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Ausgabe:

1890

Spalte:

409-410

Titel/Untertitel:

Mitteilungen über die konfessionellen Verhältnisse in Württemberg. 13. Hft. Die württembergischen Religionsreversalien 1890

Rezensent:

Fay, Friedrich Rudolf

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Seite 1

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409 Theologilche Literaturzeitung. 1890. Nr. 16. 4,o

dafs fie augenblicklich gereinigt find. Vgl. Kavverau /.
C 17 und Tetzel's 57. Theie. Das war eben die ungeheuerliche
, allen bisherigen Vorftellungen der Gläubigen
zuwiderlaufende Meinung, welche die tieffte Empörung
hervorrief. Wo nach der bisherigen Lehre noch fittliche
Einwirkung, {snffragia, die jenfeits Reue und Leid wirken;
möglich war, tritt jetzt ein rein mechanifcher Procefs,
eine magifche Umwandlung des Sünders an die Stelle.
Hätte Rohm fich die Mühe genommen, die Erzählung
von Hafs nachzulefen, wornach Tetzel Fürbitte für un-
nöthig erklärte, wenn nur das Geld gegeben wird, er
hätte etwas von der fittlichen Empörung des deutfchen
Volksgemüths geahnt, das fich eine Reinigung der ab-
gefchiedenen Seele nicht denken konnte, die durch den
Einwurf des Geldes in den Kalten gefchehen follte, und
in folcher Lehre einfach ein ,Torftigkeit', einen Betrug
fah.

Während Röhm nicht ahnt, wie Tetzel's Ablafslehre
den fittlichen Procefs und die Freiheit des Willens im

fo, ,dafs, wenn das Gefchlecht König Friedrichs im
Mannesftamm erlifcht — und es fteht zur Zeit nur auf
vier Augen — der Stamm feines jüngften Bruders
Alexander an die Reihe kommt, welcher durch eheliche
Verbindung mit einer Orleans und im folgenden Gefchlecht
mit einer öfterreichifchen Erzherzogin dem
Haufe Habsburg verfchwägert und längft katholifch geworden
ift'. Die Verfaffung von 1819 hat, weil man im
achtzehnten Jahrhunderte die vorhin erwähnte Erfahrung
gemacht hatte, in $ 76 vorforglich benimmt: ,Sollte fich
in künftigen Zeiten der P'all ereignen, dafs der König
einer anderen als der evangelifchen Confeffion zugethan
wäre, fo treten alsdann in Hinficht auf deffen Epifkopat-
rechte die dahin gehörigen Beftimmungen der früheren
Religionsreverfalien ein'. Da diefe Beftimmungen aber,
wie in dem vorliegenden, fehr beachtenswerthen Schriftchen
klar und bündig nachgewiefen wird, veraltet find,
fo kommt der Verf. zu folgenden bedeutfamen Schlufs-
ergebnifsen: ,1. Ein katholifcher Landesfürft kann das

Fegfeuer völlig aufhebt, fucht er die evangelifche Recht- j Kirchenregiment über die evangelifche Kirche ver-
fertigungslehre zu bemängeln. Der rechtfertigende Glaube
fei von Gott gewirkt, der Menfch alfo rein paffiv, von
einem fittlichen Vorgang könne alfo keine Rede fein.
Man ftaunt. Weifs diefer katholifche Dogmatiker nichts
vom Verhältnifs des Glaubens zur Bufse nach evangeli-
fcher Lehre, kennt er keinen Unterfchied zwifchen der
fides, qnac aeditur, die ohne fittlichen Werth fein kann,
und der fides, qua crtditur Ift denn Röhm von fich felbft
ein Chrift geworden oder ift der Dienft der Kirche, der
Miffion, die Erfchliefsung einer Menfchenfeele für die
göttliche Wahrheit für ihn Menfchenwerk? Man follte
folche Kurzfichtigkeit von einem Vertreter der chrift-
lichen Kirche auch im römifchen Lager nicht erwarten.

Geleiftet hat Röhm für die Tetzelfrage lediglich
nichts, und was er fonft fchwarz auf weifs preisgab,
kann nur das lebhaftefte Bedauern erregen, dafs ein
Mann von der Stellung Röhm's fich auf einen Standpunkt
herabgeben mochte, der an wiffenfchaftlichem
Werth lieh nicht über das geringfte Hetzblättchen erhebt.

Nabern bei Kirchheim u. T. G. Boffert.

