanden fein. Allein das hindert nicht, auf die
Schrift des Herrn Verf.'s aufmerkfam zu machen und fie
der Beachtung zu empfehlen.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Spitta, Frdr., Drei kirchliche Festspiele für Weihnachten,
Ostern und Pfingsten. Strafsburg, Heitz, (1889). (78 S.
gr. 8.) M. 1. 80.

Aus der Beobachtung zweier Thatfachen ift die
fchöne Gabe des Herrn Verf.'s geboren. Einerfeits der
Thatfache, dafs das Ofterfeft und das Pfingftfeft in der
Vorftellung des Volkes immer mehr verblaffen, ander-
feits der Thatfache, dafs das Volk für dramatifche Darftellungen
der heiligen Gefchichten, wie die zahlreichen
Weihnachtsfpiele, auch die Lutherfeftfpiele, beweifen,

durchaus empfänglich ift. Jene Verblaffung hat nun
zwar ihren Grund fchwcrlich in dem Mangel an Feit-
fpielen, allein das nimmt der Wahrheit nichts, dafs auch
unfer evangelifches Volk dafür empfänglich ift und dals
etwas Grofses gewonnen fein würde, wenn es gelingen
follte, unfere hohen Fefte zu kirchlichen Volks- oder
Gemeindefeften durch folche Feftfpiele zu erheben. Das
Verftändnifs der Heilsthatfachen würde durch derartige
Veranfchaulichungen fehr gefördert und das lebhafte Be-
dürfnifs aufsergottesdienftlicher Feftfeier in gute Bahnen
gelenkt und in edelfter Weife befriedigt werden. — Dals
der Herr Verf. in hervorragender Weife durch (e'ne
dichterifche und mufikalifche Begabung dazu ausgerüftet
ift, eine Führerrolle in der Einrichtung kirchlicher Feit-
fpiele zu übernehmen, ift eines Beweifes nicht bedürftig-
Beide Seiten feiner Begabung thun fich auch in dielen
Spielen meifterhaft kund. Im Ofterfpiel allerdings fp'eJ|
Thomas eine etwas traurige Figur; die Verformung femt
bei ihm, wir erfahren nichts von der Ueberwindung
feines Zweifels. Und ob das Pfingftfpiel, das ja fehr
grofse Schwierigkeiten bietet, fo gehalten ift, dafs es
einer fchlichten Landgemeinde verftändlich wäre, kann
in Frage kommen. Allein zum Copiren find die Spiele
nicht gefchrieben; jeder, der fich für die Sache erwärmt,
wird wohl thun, mit möglichft einfachen Spielen etwa
in der Schule zu beginnen und fortfchreitend das Inter-
effe der Gemeinde zu fteigern, bis Feftfpiele nach der
Spitta'fchen Vorlage möglich und von der Gemeinde
erwünfcht find. Wenn überdies Sp.'s Buch die Gaben
Anderer erweckte, in ähnlicher Art gleich Tüchtiges zu
leiften, fo würde der Gewinn ein doppelter fein.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Cuntz, F., Carl Wilh. Theod. Ninck. Ein Lebensbild. Herborn
, Buchhandlg. d. Naffauifchen Colportage-Vereins
, 1890. (IV, 232 S. m. Lichtdr.-Bild. 8.) M. 1. 80;
geb. M. 2. 70; m. Goldfehn. M. 3. —

Ein Lebensbild von Ninck darf auf lebhafte Theil-
nahme in weiten Kreifen rechnen. Ninck ift ein laut
redender Zeuge von den Lebenskräften unferer evangelifchen
Kirche. Sein früher Heimgang ift darum in
kirchlichen Kreifen fchmerzlich empfunden worden. Mit
feiner Hamburger Gemeinde trauerte um ihn feine alte
naffauifche Heimath, in der er noch in manchem gefeg-
neten Werk, vor allem in dem von ihm auf gefunden
Grundfätzen begründeten Colportage-Verein, in deffen
Verlag auch das Lebensbild erfchienen ift, fortlebt,
trauerte der grofse Leferkreis des ,Nachbar', feine .Nachbargemeinde
', wie er fie gerne nannte, und viele taufend
Kinderherzen, zu denen er in feinem ,Deutfchen Kinderfreund
' fo unübertrefflich kindlich und anregend zu reden
wufste. Sein lauteres Wefen, feine felbftlofe Hingabe,
feine unermüdliche Energie und feine grofsartige fruchtbare
Wirkfamkeit haben fich aber auch weithin felbft
bei Solchen aufrichtige Anerkennung errungen, die für
den Glaubensgrund, aus dem fie erwachfen find, kein
volles Verftändnifs hatten. Nun fein Tagewerk abge-
fchloffen vor uns liegt, entfpricht es nur einem von Vielen
empfundenen Bedürfnifs, wenn uns hier ein Gefamnft-
bild diefes reichen Lebens, feines Werkes und feines
Wirkens geboten wird.

Es zu fchreiben, war der Verf., der Ninck von Jugend
an, fpäter als Schwager, befonders nahe ftand, vor anderen
berufen. Dafür hat er auch durch die treffliche eingehende
Charakteriftik Ninck's, mit welcher das Buch
abfchliefst, den Beweis erbracht. Doch würde meines Erachtens
das Buch fehr gewonnen haben, wenn der Verf.
diefe Charakteriftik in das Lebensbild felbft verwoben
hätte. Die Linien dürften da etwas fchärfer, Licht und
Schatten etwas kräftiger fein, die natürliche Eigenart
Ninck's müfste mehr hervortreten, ftatt dafs uns vor-