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Ausgabe:

1890 Nr. 16

Spalte:

399-403

Autor/Hrsg.:

Kühl, Ernst

Titel/Untertitel:

Die Heilsbedeutung des Todes Christi. Biblisch-theologische Untersuchung 1890

Rezensent:

Kaftan, Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 189O. Nr. 16.

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andere zu blafs (z.B. S. 1299, 1315, 1326, 1343), wieder
andere unklar und verfchwommen ausgefallen (z. B. S. 1372,
1377, 1381, 1384, 1480). Dafs der Grund diefer Mängel
nicht lediglich in der Befchaffenheit der Handfchrift zu
fuchen ift, bevveifen einige durch Klarheit und Schärfe
ausgezeichnete Blätter (z. B. S. 1347, 1362, 1379, 1400);
aber felbft diefe können einen Vergleich z. B. mit den
mufterhaften Heliogravüren eines Dujardin nicht aushalten
. Es wäre jedoch unbillig, wenn man einen zu
ftrengen Mafsftab hier anlegen wollte, wo es fich nicht
um die Wiedergabe einzelner Blätter, fondern um einen
Band von 284 Seiten handelt.

Berlin. O. v. Gebhardt.

Kühl, Prof. Infp. Lic, Dr. Ernft, Die Heilsbedeutung des

Todes Christi. Biblifch-theologifche Unterfuchung.
Berlin, W. Hertz, 1890. (230 S. gr. 8.) M. 4. —

Die Ausfprüche des neuen Teftaments über den Heilswerth
des Todes Chrifti find der Gegenftand der in diefem
Buch vorgetragenen Unterfuchungen. Abgefehen ift es
mit denfelben auf eine Prüfung der orthodoxen Satis-
factionstheorie an der heil. Schrift. Befonders wird ins
Auge gefafst, ob wirklich auch das neue Teftament überall,
wo es den Heilswerth des Todes Chrifti hervorhebt,
die Heilsnothwendigkeit desfelben einfchliefst, wie das
in jener Theorie der Fall ift und von jener Theorie aus,
als verftünde es fich von felbft, für den Sinn der biblifchen
Ausfagen genommen wird. Durch die Beziehung auf
die orthodoxe Theorie ift namentlich auch der Gang der
Erörterungen beftimmt. Von der Gerechtigkeit Gottes
und ihrem Verhältnifs zum Heilstod Chrifti handelt daher
gleich das erfte Capitel (S. 4—46). Die Gerechtigkeit
Gottes ift aber in der Schrift ein rein formaler, inhaltlich
unbeftimmter Begriff. Es ift dabei ltets an das
Verhaltennach einer Norm gedacht. Was fie im einzelnen j
Fall bedeutet, richtet fich nach der Art und dem Inhalt
diefer Norm. Israel gegenüber liegt die Norm in Gefetz
und Verheifsung. " Infofern deckt fich die Gerechtigkeit
mit der Bundestreue. Aber doch ift eingefchloffen, dafs
fie fich den Abtrünnigen gegenüber als Strafgerechtigkeit
erweift. Diefelbe Bedeutung hat der Begriff im neuen Teftament
, namentlich auch bei Paulus. Nur ift die Norm
in gewiffer Weife eine andere geworden, ift es befonders
im Gegenfatz zur pharifäifchen Vorftellung von diefer
Norm. Nicht mehr der vn^iog s'gywv, fondern der vöuog
nioretog (Rom. 3, 27) ift entfcheidend. Nämlich auf die
Leiftung des Glaubens hin will Gott im neuen Bund feine
Gnade fchenken, der Tod Chrifti ift die Offenbarung diefer
neuteftamentlichen Ordnung, Offenbarung der Gerechtigkeit
Gottes daher weil das Verhalten nach einer beftimm- I
ten Norm. Und zwar verfteht Kühl den eigentümlich
paulinifchen Begriff der di/.cuoovviq ÜsoC (Rom. 1, 17; 3,
20 etc.) überall von der göttlichen Eigenfchaft der
Gerechtigkeit Gottes. Selbft die Stelle 2 Cor. 5, 21 glaubt
er in diefem Sinn verliehen zu können. Sein Refultat lautet,
dafs damit nur eine Thatfache angekündigt, aber nicht
die Frage beantwortet ift, warum Gott folche Folgen an
den Tod Chrifti knüpfen konnte, gefchweige die Frage
nach der Heilsnothwendigkeit diefes Ereignifses. Ebensowenig
(Cap. 2 S. 47—58) ergiebt fich eine Antwort
hierauf aus den Ausfprüchen über den Zorn Gottes. Die
Beziehung des göttlichen Zornes zum Tode Chrifti ift
lediglich die, dafs die Nothwendigkeit der (zukünftigen)
Zornesoffenbarung für diejenigeu aufgehoben wird, an
welchen der Tod Chrifti feinen Zweck erreicht. Auch
die Deutung des Todes Chrifti als Sühnopfer (Cap. 3
S. 59—86) führt nicht weiter. Das Sühnopfer bringt
im alten Bund zum Ausdruck, dafs nur der Entfündigte
dem heil. Gott nahen darf, es bewirkt Vergebung, weil
Gott es fo geordnet hat, und im freiwilligen Entfchlufs
zum Opfer auf Seiten des Darbringenden die von Gott

