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Ausgabe:

1890 Nr. 17

Spalte:

421-423

Autor/Hrsg.:

Völter, Dan.

Titel/Untertitel:

Die Komposition der paulinischen Hauptbriefe. 1. Der Römer- und Galaterbrief 1890

Rezensent:

Holtzmann, Oskar

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423 Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 17. 424

Heilung vorausgefetzt. Aber Paulus fchreibt keine Lehr- Mayor, Prof. John E. B., M. A., The Latin Heptateuch.

bücher, fondern Briefe. Gerade den Galaterbrief fchreibt
er leidenfchaftlich bewegt. Da fetzt er viele, in ihm leben-

Published piecemeal by the French printer William

er leiuenlcnamicn bewegt. JJa letzt er vieie in mm leoen- | Mord &) and ft French Benedictines E. Martene
dige Gedankengange als den Lefern bekannt voraus. . v 3 ' _ do. ... „ . „_j

In der ruhigeren Stimmung, in welcher er den Römer- (I733) and J. B. Pitra (1852-88). Cntically reviewed.

London, C. J. Clay & Sons, 1889. (LXXIV, 270 S.

In der ruhigeren Stimmung,

brief fchreibt, richtet er fich mehr nach dem Verftänd-
nifse feiner Lefer.

Sehr unglücklich beginnt die Unterfuchung über die
Gefchichtserzählung des Galaterbriefs. Der Ausdruck

gr. 8.) geb.

Hinter diefem etwas änigmatifchen Titel verbirgt fich
jene epifche Bearbeitung der biblifchen Gefchichte Alten

I, 15 acfogioag fte h *OthaS ^vg macht Volter Be- TenarnentS (Pentateuch Jofua und Richter), welche in
denken. ,Diefer Zufatz zu ayoQioag ift finolos oder will- der Ueberiieferung bald unter dem Namens Cyprians,
kurlich, wenn nicht dabei an einen ganz beftimmten Vor- bald unter dem d|s Juvencus auftHtt Es h t ^ gegang
bei der Geburt gedacht wird, der als Zeichen an- dauert bis die in verJfchiedenen Handfchriften zerftneuten
gefehen werden konnte dafs Gott etwas Befonderes mit Theile diefer Dicht bekannt geworden find. Nachdem
dem neugeborenen Kinde vorhat.' Der Ausdruck wird zu- ; zuerft qu;j mord f go) aus ^ h>

105 Verfe der Genefis unter dem Namen Cyprian s veröffentlicht
hatte, wurde diefes kleine Fragment bis in
die neuelfe Zeit unter den unechten Schriften Tertullian's
und Cyprian's wieder abgedruckt. Oehler (1854) fowohl
als Härtel (1871) war es entgangen, dafs fchon Martene
(1733) aus einer Hf. des 9. Jahrh. zu jenen 165 Verfen
weitere 1276 gefügt, fowie dafs Pitra (1852) aus zwei Hff.
des 9. u. 10. Jahrh. die Genefis ergänzt und Exodus,
Deuteronomium und Jofua mit Theilen von Leviticus und
Numeri veröffentlicht hatte. Dem Letzteren verdanken
wir auch das Richterbuch nebft Ergänzungen zu Leviticus
und Numeri (1888). Die Autorfchaft des Juvencus, an
welcher noch Pitra fefthielt, wurde im vorigen Jahrh. von
Arevalo, in neuerer Zeit von Lucian Müller, Ebert,
Schwabe u. A. mit entfcheidenden Gründen beftritten,
und neuerdings fcheint die zuerft von Peiper ausge-
fprochene Vermuthung, dafs Cyprian, nicht der Bifchof
von Karthago, fondern dritter Bifchof von Toulon, in
der erften Hälfte des 6. Jahrh., das Werk verfafst, anderen
Hypothefen gegenüber das Feld behaupten zu wollen.

Mit einer heutzutage feltenen Umftändlichkeit und
wiederholten Abfchweifungen (p. xix erfährt man z. B.,
dafs Renan, Pufey u. A. auf Pitra's Spicilegium Soles-
mense fubfcribirten) fchildert der durch feine Bearbeitung
von Hübner's Grundrifs zu Vorlefungen über die römifche
Litteraturgefchichte {Bibliographical Clue to Latin Litcra-
ture, 1875) und mehrere andere Publicationen zur latei-
nifchen Philologie bekannte Verf. im erften Theile der
Prolegomena die Gefchichte des Heptateuchs vom Jahre
1560 bis zur Gegenwart (p. i—xlii). Nachdem er fodann
die Frage des Bibeltextes, deffen der Dichter fich bedient
(Itala, f. p. xliii f.) geftreift, wendet er fich zur
Sprache, Orthographie und Metrik desfelben (p. xliv ff.)»
um endlich in einer Anzahl lofe aneinander gereihter
Excurfe über patriftifche Studien in älterer und neuerer
Zeit, über Entdeckungen auf diefem Gebiete und ver-
fchiedene andere Dinge zu handeln, welche wir übergehen
können, da fie nicht zur Sache gehören (p. liv—lxx).
Da eine vollftändige Ausgabe des Heptateuchs von
Peiper zu erwarten ift, hat der Verf. fich bei der Bearbeitung
desfelben im Wefentlichen darauf befchränkt,
die Verbefferungen mitzutheilen, welche fich aus genauerer
Vergleichung der Cambridger Hf. ergeben, fowie fremde
und eigene Conjecturen zu denjenigen Stellen, welche
in den Hff. verderbt zu fein fcheinen, vorzulegen und
z. Th. näher zu begründen. Die Zahl diefer Stellen ift,
wie fchon aus dem Umfange des Buches erfichtlich, eine
fehr grofse, und wenn man fieht, wie weit der Verf. fich
oft von dem Ueberlieferten entfernen zu müffen glaubt,
fo kann man fich des Eindrucks nicht erwehren, dafs er
feiner Luft am Conjecturiren etwas zu fehr die Zügel
hat fchiefsen laffen. Was foll man, um nur einige Bei-
fpiele anzuführen, dazu fagen, wenn Gen. 288 für das
handfchriftliche ,Atque abyssus riguos dimisit in aequora
fontes' vorgefchlagen wird: ,Et fontes riguos dimisit in
aequora abyssus', oder wenn Jof. 558 das überlieferte
,et quam magna deus cunctis fidelibus addat' crfetzt

