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Ausgabe: | 1890 Nr. 14 |
Spalte: | 360-361 |
Autor/Hrsg.: | Hüpeden, Gust. |
Titel/Untertitel: | Die menschliche Freiheit und ihre Beziehung zum christlichen Glauben 1890 |
Rezensent: | Besser, M. |
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Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 14.
360
de l'Histoire du Protestantisme francais. Paris, Fifch-
bacher, 1889. (CLI, 432 S. 8.)
Mit dem Namen Chambre ardentc bezeichnet man
die befondere Kammer (Senat) des Parifer Parlaments,
welche K. Heinrich II. am 8. Octbr. 1547 einfetzte, ,um
die falfchen und irrigen Lehren und Ketzereien auszurotten
'. Bis 10. Januar 1550 tagte das Tribunal, um dann
feine Thätigkeit für einige Zeit der gewöhnlichen Crimi-
nalabtheilung des Parlamentes zu übergeben; in diefer
nicht allzulangen Zeit wurden nicht weniger als minde-
ftens 366 Urtheilsfprüche von ihm gefafst, deren Wortlaut
noch erhalten ift; von einer wohl ebenfo grofsen
Zahl ift er verloren gegangen oder vernichtet worden;
denn in den noch vorhandenen Regiftern fehlen 11 Monate
und der Herausgeber glaubt annehmen zu dürfen, dafs
diefe Lücken nicht zufällig find. Von diefen Urtheils-
fprüchen find nur die wenigften freifprechend, die überwiegende
Mehrzahl rechtfertigt den verhängnifsvollen
Namen des Gerichtshofes nur allzufehr; denn überall,
wohin die Gerichtsbarkeit des Parifer Parlamentes fich
erftreckte, loderten die Scheiterhaufen, und mehr als irgend
etwas anderes beweifen diefe Ketzerproceffe die grofse
Verbreitung, welche die lutherifche Secte, um in diefen
Namen alle Anhänger der Reformation einzufchliefsen,
in diefem Zeiträume in Frankreich gewonnen hatte. Und
doch waren alle die furchtbaren Anftrengungen vergeblich
; denn fchon im J. 1553 fall fich Heinrich II. veran-
lafst, auf's neue eine folche befondere Inquifitionskammer
einzurichten. Mit Feuer und Schwert hat die erfte ihren
Namen in die Gefchichte des franzöfifchen Proteftantis-
mus eingefchrieben; fie war es wohl werth, Gegenftand
einer befondern Unterfuchung zu fein. Der gefchichts-
kundige und verdiente Herausgeber des Bulletin de la
societe de l'histoirc du Protestantisme francais hat uns mit
einer höchft werthvollen Studie befchenkt. Sie enthält
weit mehr, als der Titel verfpricht, mehr als die graufen
Einzelnheiten, welche die wie Regentropfen unaufhörlich I
einander folgenden Urtheilsfprüche zu geben fcheinen.
In einer ausführlichen Einleitung werden Franz I. in feinen
letzten und Heinrich II. in feinen erften Regierungsjahren
gefchildert; befonders für Heinrich II. fällt das Ürtheil
des Verfaffers ungünftig aus, und wenn er diefen bigotten
König tiefer ftellt, als manche andere Gefchichtfchreiber,
fo hat er m. Er. keinen Fehltritt begangen; dem folgt
eine Schilderung der Zufammenfetzung und des Verfahrens
der chambre ardentc, fowie eine zufammenfaffende
Darfteilung ihrer Gefchichte und Thätigkeit. Den Haupt-
theil des Buches aber bilden die Urtheilsfprüche, welche
das Parifer Parlament und die dazu gehörige Chambre
vom April 1547 bis März 1550 gefällt hat, z. Th. völlig
dem Wortlaute nach, theilweife auch nur im Auszug.
