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Ausgabe:

1890 Nr. 1

Spalte:

352-353

Autor/Hrsg.:

Nestle, Eberhard

Titel/Untertitel:

De Sancta Cruce. Ein Beitrag zur christlichen Legendengeschichte 1890

Rezensent:

Krüger, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 14.

geben; es erhebt fich nirgends über das Niveau höchft
fubjectiver Velleitäten.

Mit dem Gefagten foll dem vorliegenden Werk keineswegs
eine gewiffe Bedeutung im Zufammenhang der den
Evangelien gewidmeten Forfchungen aberkannt werden.
So wenig dem Verf. die brüchigen Stellen feiner eigenen
Hypothefe zu Bewufstfein kommen (er bezeugt vielmehr
fortwährend fich felbft den felfenfeften Glauben an die
Unwiderleglichkeit feiner Argumentation; gerade bezüglich
der eben berührten Marotte ,bleibt es dabei', zweimal
fogar auf Einer Seite 130, S. 138 gleich wieder und

5. 140 noch einmal, dafs er Recht hat), fo glücklich ift
er zuweilen im Nachweis der wunden Punkte, welche
die in verwandter Tendenz gefertigten Apparate feiner
Concurrenten darbieten. Gleich die landläufige Theorie,
derzufolge die fynoptifche Literatur den Niederfchlag der
Gefammtüberlieferung bildet, welcher die erft fpät erwachenden
Erinnerungen des vierten Evangeliften nach-
gewachfen fein follten, wird treffend kritifirt: ,nicht die
Erinnerungen, er felbft müfste gefchlafen haben, wenn
das möglich fein follte!' Ja auch alle übrigen Augen-
und Ohrenzeugen, die doch wefentlich das Gleiche erlebt
haben müfsten, wie Johannes, ,werden zum räthfelhaften
Schweigen verurtheilt, ihnen allen, den berufenen Bildnern
der Ueberlieferung wird die Rolle taubftummer oder
wenigftens ftumpffinniger Statinen zugefchrieben. Es kann
nichts Unlebendigeres, nichts Widerfinnigeres erfonnen
werden' (S. 12, vgl. S. 130h l62f.). Gewifs! Nur gilt das-
felbe Urtheil, fobald die Hinfälligkeit feiner Vereinfeiti-
gungstheorie erkannt ift, im höchlten Mafse auch bezüglich
der eigenen Theorie, die auf Grund zweier apofto-
lifcher Zeugnifse eine fo mangelhafte Kunde vom Leben
Jefu (vgl. S. 103 f.) entftehen läfst. Um fo treffender be-
urtheilt er freilich alle vorgängigen Verfuche, die ,Verein-
feitigung' als eine frei gewollte, durch irgend einen Plan
bedingte zu erklären (S. 106—134). Nicht minder im Recht
ift der Verf., wenn er gegen Zahn die Bezeichnung der
Redequelle als Logia aufrecht erhält (S. 201 f.) und gegen
Weifs zwar die Möglichkeit, dafs die Redequelle auch
im kanonifchen Marcus benutzt fei, zugiebt, aber auch
aus folcher Bekanntfchaft jedenfalls nur ,eine ganz beiläufige
Benutzung' ableitet (S. 27. 2iof.), wenn er Hand-
mann's Erhebung des Hebräerevangeliums zum Urevan-
gelium (S. iölf.) und die viel zu weit gehenden Folgerungen
abweift, welche Refch aus feiner Sammlung
von Herrnfprüchen, die felbft wieder fehr der Sichtung
bedarf, zieht (S. 143 f.) und der von letztgenanntem Gelehrten
verbuchten Reconftruction eines Urevangeliums auf
Grund der gefammten altkirchlichen, ja z. Th. fogar
aufserkirchlichen Literatur entgegentritt (S. 203 f.). An-
dererfeits ift der Verfuch, gegen Refch auch johanneifche
aygarpa nachzuweifen (S. 157h), mifsglückt. Ebenfo wird
gegen das Unternehmen, den Marcus durch Verlängerung
oder Verkürzung zum Urmarcus umzuftempeln, manches
Treffende und auch Neue bemerkt (S. 165—180). Aber
er felbft wandelt ja im Grunde denfelben Weg, und zwar
erfichtlich im Intereffe feiner Hypothefe, fofern ihm, wie
oben gezeigt, gleich die erften Worte, die er im Mc. lieft,
unbequem werden. Vollends die Ausmerzung von 7, 24
—8,26 (S. 26. 177—189) hat ihren Anhalt nur in manchen
fprachlichen Eigenthümlichkeiten des Abfchnittes (S. 184
—188) und in der bekannten, vom Verf. aber nicht geltend
gemachten (S. 181 f.), Thatfache eines Mc. 8, 1—26 =