rückgeführt auf eine Combination von acpiogtajisvog Rom
1, 1 mit wgrrepet zw sy.zQWj.iaTi i Cor. 15, 8. Aber man
vergleiche doch nur Jer. 1, 5. — Dafs Paulus fein Evangelium
nach Gal. I nicht durch Menfchen, fondern nur
durch Offenbarung empfing, ift Völter ,einfach eine Unmöglichkeit
' (S. 122). Aber nicht Nachrichten über Jefus
und feine Gemeinde find das Evangelium, fondern das
Werthurtheil, dafs Jefus der Chriftus ift. Diefes Werthur-
theil zu erfaffen ift Sache eines Augenblicks. — Die Reife
nach Jerufalem Gal. 2, 1 ff. deckt fich nach Völter fowohl
mit der Act. 11 als mit der Act. 15 erzählten Reife:
Denn beide Berichte der Apoftelgefchichte meinen die-
felbe Reife. Völter tritt nun für die Richtigkeit der Erzählung
dertendenzlofen Apoftelgefchichte gegenüber dem
tendentiöfen Galaterbrief ein, was Cap. 9 betrifft, voll-
ftändig; was Cap. 15 betrifft, wenigstens im Ganzen.
Natürlich fehlt es auch in der Apoftelgefchichte nicht
an Interpolationen. So ift 15, 5—21 ein Einfchub, der
erft auf Grund des Galaterbriefs gemacht wurde, während
15, 1—4. 22—33 eine Quelle des Galaterbriefes find. Was
die Verhandlungen in Jerufalem betrifft, fo ift es ja richtig,
dafs der Paulus, der Gal. 2 mit Petrus und Johannes verhandelt
, ein anderer war und fpeciell über das Gefetz
anders gedacht haben mufs, als der Paulus, der den Galaterbrief
fchreibt. Auch der Paulus, welcher Act. 21
nach Jerufalem kommt, ift wieder in gewiffem Sinn ein
anderer Mann. Aber ich meine, diefer Paulus hat auch
manches erlebt, was leinen Menfchen verändern kann
und ein fo reicher Geift wird immer etwas Räthfelhaftes
behalten. Galatien ift dem Verfaffer die Provinz. Damit
fie es fei, corrigirt er die Apoftelgefchichte. Neu dürfte
fein, dafs nach S. 165 der Galaterbrief wenig an Erlebtes
erinnert. Namentlich vermifst Völter S. 167 einen Hinweis
darauf, mit welcher Autorität die Verftörer der Gala-
ter auftreten. Worauf gründet fich denn aber die fo oft
von Völter gerügte Tendenz diefes Briefes in feinen zwei
erften Capiteln? Offenbar darauf, dafs Paulus kein Ab-
gefandter der rechten Apoftel fei. Nach S. 168 find die
Judaiften in Galatien aufgetreten, um die Gemeinde vor
jüdifchen Verfolgern zu fchützen (vgl. 6, 12. 13).

Völter's Schrift kann ohne Zweifel mancherlei Gutes
wirken. Sie weift auf die Ungleichartigkeit mancher Gedankenreihen
bei Paulus hin, die neben oder nach einander
uns begegnen. Sie fordert für die Zukunft ernfte
Beweife lür die Echtheit und Einheit der anerkannt pau-
linifchen Briefe. Aber es wäre zu wünfchen, dafs der
Verfaffer bei der in Ausficht flehenden Foftfetzung feines
Werkes die in der bisherigen Art feiner Forfchung liegenden
Ueberftürzungen und Uebertreibungen etwas be-
fchränkte. Er würde einen um fo gröfsern Leferkreis
finden.

Vielleicht ift manches in diefer Befprechung an den
falfchen Platz gerathen. Um Irrthümer zu vermeiden,
gebe ich Völter die Verficherung, dafs ich die volle Zu-
verfichthabe, dafs meineBefprechung ohne Interpolationen
nach Amfterdam kommt.

Giefsen. Oscar Holtzmann.