Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1890 Nr. 14

Spalte:

353-357

Autor/Hrsg.:

Döllinger, Joh. Jos. Ign. v.

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters. 2 Thle 1890

Rezensent:

Mueller, Karl

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

353

Theologifche Literaturzeitung. 1S90. Nr. 14.

354

^gende betreffend waren fie, wie er meint, auch durch

'xeront's Luch nicht überflüffig gemacht.
Gr ^°^er druckt die lateinifchen Cyriacus-Acten auf
saeci£tsfod- Paris- lat- J769 (Co/6. 3653. Reg 423S, 3)
dem ° PH mit einem kritifchen Commentar, in
Wolf "k0*1 vier weitere Handfchriften aus St. Gallen,
her kültel, Karlsruhe und Leiden zur Vergleichung
■/angezogen werden. Es folgt ein Abdruck des löyng
*3JS evQtoetug rov %miov xai 'Cworroiov aravQov nach
27te, r (pPP-IIp. 417—425), der den cod. graec. monac.

7 benutzte. Dann ein lateinifcher Hymnus de saneta
aus dem 5. Jahrh. (vgl. Mone, latein. Hymnen L
m 1'4—137). Endlich eine Zufammenftellung der testi-
r°'lla Vctemm über die inventio sanetae crucis von Cyrill's

atechefen bjs auf Gregor von Tours und die Vita
de I'Modori Siceotae (f 22. April 613). Nertle, der Hol-
f Ts Heft bereits kannte, hat auf eine ähnliche Zu-
r fnnienftellung verzichtet, und nur, was bei Holder
b' > r>e'ne zwe'malige Erwähnung des h. Grabes in Eufe-

ius Pfalmencommentar, fowie aus dem Leben des Epi-
knanms von Cypern {edid. Petavius Paris 1622 fol. II,
•yj.340) eine doppelte Erwähnung des Kreuzes aufgeführt,
' le neben den Nachrichten Cyrill's als älteftes Zeugnifs
*u gelten hätte, wenn die Biographie zuverläffig wäre',
in H <~lnd UDerzeilgt, dafs Neftle's Schrift dem, der
w' (,er z^rrbunft die Unterfuchungen im Zufammenhange

'eder aufnehmen will, die berten Dienfte leiften wird.

G>efsen. G. Krüger.

"öllinger, Ign. v., Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters
. 2 Thle. München, Beck's Verl., 1890. (VII,
259 u. IX, 736 S. gr. 8.) M. 25. —

q Mit Spannung hatte man längft dem Erfcheinen einer
^efchjcnte der mittelalterlichen Secten aus der Feder
ollinger's entgegengefehen. Man wufste auch, dafs ein
Amtlicher Band von Urkunden dazu längft gedruckt war.
urimehr iff diefer ganz, die Darltellung aber nur in einem
'einen Bruchftück erfchienen. Sie umfafst nur die Gerichte
der gnoftifch-manichäifchen Secten und auch
lefe nur während des frühen Mittelalters.

Ich fchicke fogleich voraus, dafs ich diefen Bd. 1
Jü't nicht unbedeutender Enttäufchung gelefen habe.
Jeder, der Döllinger's Akademifche Vorträge, die zum
ßrofsten Theil feinen letzten Lebensjahren entflammen,
SHefen hat, wird von der Schönheit und dem glänzenden
Flufs der Darftell ung, von der Feinheit und Abrun-
Ung der Charakteriftik hingeriffen gewefen fein, der wird
J er auch von der breiten, oft ungelenken und nachläffigen
Prache. ebenfo wie von fachlichen Mängeln diefer ,Bei-
rage' überrafcht fein. Jedoch das, was hier in der Oeffent-
'chkeit erfcheint, ift zum Theil feit faft 30 Jahren ge-
^hrieben und fo ift der Abftand diefer Arbeit von jenen
°rträgcn aus den letzten Jahren D.'s doch nur ein Zeuge
°n der wunderbaren Geiftesfrifche des 80- und 90jährigen,
. er zu immer gröfserer Reife und Weite des Blicks und
j nmer vollkommenerer Ausbildung auch nach der künft-
r'fchen Seite der gefchichtlichen Leiftung fortgefchrit-
ien war.

V enn ich nun zum Einzelnen übergehe, fo haftet
ein Intereffe zumeift an der Frage nach der Ent-
ehung des Katharerthums. Gegenüber der theilweife
^och aus der Luft gegriffenen Conftruction Schmidt's,
zu bier D. wieder zu der früheren Anfchauung
]j„rück, welche die Katharer aus älteren gnoftifch-dua-
eichen Secten ableitet und für jeden der beiden Haupt-
r ,me einen befonderen Urfprung annimmt, für die abtüten
Dualiften (Albanefen, Albigenfer) die Paulicianer,
der c halben (Concoreggier, Bagnolefen etc.) die aus
n Euchiten hervorgegangenen Bogomilen.