6, 34—7, 37 vorliegenden Doppelberichtes. Hauptargument
ift natürlich die ,grofse Auslaffung bei Lucas' (S. 182).
Aber diefe letztere betrifft ja auch Mc. 6, 45—7, 23,
während Mt. den ganzen Paffus einfchliefslich der angeblichen
Interpolation im Mc. hat (S. 198). Alfo fanden
beide Evangeliften die Interpolation fchon vor; aber nur
Lc. erkannte fie als folche und ftrich bei diefer Gelegenheit
gleich mehr als gut war. ,Gewifs, es find das Hypo-
thefen' (S. 199), oder vielmehr Einfälle. Eine wirklich
pofitive Leiftung, welche Anlafs zu eingehender Prüfung

fowohl des Materials als der gezogenen Folgerungen dar-
bietet, liegt in dem Abfchnitt über die Redefammlung
vor (S.213—246). Diefer ift meift methodifch und correct
gearbeitet, und auf ihn gedenkt der Unterzeichnete, der
ihm manche Beobachtung verdankt, wohl auch fpäter
noch zurückzukommen.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

1. Nestle, Eberh., De Sancta Cruce. Ein Beitrag zur chrift-
lichen Legendengefchichte. Berlin, Reuther, 1889.
(VIII, 128 S. gr. 8.) M. 4. —

2. Holder, Alfr., Inventio sanctae crucis, Actorum Cyriaci
pars I. latine et graece, ymnus antiquus de sancta
cruce, testimonia inventae sanctae crucis, conlegit et
digessit A. H. Leipzig, Teubner, 1889. (XIII, 56 S. 8-)
M. 2. 80.

In Nr. 5 diefes Jahrgangs habe ich die Publication
von Amiaud befprochen, welche den Nachweis erbringt)
dafs die Alexiuslegende in ihrer jetzigen fyrifchen Ge-
ftalt nur auf dem Umweg über griechifche und lateinifche
Texte entftanden ift, die wieder auf ein urfprünglich
fyrifches (edeffenifches) Original zurückweifen. Aehnlich
liegt es nach den Unterfuchungen Duchesne's (Libef
Pontificalis S. CIX ff. bef. § 57) bei der Sylvefterlegende;
und Holder fagt von dem lateinifchen Text der Kreuzesauffindung
, den er publicirt: ut Romana narratio a Graeca,
ita haec cum vita s. Silvestri ab Edessena Mesopotamien
originem traxit. Mit der Gefchichte und Ueberlieferung
der Legende von der Kreuzesauffindung war N eitle feit
einer Reihe von Jahren befchäftigt. Leider hat er ,bei
vielen Wochenftunden und kurzen Ferien, ohne eine
gröfsere eigene oder fremde Bibliothek' den Gedanken,
feine Unterfuchung fortzufetzen und zu Ende zu führen
ganz aufgegeben. Jedenfalls fehr zum Schaden der Sache:
denn Neftle hatte ein reiches, ja in der Sammlung der
Literatur vollftändiges Material aufgefpeichert. Aus diefem
macht er in feiner Monographie Mittheilungen, die doch
nur die Luft nach mehr erwecken können, ohne zu befriedigen
. Er druckt feine Unterfuchungen, foweit er fie
im Jahre 1881 geführt hatte, ab und hört mitten im Satze,
ja mitten im Worte auf, wie er damals aufgehört hatte.
Die wenigen Blätter, die wir fo erhalten, befchäftigen
fich mit der Vergleichung der verfchiedenen Berichte über
die Kreuzesauffindung (zunächft der Handfchriften), ohne
fie zu Ende zu führen. Sie allein zu veröffentlichen
wäre N. nicht berechtigt gewefen, fo hat er denn feine
gefammelten literarifchen Materialien hinzugefügt und
aufserdem die drei fyrifchen Texte zur Kreuzesauffindung,
j die er in feiner Porta von 1880 (S. 61—78), bezw. von
1888 veröffentlicht hatte, hier mit der deutfehen Ueber-
fetzung wieder abgedruckt.

Die Legende weifs von einer doppelten Kreuzesauffindung
zu berichten: die erfte gefchah durch Protonike,
die Frau des Kaifers Claudius; aber zur Zeit Trajan's,
,des graufamen Kaifers', ,nahmen die Juden das Holz
des Kreuzes unferes Erlöfers — und gruben es in die
Erde gegen zwanzig Ellen tief und verbargen es'. Endlich
fand es Helena wieder, die Mutter Conftantin's, durch
Vermittelung des Judas, der, von Eufebius von Rom
getauft, fich Cyriacus nannte und zum Bifchof von Jeru-
falem eingefetzt wurde. Die Ueberlieferungsgefchichte
der Legende ift fehr complicirt: die beiden Auffindungen
find uns getrennt oder vereinigt in den Handfchriften
überliefert, die erfte ift mit der Abgar-Legende verknüpft,
und bei der Unterfuchung ift aufserdem die Sylvefterlegende
heranzuziehen. Auf diefen ganzen Complex er-
ftrecken fich denn auch Neftle's literarifche Fingerzeige,
deren Anordnung im Einzelnen mir allerdings dunkel
geblieben und die keinenfalls überfichtlich ift. Die Abgar-