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Ausgabe:

1890 Nr. 1

Spalte:

17-18

Titel/Untertitel:

Schlottmann, Erasmus redivivus sive de curia romana hucusque insanabili 1890

Rezensent:

Fay, Friedrich Rudolf

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17

Theologifche Literaturzeitung. 189O. Nr. I.

18

hätte auf letzteres verzichten und auf erfteres fich be-
fchränken follen, können wir jene Klage nicht als berechtigt
anerkennen. Dagegen ftimmen wir ihr infofern
bei, als es zu bedauern ift, dafs Verf. den Plan eines
kirchenrechtlichen Ouellenbuchs, eines Corpus juris
ecclesiastici, den er bei der erften Auflage feines Lehrbuchs
im Auge gehabt hat, ganz aufgegeben hat. Das
Studium des Kirchenrechts ift gerade darum fo befon-
ders fchwierig, weil es an einer zweckmäfsigen Sammlung
von kirchenrechtlichen Quellenftellen fehlt. Wenn
Verf., der dazu wie wenige berufen ift, den Plan, den er
in der erften Auflage feines Lehrbuchs verfolgt hatte,
in einem befonderen Werke zur Verwirklichung zu
bringen fleh entfchliefsen könnte, würde er fleh den
Dank aller derer erwerben, die aufser Stande find, die
Quellen des Kirchenrechts zu ftudieren, und zu feinen
vielen Verdienften um das Studium des Kirchenrechts
noch ein weiteres fügen.

Brackenheim (Württemberg).

Lic. theol. K. Kieker.

Schlottmann, Conft., Erasmus redivivus sive de curia
romana hueusque insanabili. II. Halle, Buchhandlg.
des Waifenhaufes, 1889. (202 S. gr. 8.) M. 4. —

In dem Streite über die Unfehlbarkeit des Papftes
hatten einige Vertheidiger derfelben Döllinger fpottweife
,Erasmus redivivus1 genannt. Dies fcheint, nach I, S. 1
zu fchliefsen, die Veranlaffung gewefen zu fein, dafs der
uns inzwifchen durch den Tod entriffene, hochverehrte
Verfaffer feinem vorliegenden Werke, deffen zweiter nicht
ganz, doch nahezu vollendeter Theil zu befprechen ift,
diefen Titel gegeben hat, dem er zur Erläuterung noch
hinzufügte: ,sive de curia romana hueusque insanabili1.
Schlottmann fleht nämlich in Erasmus den Vertreter des
,catholicismus spiritualis' (II S. I, 2) im Gegenfatze zu dem
,catliolicismus pliarisaicus et camalis- der Jefuiten. ,Hi igi-
tur phansaici cujusdam et canialis catholicismt summi
artifices, in Er asm o spiritualem, quem praedieaverat, catho-
licismum atrocissimo odio persecuti sunt. Diefer catholicis-
mus spiritualis, den man mit Recht auch fchon als Ideal-
katholicismus bezeichnet hat, lebt, nachdem er in der
römifch-katholifchen Kirche vollftändig unterdrückt worden
ift, im Altkatholicismus, deffen hervorragendfter
Fuhrer f. Z. Döllinger war, wieder auf. Diejenigen alfo,
welche Döllinger fpottweife ,Erasmus redivivus1- genannt
haben, willen nicht, dafs fle damit ein gewichtiges Zeug-
nifs gegen fleh felblt und für die Wahrheit ablegen
(qui ita loquuntur ignorant, quam grave dicant testimonium
contra se ipsos et pro verdate I, S. 2).

Nachdem nun Schlottmann im erften Theile feines
höchft verdienftlichen Werkes das Bild des für den ,geiftigen
Katholicismus* Breitenden Humaniften gezeichnet hat, will
er in diefem Theil zeigen, welches Gefchick dem Geilte
des Erasmus bei den Römifch-Katholifchen befchieden
war: Jam igitur, postquam ipsius Erasmi pro catholicismo
quodam spirituali pugnanüs imaginem adumbravimus, quae-
nam apud Romano-catholicos Erasmici ingenii fata fuerint
explicabo' (II, S. 3). Die Unterfuchung, die mit der Reformationszeit
beginnt und mit den Beftrebungen des
gegenwärtigen Papftes Leo's XIII, die Philofophie des
I homas von Aquin zur Philofophie der Gegenwart zu
machen, fchliefst, kommt zu dem unzweifelhaft richtigen
Ergebnifse. dafs die erasmifche Richtung in der vati-
kanifchen Kirche vollftändig unterdrückt und nur noch
im Altkatholicismus, für den unfer Verf. wie früher fo
auch jetzt warm und entfehieden eintritt, vorhanden ift.
Hit dem ihm eigenthümlichen, weiten Blicke beherfcht
Schlottmann das ganze Gebiet, deffen Durchforfchung
er fich zur Aufgabe gemacht hat. Als befonders gelungen
"lochten wir das fünfte Capitel bezeichnen (S. 69—167),
dem eine ähnliche treffliche Ueberfetzung in's Deutfche