Hie Capitel über die Paulicianer (S. 1—24) kön-
n gegenüber von Giefeler's grundlegender Abhandlung
(StKr. 1829) und Neander's Darftellung in feiner
KG nur ganz wenig neues bringen: es find eben diefel-
ben Quellen (Photius und fein Zeitgenoffe Petrus Siculus),
auf welche beide fich faft ausfchliefslich angewiefen feheii.
Auch die Herkunft der P. von den Marcioniten nimmt
D. nach G. an. Dagegen enthält das Capitel über die
armenifchen Paulicianer mehr neues, wenn auch fchon
Windifchmann in Th. Quartalfchr. 1835 bef. S. 25ff.

— D. beruft fich auf ihn natürlich fo gut wie auf Giefeler

— aus den beiden Hauptquellen Johannes von Ozun
und Tfchamtfchean Mittheilungen gemacht hatte. Cap. 4
befchäftigt fich mit den Bogomilen und ihren Vorgängern
den Euchiten, nach den bekannten Quellen ohne
neue Ergebnifse. Die Abhandlung von J. G. V. Engelhardt
(KGliche Abhdl. S. 151fr.) fcheint D. unbekannt
geblieben zu fein. Den Auffatz von Jacob i (ZKG. 9, 507)
hat er auch nicht mehr benutzen können.

Fafst man nun das von D. etwas zerfplittert gegebene
Material in ein einheitliches Bild zufammen und
verbindet es mit dem, was fonft bekannt ift, fo ergiebt
fich etwa Folgendes. Im örtlichen Grenzgebiet des alten
römifchen Reichs haben fich feit etwa dem 3. und 4.
Jahrhundert jene Refte dualiftifch-chrirtlicher Bildungen
aus dem fynkretiftifchen Procefs niedergelaffen, die aus
den inneren Provinzen des Reichs hinausgedrängt waren.
Dort auf dem älteften Boden der Mifchung der Racen,
Culturen und Religionen haben fie fich Jahrhunderte lang
unter der einheimifchen Bevölkerung erhalten und mehr
und mehr mit deren phantartifcher Naturreligion erfüllt,
aber auch durch die Arbeit hervorragender Perfönlich-
keiten theilweife felbrtändig weiter entwickelt. Zwei
diefer Secten werden für das Abendland von Bedeutung,
die Paulicianer und die Euchiten. Jene entwickeln fich in
ihren alten Sitzen, an der Grenze der byzantinifchen und
der arabifchen Herrfchaft im nordörtlichen Syrien und
in Armenien, zu einer unruhigen, mit den Stammesge-
noffen jenfeits der Grenze confpirirenden, räuberifch-
kriegerilchen Grenzbevölkerung, die den ,Römern' d. h.
den katholifchen Byzantinern viel zu fchaffen macht und
darum fchliefslich in zwei Schichten, Mitte 8. und nach
Mitte 10. Jahrh.'s — beiläufig gefagt, offenbar beidemal
im Zulämmenhang mit den Reichskriegen gegen die
Bulgaren — nach Thracien verpflanzt wird, um dort ihre
Kraft als Grenzwehr gegen die Slaven nutzbar zu machen.
Dorthin find aber gleichfalls um die Mitte des 8. Jahrh.'s
wie nach der Mitte des 10. Jahrh.'s auch die Mitglieder
der euchitifchen Secte aus dem örtlichen Kleinafien und
Syrien verpflanzt worden und nun breiten fich beide zufammen
in diefen fchon von Slaven erfüllten Gebieten
aus. Die Euchiten erhalten unter diefer flavifchen Bevölkerung
die ihnen in Maffe zufällt, fpäteftens am Ende
des 11. Jahrh.'s den Namen Bogomilen, Gottesfreunde.

Hier treten nun aber fofort Schwierigkeiten ein,
deren Löfung ich weder bei D., noch bei einem feiner
Vorgänger angefafst finde. D. fieht nämlich, wie gefagt,
in den beiden Zweigen der Katharer die unmittelbare
Fortfetzung jener beiden Sekten. Allein fo einfach läfst
fich das unmöglich annehmen. Die Paulicianer haben
nämlich — worauf D. felbft S. 22 aufmerkfam macht —
noch zur Zeit des Photius und Petrus Siculus — alfo im
9. Jahrh. — gerade das nicht, was die Grundlage des
ganzen Katharerthums bildet: die Verfaffung in einer
Gemeinfchaft von ,Vollkommenen', die ehelos, arm, unftät
und in rtrengfter Enthaltung von der Welt leben und fo
die religiöfe Verforgung ihres weltlichen Anhangs, der
credentes, unternehmen. Andererfeits zeigen die Euchiten
bis einfchliefslich Johannes Damasc. keine fpeeififeh dua-
liftifchen Züge. Sie find vielmehr enthufiaftifche Afketen
vom Schlag der Derwifche.

Ift alfo die Annahme, dafs das Katharerthum von
diefen Secten abdämme, richtig und haben keine weiteren,
uns unbekannte, Pactoren mitgewirkt, fo muffen fich in
ihnen bis zum Ende des 10. Jahrh.'s, dem Anfang der