Mitteilungen über die konfessionellen Verhältnisse in Württemberg
. 13. Hft. Die württembergifchen Religionsreverfalien
. Halle 1889, Strien. (18 S. gr. 8.) M. -. 25.
Als das damalige Herzogthum Württemberg im
vorigen Jahrhunderte in Gefahr ftand, katholifche Fürften 1 taufe in Schrift und Gefchichte, die Wiedergeburt durch
zu bekommen, wurde ,alles aufgeboten, um den künf-

faffungsmäfsig unter keinen Umftänden ausüben. 2. Die
Behörde, welcher dasfelbe alsdann übertragen wird, kann
keine reine Staatsbehörde fein, weder das Staatsmini-
fterium noch der geheime Rath, weil in beiden auch
Katholiken Sitz und Stimme haben. 3. Diefe Behörde
mufs vielmehr rein evangelifch fein ... 4. Auf
Revifion des § 76 der Verfaffung ift mit allem
Ernft feitens der dazu berechtigten und verpflichteten
Factoren zu dringen'. Man darf ge-
fpannt darauf fein, wie fich die Dinge in Württemberg
weiter entwickeln werden.

Krefeld. F. R. Fay.

Kemmler, Dek. G., Der Kindertaufe Recht und Kraft. Stuttgart
, Buchhandlg der Evangel. Gefellfchaft, 1890.
(80 S. 8.) M. —. 50.

In fünf Briefen an einen jungen Freund, welcher
durch den Baptismus an der Rechtmäfsigkeit der evangelifchen
Kindertaufe irre geworden ift, fucht der Herr
Verf. ,der Kindertaufe Recht und Kraft' zu erweifen.
In dem Geifte eines milden fchriftfrohen Lutherthums,
wie derfelbe in Württemberg feine Heimath hat, und in
herzandringender Wärme feiler Ueberzeugung verbreitet
fich das Büchlein über die chriftliche Vollkommenheit,
die Heiligkeit der Kirche, die Bezeugung der Kinder-

tigen Thronerben (es war der nachmalige Herzog Karl
Alexander) zum Verzicht auf die perfönliche Ausübung
des'Kirchenregiments und zur Abgabe einer feierlichen
Erklärung für die Sicherheit der Landesreligion zu bewegen
'. .Die Bemühungen der Stände waren nicht vergeblich
. Als Karl Alexander, der in üefterreich katholifch
^worden war, den Thron beftieg, .wurden unterm
17. December 1733 die bereits gegebenen Erklärungen
gegenüber von Prälaten und Landfchaft feierlich beftä-
tigt' Sie blieben bis zum Tode des Herzogs FYiedrich
Eueren 64 Jahre lang in Geltung, ,was freilich nicht hinderte
, dafs in der erften Periode des Herzogs Karl die
evan-elifche Kirche durch fchlechte Subjecte in ihrem
Vermögen empfindlich gefchädigt ward'. Friedrich

die Taufe und die Gnadenzueignung in der Taufe. Es
will dem Referenten allerdings Rheinen, als liefse fich
der Herr Verf. durch feinen apologetifchen Zweck hie
und da auf nicht ganz haltbare Pofitionen drängen und
verwerthete die evangelifchen Waffen nicht fo, wie fie
verwerthet werden können. Dies fcheint mir im erften
Brief der Fall zu fein; die Beachtung der Definition von
der perfectio evangelica, wie fie die C. A. Art. 16 u. 27
giebt, würde ihn auf den wefentlich römifchen Begriff
der Vollkommenheit geführt haben, mit dem die Secten
operiren, und die Kraft der Entgegnung würde gewach-
fen fein. Jenes tritt im 2. Brief hervor, der von der
Heiligkeit der Kirche handelt. Denn die begriffliche
Trennung der .heiligen Kirche' und der .Gemeinfchaft
der Heiligen' hat zu ihrer einfachen Confequenz die

Eugen, ,ein ehrlicher Soldat, der faft fein ganzes Leben Secte, fo lehr fich auch der Herr Verf. gegen diefe

in preufsifchen Dienften zugebracht und eine proteftan- Confequenz verwahrt. Zu viel fcheint mfr auch der

tifche Prinzeffin, Friederike Dorothea Sophie von Branden- 4 Brief zu beweifen, wenn derfelbe die Wiedergeburt nach
burg-Schwedt, geheirathet hatte, liefs feine fämmtlichen

zwölf Kinder in der evangelifchen Religion erziehen
.Sein ältefter Sohn Friedrich beftieg 1797 den württembergifchen
Herzogsthron, wurde fpäter Kurfürft und
erfter König unferes Vaterlandes, und die Reverfalien
hatten keine Bedeutung mehr' (S. 10). Heutzutage erinnert
man fich derfelben wieder, denn die Dinge liegen

dem N. T. nur durch die Taufe gefchehen läfst, und
Receptivität und Paffivität find wohl verwechfelt, wenn
dem kleinften Kinde die gröfste Empfänglichkeit für den
hl. Geift zugefprochen und dabei auf das Wirken des
hl. Geiftes im Gebiet des Unbewufsten recurrirt wird.
Dagegen ftimme ich dem Herrn Verf. rückhaltslos zu, dafs
er (S. 69) den Glauben als Bedingung der Taufe ab-