geforderte Anerkennung und das Bekenntnifs der Sünde
liegt. Auf den Tod Chrifti übertragen macht es die ähnlichen
Beziehungen der neuteftamentlichen Gnadenordnung
verftändlich, beantwortet aber jene Fragen nach
dem Warum und der Nothwendigkeit jenes Ereignifses
keineswegs. Die Deutung des Todes Chrifti als Löfe-
geld (Cap. 4, S. 87—102) erweift ihn als eine für Gott
werthvolle Leiftung, auf welche hin diefer die Vielen aus
dem Schuldverhaft der Strafe und des Todes entläfst.
Auch tritt deutlich hervor, dafs es der vollkommene Ge-
horfam Chrifti, deffen Bewährung im Tode ift, der diefen
für Gott fo werthvoll macht. Aber auch hier bleibt
dunkel, warum er folche Folgen daran hat knüpfen können.
Die Idee vom ftellvertretenden Sündetragen endlich (Cap. 5

5. 103—129) wird nach Jef. 53 auf den Tod Chrifti angewandt
. Dadurch tritt er in das Licht, dafs er noth-
wendig wurde in der Durchführung der Lebensaufgabe
Chrifti, dafs Gott das nicht hinderte, fondern förderte,
und nun aus Gnaden ihm folchen Werth und Erfolg für
das Heil der Menfchen verlieh. Eine endgiltige und befriedigende
Antwort ift auch das nicht. Indeffen weifen
diefe beiden letzten Gedankenreihen auf den Zufammen-
hang des Lebenswerkes Chrifti hin. Diefen wird man
ins Auge zu faffen haben, um feftzuftellen, was den Tod
Chrifti fo werthvoll machte. Demgemäfs wird nun im

6. Capitel (S. 130—142) verfahren. Und zwar ergiebt
fich, dafs der Tod Chrifti, in welchem die höchfte Offenbarung
der Liebe Gottes mit der ftärkften Bethätigung
der menfchlichen Sünde zufammentrifft, eben deshalb
das Mittel ift und fich als folches gefchichtlich erwiefen
hat, die Bufse in den menfchlichen Herzen zu wecken,
welche Bedingung der Umkehr ift: daher hat Gott gerade
an den Tod des Herrn die Sündenvergebung geknüpft; er
konnte es, weil diefer Tod als das zureichende Mittel
zur Weckung der Bufse die Erreichung des göttlichen
Zwecks verbürgte. Im 7. Capitel (S. 143—189) folgt eine
Betrachtung über diefen Zweck Gottes, über Verformung
und neues Leben. Und zwar verfteht Kühl den paulinifchen
Begriff der -/.arakkay^ wie Ritfehl von der Verformung
der Menfchen mit Gott (nicht Gottes mit den
Menfchen), betont aber, dafs nicht mit Ritfehl an einen
moralifchen Act der Menfchen zu denken fei: diefer
moralifche Act fei die durch den Tod Chrifti gewirkte
fiträvota, die Verföhnung fei Gabe Gottes, die durch
den heil. G eift fubjectiv vergewifferte Sündenvergebung.
(Beiläufig bemerkt ift der Unterfchied zwifchen der von
Kühl vorgetragenen Anficht und derjenigen Ritfchlskaum
der Rede werth. Die ftarke Betonung desfelben ent-
fpricht daher dem wirklichen Sachverhalt nicht und wäre
beffer unterblieben.) An diefe Mittheilung des Geiftes,
welche zur Verföhnung führt, fchliefsen fich dann die
ethifchen Folgen, fchliefst fich das neue Leben an, ohnedafs
darin jedoch eine unmittelbare Wirkung des Heilstodes
Chrifti zu erkennen wäre. Endlich wird im 8. Capitel
(S. 190—225) die Nothwendigkeit des Todes Chrifti als
Heilsmittel dargelegt. Mit einer gefchichtlichen Betrachtung
wird dabei eingefetzt: der Tod Chrifti war noth-
wendig in der gegebenen Situation, er war nothwendig
in der göttlichen Offenbarungsökonomie, er war es —
die Sünde und den göttlichen Heilszweck vorausgefetzt —
in der Univerfalgefchichte. Aber was ihn fo gefchichtlich
nothwendig machte, die Sünde der Menfchen, hat
ihn auch als Fleilsmittel nothwendig gemacht: nur dadurch
konnte die fierdvoia hervorgerufen werden, wie
in Cap. 6 gezeigt worden ift.

Als eine biblifch-theologifche Unterfuchung bezeichnet
der Verf. feine Erörterungen. Ob fie das wirklich
find? Wir verliehen doch unter einer folchen eine ob-
jective Ermittelung und Darftellung des gefchichtlich
Gegebenen. Hier dagegen ift die dogmatifche Reflexion
von Anfang an mitbeftimmend und wird es im Lauf der
Unterfuchung immer mehr. Deshalb fcheint mir jene
Charakteriftik nicht zutreffend zu fein. Das wäre nun