Wohl kann man fagen, das ewige Einerlei der Verurteilungen
, der Abbitten (amcnde honorable), der Auspeitfch-
ungen, Verftümmelungen und Hinrichtungen mit ihren
fchrecklichen Einzelnheiten hat etwas Ermüdendes und
Abftofsendes, aber für den Forfcher in der früheften Gefchichte
des franzöfifchen Proteftantismus ift hier ein
unendlich reicher Stoff vereinigt, wovon vieles bisher entweder
ganz unbekannt oder nur theilweife und ungenau
bekannt war. Die Gerichtsbarkeit des Parifer Parlamentes
erftreckte fich nicht ganz über den 4. Theil des damaligen
Frankreich, fo treffen die Urtheilsfprüche die Bewohner
der verfchiedenften Landestheile, und man gewinnt dadurch
einen Einblick in die mächtige Verbreitung der
neuen Secte; denn der Rückfchlufs aus der Zahl der
Verhafteten und Verurtheilten auf die freibleibenden Bekenner
ift gewifs geftattet. In jener Zeit hatten die Anhänger
Luther's und Calvin's fich noch nicht zu eigentlichen
Gemeinden zufammengefchloffen, und es war der
Gefchichtfchreibung bisher beinahe unmöglich, den Spuren
des Entftehens derfelben nachzugehen; jetzt befitzen wir j
wenigftens für einen Theil von Frankreich einen ficheren I
Wegweifer dazu. Intereffant dabei ift, wie die Reformation
damals ihre Anhänger befonders in dem Bürger-
ftande, zumal in der niederen Schichte desfelben, gewann;
wenig Beamte finden fich unter den Verurtheilten, faft
gar keine Adeligen, dagegen manche Künftler und hinwiederum
eine grofse Zahl von Geiftlichen und Mönchen;
allerdings find auch hier keine hervorragenden Namen
vertreten. Die Graufamkeit, mit welcher verfahren wurde,
befonders unter dem Präfidium des fanatifchen P. Lizet,
ftreift nahe an die fpanifche; es fehlte nicht an wahrhaften
Autodafes; auf der Place Maubert in Paris, die f°
manchen Ketzer ftcrben fall, wurden am 1. Aug. 154"
4 Scheiterhaufen, in Langres am 3. Sept. desfelben Jahres
fogar 8 zu gleicher Zeit angezündet! Bei vielen Proceffen
weifs man nicht, wo und wie das Urtheil ausgeführt wurde,
aber nur allzu ficher erfteht aus dem Mitgetheilten die Ge-
wifsheit: Jene Jahre bekunden deutlich die Abneigung, J*
man wird wohl fagen dürfen den Hafs, welchen Hof und
Parlament, Sorbonne und Univerfität, ganz befonders aber
die gute Stadt Paris der neuen Lehre entgegenbrachten.
— Eine treffliche unentbehrliche Fundgrube für jene Zeit
ift fo das Buch von Weifs; vermehrt wird fein Werth
durch ein genaues Regifter und durch viele überall zer-
ftreute, aber zuverläffige Anmerkungen, welche über dies
und jenes Auskunft geben, wonach fonft oft lange und
vergeblich gefucht werden mufs. Dazu rechnen wir befonders
auch, dafs die Namen der Plätze, Strafsen etc. des
damaligen Paris und anderer Orte durch die Angabe der
jetzt geltenden Benennung, hie und da auch durch eine
hübfehe Illuftration erklärt werden. — Nur einen Theil
von Frankreich, nur eine Periode der chambre ardettte
behandelt das vorliegende Buch; da ift der Wunfeh gewifs
gerechtfertigt, der Verfaffer möge die Zeit und den
Stoff finden zu einer weiteren, das Bisherige ergänzenden
und vollendenden Behandlung diefes wiffenswerthen
Gegenftandes!
Stuttgart. Theodor Schott.
Hiipeden, Paft. Lehr. Gull., Die menschliche Freiheit und
ihre Beziehung zum christlichen Glauben. Leipzig, Fock,
1889. (52 S. gr. 4.) M. 1. 20.
Das uralte Problem erfährt hier einen Löfungsver-
fuch, indem die formale Freiheit rundweg abgelehnt und
dagegen die durchgehende Determination des Willens
durch Motive behauptet wird.
Zunächft behandelt der Verfaffer die reale Freiheit,
die er in der Ueberfchrift — das Endrefultat vorausnehmend
— als die wahre Freiheit bezeichnet.
Unter Freiheit verficht der Verf. die Abwefenheit
aller Hemmungen für die Entfaltung der Beftimmung
eines Wefens, oder die confequente Entwickelung eines
Wefens aus feiner eigenen Natur ohne jeden äufseren
Zwang. Nun handelt es fich beim Menlchen nicht fo-
wohl um die phyfifche und intellectuelle, als vielmehr
um die fittliche Freiheit. Nur der durch das Sittengefetz
beftimmte Wille ift der in Wahrheit freie Wille und
wiederum — nur die Beftimmung durch das Sittengefetz
ift im wahrften Sinne des Wortes Selbftbeftimmung-
Da der Menfch aber durch die Thatfachen des Uebels
und der Sünde an der Bethätigung diefer Freiheit ge"
hindert wird, fo ift es allein durch die verlohnende und
erneuernde Wirkung der Offenbarung Gottes in Chrift0
möglich, die wahre Freiheit zu erlangen. Nur in Folge
diefer Befreiung durch Chriftum vermag fich der Menfch
aus dem überweltlichen Zwecke des Reiches Gottes zu
beftimmen, und indem die Welt zum Mittel für diefen
Zweck geprägt wird, die ganze Reihe der aus der
Welt
entfpringenden Motive zu überbieten.
Wer in diefem Sinne frei ift, beftimmt fich zwar
felbft, aber nur dadurch, dafs er fich bindet an Gottes
Willen. Demnach ift diefe Freiheit der formalen Freiheit