zu wünfehen wäre, wie fle in Folge der über unferen
verewigten Freund im preufsifchen Abgeordnetenhaufe
von der Centrumspartei erhobenen Befchwerden im
Jahre 1882 Prediger A. J. J. Jacobi vom zweiten Capitel
des erften Theiles unter dem Titel: ,Der deutfche Gewiffenskampf
gegen den Vatikanismus' (Halle a. S.,
Verlag der Buchhandlung des Waifenhaufes) gegeben hat.
Diefes eben erwähnte fünfte Capitel unferes Theiles enthält
' nämlich fowohl eine äufserft lebendige und lehrreiche
Schilderung des Concils von Trient, als auch eine
wahrhaft ergreifende Charakteriftik Galilei's, die befonders
darum fo tiefen Eindruck macht, weil dem berühmten
italienifchen Vertheidiger des kopernikanifchen Sonnen-
fyftems unfer Kepler, der deutfche Protestant, entgegengestellt
wird und zwar mit dem gröfsten Gefchick. Hier
wird unwiderfprechlich gezeigt, wie der mehr und mehr in
Italien um fleh greifende jefuitifcheGeift auch einen fo fcharf
beobachtenden und klar denkenden Mann, wie Galilei, zur
Heuchelei, zur Unwahrhaftigkeit und fchliefslich, als er fle-
benzigjährig an Leib und Seele gebrochen war, zur eidlichen
Ableugnung feiner Ueberzeugung führte, während
Kepler, ob auch felbft vielfach angefochten und verfolgt,
aber der Stimme feines Gewiffens unbedingt Folge leistend,
feiner Anlchauung bis zu feinem Ende treu bleibt und
zu derfelben fleh freudig bekennt. So fchreibt er denn
auch gelegentlich in einer Vorrede ,ad bibliopolas prae-
sertim exteros1 die fchönen Worte: ,Scripsi haec homo
Germanus, more ac libertate Germanica; quae quo major
est, hoc plus fidei conciliat ingenuitati philosophantium.
Christianus tarnen sum, ecelesiae filius et doctrinam catho-
licam (wie bei Luther f. v. a. christiauam), quantum ejus
ad hanc usque meam aetatem capere potui, non voImitate
tantum amplector sed etiam judicto comprobo' (S. 150. 151).
So Kepler; von Galilei aber fagt unfer Verfaffer: ,Men-
dach Spiritus jam diu in ecclesia Romana vigens, qui in
ipsum invitum magis magisque quasi contagione transierat,
nunc ad dirum ac foedum perjurium eum protrusit. Tor-
tura spiritualis erat, corporaliatrocior(S. 141). Des,Epursi
muove1 wird nicht gedacht, nicht einmal in einer Anmerkung
. Schlottmann hält alfo die Worte, wie jetzt
gewöhnlich angenommen wird, für unverbürgt. Indeffen
ift diefe Sage für Galilei gerade fo charakteriftifch, wie
für Luther die Erzählung vom Tintenfaffe, das er auf
der Wartburg dem Teufel an den Kopf geworfen habe.

Wenn Schlottmann theils im erften Theile des Erasmus
redivivus, theils im Vorworte zu Jacobi's Ver-
deutfehung des zweiten Capitels jenes Theiles versichert,
dafs er aufrichtig darnach getrachtet habe, dem Frieden
zu dienen, der ohne Wahrhaftigkeit nicht einmal in rein
bürgerlichen Angelegenheiten zu erreichen und zu erhalten
fei, gefchweige in folchen, die mit der Religion
zufammenhingen (a. a. O. S. XLVIII;, fo müffen auch wir
bekennen, dafs wir von dem ganzen Werke diefen Eindruck
empfangen haben. Wer den vollendeten Verf.
perfönlich kannte, wie es auch dem Ref. vergönnt gewefen
ift, weifs, dafs er mit der strengsten Gewiffenhaf-
tigkeit stets darauf bedacht war, niemandem, auch dem
fchroffften Gegner nicht, unrecht zu thun. Anderfeits
aber stand ihm, als einem echten und treuen Sohne der
rothen Erde, nichts höher als die Wahrheit, weshalb er
auch beiden Theilen feines Er. red. 2 Cor. 13, 8 als
Wahlfpruch vorgefetzt hat. Für die Wahrheit fchwang
er ohne Leidenfchaft, in Sanftmuth muthig, das Schwert
des Geistes bis zum letzten Augenblicke feiner reich ge-
fegneten Wirkfamkeit, die er in Berlin begann, in Konstantinopel
, Zürich und Bonn fortfetzte, in Halle im Spät-
herbfte 1887 in FYieden vollendete. Hove pia animal

Krefeld. F. R. Fay.